13. Über das Ritzen

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Mein Vater lag wieder einmal auf dem Sofa, als ich von der Schule kam.

,, Kann ich deinen Golf mal für ein paar Stunden haben?"

,, Nora, sein oder nicht sein, können oder nicht können, das ist hier die Frage", lallte er vor sich hin.

Ich ignorierte seine Aussage, schnappte mir die Schlüssel und verließ die Wohnung schnellst möglich.
Ich setzte mich in den alten Golf und war dankbar den Führerschein doch gemacht zu haben.  Ich fuhr los und und näherte mich dem Meer, nur um kurz davor links abzubiegen auf eine holprige Landstraße. Das Auto rüttelte und schüttelte recht stark, bis ich auf der Spitze des felsenartigen Hügel angekommen war. Ich stieg aus und rannte über die große Wiese zu einer ganz kleinen Holzhütte.  Der Moment als ich eintrat war wie ein Schlag ins Gesicht.  Meine Mum und ich hatten sie gebaut als sie krank gewesen war. Hatte sie gewusst, dass ich zu meinem Vater ziehen würde?

Vor mir war eine riesige Glasscheibe, die eine ganze Wand ersetzte. Dahinter ein felsiger Abgrund, der Strand und das Meer.

Ich setzte mich auf die Felle um den runden Tisch herum und starte hinaus. Ich versuche auf mein Gefühl zu achten, doch ich spürte nichts.
Nichts als diese unfassbar große Leere in mir drinnen.
Dann griff ich zu einer Glasscherbe und setzte sie an mein Handgelenk. Ich strich erst ganz sanft darüber, bis ich tiefer in die Haut schnitt. Ich stöhnte als ich das Blut herausfließen sah. Es tat weh, aber auch Schmerz war ein Gefühl, das ich zuordnen konnte. Wie in Trance schnitt ich weiter und wagte immer mehr.

Ab diesem Tag tat ich es regelmäßig. Vielleicht ist es nicht nachvollziehbar, aber es gab mir einfach das Gefühl, dass ich lebte. Die Narben versteckte ich unter längerer Kleidung und so ahnte keiner etwas von meinem Zustand. Noch weniger von meiner mich zerstörenden Krankheit.

Was fühlt man, wenn man sich nicht mehr spürt? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt