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Tagelang schafft Harry es, keinerlei Kontakt mit Maya zu haben. Während der Arbeit steht er so weit wie möglich entfernt von ihr, dreht sich demonstrativ von ihr weg, wenn sie auch nur ein einziges Wort spricht. Obwohl ihm dies tief in seinem Inneren schmerzt, bleibt er dennoch standhaft und gibt nach. Nicht einmal, als sie ihn traurig anstarrt und ihn mit leiser Stimme bittet, ihr das nicht anzutun.

Bis Maya eines Morgens nicht in die Arbeit kommt. Wie gewohnt begrüßt er den Wärter am Eingang der Reinigung und hält die Karte, die in der Brusttasche seines T-Shirts steckt, an den Sensor, der vermerkt, dass Harry rechtzeitig erschienen ist. Er schiebt den schweren Wagen voller dreckiger Wäsche zu den Maschinen und stopft die Kleidungsstücke in die Waschtrommeln. Geübt drückt er die richtigen Knöpfe und leert das Spülmittel in die richtige Öffnung.

Nach bereits einer halben Stunde rechnet Harry nicht mehr damit, dass Maya nicht mehr erscheint. Vielleicht reicht es ihr, von ihm ignoriert zu werden. Vielleicht hat sie einfach keine Lust mehr. Der Mann redet sich dennoch ein, dass es ihn nicht interessiert, weshalb sie ihn nicht nerven kann. Wichtig ist, dass er sich nicht anstrengen muss, sie nicht zu beachten.

„Harry, ich brauche deine Hilfe", werden seine halbherzigen Hoffnungen zerstört. Als er aufsieht erkennt er Maya, wie sie soeben die Räumlichkeit der Reinigung betritt. Sie hat die rechte Hand um ihren linken Unterarm geschlungen und geht direkt auf den Tisch, hinter dem Harry steht, zu.

Augenverdrehend wendet dieser sich von ihr ab und will zu den Waschmaschinen marschieren, wird jedoch von nassen Fingern um sein rechtes Handgelenk davon abgehalten. Er entreißt sich angewidert ihrem Griff und fährt sie an: „Fass mich nicht an."

„Aber ich brauche wirklich deine Hilfe", fleht Maya ihn an, wodurch Harry sich langsam zu ihr umdreht. Noch immer spürt er die Nässe auf seiner Haut, die durch ihre Berührung entstanden ist und sieht an seinem Arm hinab.

Der Anblick von dunkelroter Flüssigkeit um sein Handgelenk lässt ihn seine Augen weit aufreißen und er fragt entgeistert: „Ist das dein Blut?"

„Genau das habe ich gemeint, aber du willst mich ja noch weiterhin ignorieren", raunt sie und hebt den linken Arm an, sodass Harry einen tiefen Schnitt in ihrer Haut erkennen kann. Blut fließt langsam, aber stetig aus der Wunde, in ihren Augen kann sie die Schmerzen erkennen.

Mit zitternden Fingern zieht er einen Erste-Hilfe-Kasten unter dem Tisch hervor und legt ihn anschließend auf die Platte. „Wie ist das passiert?", forscht der Mann nach und öffnet die große Schachtel.

Er zieht Mullbinden heraus und umfasst ihr linkes Handgelenk. Plötzlich drückt er die Tupfer auf die Wunde, wodurch Maya schmerzerfüllt aufzischt, bevor sie murmelt: „Ich würde es bevorzugen, zuerst die Blutung zu stoppen, dann können wir über den Grund reden."

„Natürlich", nickt Harry und greift nach einem Verband. Einige Male wickelt er diesen um ihren Unterarm, bevor er ihr mitteilt: „Ein Desinfektionsmittel haben wir nicht, du solltest daher nach der Schicht zum Arzt gehen."

„Was genau soll ich ihm sagen, wenn er fragt, weshalb ich einen tiefen Schnitt habe?", lacht Maya humorlos auf und setzt sich auf den Tisch. Sie sieht auf die weiße Binde und spielt mit ihren Fingern, als wäre sie nervös.

Währenddessen räumt Harry den Kast wieder an den vorgesehenen Ort und spricht: „Ich hätte auch gerne eine Antwort auf die Frage, warum."

„Du hast noch mein Blut an deinem Handgelenk", weicht die Frau dem Thema aus und deutet seine dunkelrot gefärbte Haut. Unbeeindruckt verschränkt er die Arme und zuckt mit der Schulter.

„Du bist ebenfalls ein wenig blutig", kontert Harry und macht einen Schritt auf sie zu. Da sie ihm noch immer nicht in die Augen sieht, seufzt er frustriert und fordert sie auf: „Entweder du sprichst jetzt oder ich setze mein Vorhaben, dich bis in die Ewigkeit zu ignorieren, wieder fort."

Prison / h.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt