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Nachdem Harry einige Gänge von dem Besucherraum geführt wurde und sich nun wieder in der Nähe der Schlafzellen befindet, werden die Schellen von seinen Handgelenken entfernt. Wortlos dreht sich die um und geht in die Richtung, aus der die beiden gekommen sind. Harry steigt die eisernen Treppen hinauf in den zweiten Stock, wo sich seine Zelle befindet. Er rauft sich durch die Haare, zieht an deren Enden und stürmt durch die offene Tür aus Gitterstäben.

„Ist irgendjemand gestorben, oder wieso siehst du wie ein kleines Mädchen aus, dem gesagt wurde, dass Justin Bieber niemals auf sie stehen wird?", spitzelt Ian, der er sich auf seinem Bett über Harrys gemütlich gemacht hat. Er wirft einen kleinen Ball, bestehend aus einem Paar Socken, in die Höhe und fängt ihn anschließend, bevor er den Vorgang wiederholt. Währenddessen lässt Harry sich auf seinem eigenen Schlafplatz seufzend nieder und tritt sich die Schuhe von den Füßen.

„Meine Eltern haben mir einen Besuch abgestattet.", teilt der Lockenkopf seinen Mitbewohnern mit und sieht zu Carl, der am Boden sitzend sich frustriert an den Haaren zieht, scheinbar, um die Flechtfrisur zu öffnen. Der Jüngere zieht die Augenbrauen zusammen und fragt: „Was ist daran schlimm? Ich würde mich freuen, wenn mich meine Alten besuchen würden."

Harry sieht in den Gang und erklärt: „Ich habe Maya sozusagen verpetzt und meine Mum wollte auf sie losgehen. Es ist irgendwie alles aus dem Ruder gelaufen und somit habe ich mehr Zeit mit Maya als mit meinen Eltern verbracht. Außerdem habe ich erfahren, dass meine Schwester in der Psychiatrie sitzt."

„Wieso denn?", hinterfragt Carl, bevor er seine Hände auf seinen Schoß fallen lässt und frustriert aufstöhnt. Der Lockenkopf zuckt lediglich mit seinen Schultern, da er keine Antwort hat, und zieht aus seiner linken Westentasche die Karte seiner Mutter heraus. Mit seinen Fingern spielt er mit dem festen Papier herum und hört Niall sagen: „Maya ist echt eine -"

„Wird schon wieder über mich geredet?", unterbricht ihn eine Frauenstimme und wenige Augenblicke später befindet sich eine fünfte Person in der Zelle. Ian verdreht die Augen und wendet sich dramatisch von ihr ab, bevor er murmelt: „Wenn man vom Teufel spricht."

„Halt die Klappe, Karottenkopf.", zischt Maya und lehnt sich gegen das Bettgestell, in dem Niall sich befindet. Auch dieser drückt seine Missgunst in Form von Würgegeräuschen aus. Doch die Frau lässt sich davon nicht beirren und geht auf den Jüngsten zu. Sie deutet mit einem Zeigefinger auf seine Haare und fragt: „Brauchst du Hilfe mit dieser Katastrophe?"

Mit einem genervten Gesichtsausdruck macht Harry einen Schneidersitz und raunt anschließend: „Musst du nicht irgendwelchen anderen Insassen das Leben zur Hölle machen?" „Da will man ein einziges Mal nett sein und du willst mich nur als böse Hexe dastehen lassen. Harry, zeig deine Manieren", tadelt Maya ihn und kniet sich hinter Carl auf den Boden.

„Deine Seele ist so dunkel, dass selbst der Teufel Selbstmord begeht, sobald du in die Hölle kommst. Du kannst nicht nett sein", mischt Ian sich ein und wirft seinen Ball in ihre Richtung. Nialls lautes Lachen erfüllt den Raum für einige Sekunden, bis die Frau kontert: „Erstens sind deine Versuche, lustig zu sein, echt jämmerlich und bemitleidenswert. Zweitens ist deine Seele durch und durch schwul, habe ich das jemals kommentiert?"

Schmerzerfüllt schreit Carl auf und fährt sie an: „Kannst du besser aufpassen?" „Selbst schuld, wenn du deinen Haaren so etwas Grausames antust. Du schaust damit aus wie ein weißes Kind, das in der Bronx mit Oregano dealt", wehrt Maya schulterzuckend ab und schnippt ihm gegen die rechte Schläfe.

„Genau das sagt Dominique auch. Ich kann es kaum erwarten, ihren Babybauch anfassen zu dürfen.", lächelt der junge Mann, seine Wangen färben sich zartrosa. Verwirrt sieht Harry zu Niall, der beinahe unbemerkbar den Kopf schüttelt und mit der rechten Hand vor seinem Hals herumwedelt. Auch Ian steht Panik ins Gesicht geschrieben, als Maya unwissend nachfragt: „Im wievielten Monat ist sie schwanger?"

„Im siebten oder achten, ich kann die Geburt kaum erwarten", antwortet Carl, bevor er erneut schmerzerfüllt aufzischt. Mittlerweile hat die Frau die Hälfte seiner Cornrows geöffnet und schüttelt nun ihre Hände aus.

Sie wirft Harry einen Blick zu, bevor sie grinsend nachforscht: „Wie lange bist du schon im Gefängnis?" „Seit zehn Monaten ungefähr", lässt Carl sie schulterzuckend wissen und streckt seine Beine auf dem Boden aus.

Ian springt abrupt von seinem Bett hinunter und deutet mit der linken Hand auf den Gang. „Ich denke, dass wir genug von deiner ekelhaften Präsenz haben. Sonst muss ich schwule Seele mich noch übergeben.", teilt er Maya auffordernd mit, doch sie bewegt sich keinen Zentimeter vom Fleck.

Unbeirrt zieht sie weiterhin an Carls Haaren herum und spricht aus, was sich bisher alle nur gedacht haben: „Denkst du wirklich, dass dein Sperma zwei Monate gebraucht hat, um die Muschi deines Weibs hinauf zu schwimmen? Hattest du schon jemals überhaupt so etwas wie Sexualkunde oder gibt es das in Ghetto-Schulen etwa nicht?"

„Ich bin mir nicht ganz sicher, worauf du damit anspielen willst", murmelt der Angesprochene und beginnt, nervös mit seinen Fingern zu spielen.

Nun erhebt sich auch Harry aus seinem Bett und geht auf Maya zu. Er verpasst ihrer Schulter einen sanften Schlag und zischt: „Verschwinde doch endlich." „Aber der Gangster-Sherlock ist kurz vor des Rätsels Lösung.", kontert sie verschwörerisch lächelnd und beugt sich nach vorne, um Carl in das Ohr flüstern zu können: „Ich will darauf anspielen, dass du leider nicht der Vater des Kindes bist, mein liebes Ghetto-Baby. Du hättest erst vor acht Monaten in das Gefängnis kommen dürfen, wenn du sie geschwängert hättest."

„Du meinst, dass sie mich betrogen hat?", fragt der Jüngere und rutscht von Maya weg. Schlagartig steht er auf beiden Füßen und dreht sich zu ihr um. „Dominique ist keine untreue Schlampe.", leugnet er die Tatsache und sieht hilfesuchend zu Niall. Doch auch dieser lächelt ihm lediglich entschuldigend zu und wendet anschließend seinen Blick ab.

„Die Wahrheit schmerzt am Anfang immer. Vor allem, wenn du wegen diesem Weib hinter Gittern bist", lässt die Frau ihn wissen und geht auf den Gang zu. Bevor sie diesen betritt, dreht sie sich noch einmal zu Carl, dem mittlerweile Tränen in die Augen schießen, um und fügt hinzu: „An deiner Stelle würde ich die Scheidung einreichen und sie von deiner Besucherliste streichen."

Mit schnellen Schritten verlässt Maya die Zelle, dicht gefolgt von Harry. Er lässt sie einige Meter gehen, bis er sie wütend am Arm packt und zu sich umdreht. „Was soll das? Du hast ihm gerade das Herz hinausgerissen", fährt der Mann sie an.

Sich keiner Schuld bewusst hebt sie abwehrend die Hände und verteidigt sich: „Irgendwann hätte Milchbubi es sowieso erfahren, wieso nicht gleich von mir? Außerdem, wenn er jetzt deswegen herumheult, ist er eine echte Pussy."

„Du hast ihm gerade sein Leben zerstört. Aber das kannst du nicht wissen, du hast ja keine Gefühle und kein Herz.", erklärt Harry ihr und deutet mit einem Zeigefinger auf die Zelle, aus der sie gekommen sind.

Maya fasst sich gespielt empört an ihre Brust und murmelt: „Das hat mich verletzt, Harry." „Erwarte jetzt keine Entschuldigung von mir. Außerdem lass in Zukunft die drei Männer in Ruhe, sie wollen, genauso wie ich, einfach ihre Ruhe haben", redet ihr Gegenüber auf sie ein, bevor er sich abrupt von ihr abwendet.

Harry nähert sich langsam wieder seiner Schlafzelle, als er wieder ihre Stimme hört: „Wie wär's mit Versöhnungssex im Waschsaal?" „Lieber würde ich mich prostituieren lassen.", wehrt er ab und tritt zu den drei Männern, in deren Mitte sich ein weinender Carl befindet.

Prison / h.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt