Kapitel 3 - Hahnenkampf zwischen "Männern"

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Ich wische mir mit meinem Ärmel über den Mund und hole tief Luft. Meine Haare sehen durcheinander aus und ich fühle mich elend.

"Ja danke", antworte ich auf seine besorgte Frage und mustere ihn. Es ist der Junge aus dem Klassenzimmer. Die Übelkeit verhindert jedoch, dass die Schmetterlinge sich noch ein Mal wie Adrenalin-Junkies verhalten. Er sieht mich mit leicht nach unten gerichtetem Kinn an. Auf seiner rechten Wange sticht ein kleines Grübchen hervor.

"Hast wohl was falsches gegessen", sagt er gerade heraus und sieht mich besorgt an.

"Kann sein." Ich nicke und hole tief Luft. "Danke wegen vorhin", entgegne ich sarkastisch und versuche wütend zu wirken. Die Augen des Jungen taxieren mich. Seine Stirn legt sich in Falten.

"Äh?", fragt er verwundert.

"Na ich meine gerade im Klassenzimmer." Ich seufze. Er muss jetzt wirklich nicht noch mehr einen auf unschuldig tun. Dass er nach mir sieht,ist schon süß und zuvorkommend.

Er sieht nach hinten aus der Richtung aus der ich gekommen bin. "Also ich weiß nicht...", beginnt er, doch die Schulglocke unterbricht ihn. Aus den Türen stürmen Menschen und erzeugen einen ungeheuren Lärm. Ich gehe etwas vom Mülleimer weg um nicht den Eindruck zu erwecken, dass ich gerade in den Eimer gekotzt habe.

Plötzlich steht Scott hinter dem Jungen. "Grace? Ist alles gut bei dir?" Kritisch beäugt er meinen neuen Highschool-Schwarm. Ich nicke ihm zu. Er tut so als würden wir uns schon ewig kennen.

"Ich habe nur nach ihr gesehen", entgegnet der Junge und sieht Scott an. Sie ringen mit ihren Blicken. Manchmal verstehe ich diese Hahnenkämpfe zwischen den "Männern" nicht.

"Ich bin übrigens...", beginnt der Junge wieder.

Aber wieder unterbricht Scott ihn: "Ja er ist ein Arsch und wird jetzt gehen!" Scott lächelt gespielt und wedelt mit der Hand. Ich ziehe die Stirn kraus und frage mich was das hier gerade soll. Der Junge erwidert jedoch nichts, sieht mich entschuldigend an und geht einfach.

Ich blicke ihm hinter her, langsam geht es mir wieder besser und diese Anziehungskraft nimmt wieder zu. Seine grauen Augen waren wirklich faszinierend, wie besorgt er mich angeschaut hat. Mein Held. Ich seufze verliebt, schon längst vergessen, dass er mich gerade bloß gestellt hat und komme wieder in der Gegenwart an. Mein Blick fällt auf Scott. Und ich muss unwillkürlich genervt aufstöhnen und die Augen verdrehen. "Was sollte das denn jetzt?", fahre ich ihn an und mache auf dem Absatz kehrt.

"Ich bewahre dich vor falschen Freunden, Lämmchen!" Er läuft mir hinter her.

"Nenn mich nicht so!" Meine Stimme hat inzwischen an einigen Oktaven zugenommen. Das heißt nichts Gutes. Ich höre seine schnellen Schritte hinter mir, bis er einen Arm um mich legt.

"Als dein Nachbar fühle ich mich verpflichtet dein Begleiter in deinen ersten Tagen auf der Highschool und in der Stadt zu sein", sagt er fröhlich. Wütend schüttele ich seinen Arm ab. Bevor ich eine weitere patzige Antwort parat habe, klingelt diese dämliche Schulglocke wieder. Anscheine war dies nur eine dieser Pausen in denen man Zeit hat den Raum zu wechseln.

Ich stehe plötzlich wieder mitten im Bienenstock und weiß weder wo ich hin muss, geschweige denn wo ich überhaupt bin. "Na komm, Lämmchen." Scott schiebt mich weiter vorwärts. "Wir haben Chemie. Und ich glaube mit deinem Glück können wir die ganze Schule in die Luft sprengen." Er lacht über seinen eigenen Witz und beweist mir mal wieder, was er eigentlich für ein Freak ist. Trotzdem mag ich diesen Blondschopf irgendwie. Seine unbeschwerte Art mit mir umzugehen, so vertraut. Irgendwie gefällt mir das und ich kann mir nicht erklären, warum Scott und ich bereits so vertraut miteinander umgehen.
Ist es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick nur mit unserer Freundschaft?

Chemie ist anscheinend nicht gerade das Lieblingsfach meines neuen Freundes. Während wir irgendwelche Experimente durchführen und ich Angst um mein Leben habe, weil Scott ziemlich unsicher mit den Chemikalien rumhantiert, schweifen meine Gedanken zu dem unbekannten Jungen. Natürlich wage ich es nicht Scott zu fragen, wie der unbekannte Junge heißt. Da er ja so offensichtlich gegen ihn war. Und ich will mir nicht schon gleich am Anfang eine neue Freundschaft versauen.

Doch mir gehen diese grauen unergründlichen Augen einfach nicht aus dem Kopf. Er wirkt so harmlos, so lieb. Ich bin nicht der Typ, der auf Badboys steht, glaube ich zumindest. Ich wusste bis vor kurzem überhaupt nicht auf was ich stehe. Jungs sind allgemein nie so meins gewesen. Aber so langsam mit 16 sollte man die ein oder anderen Erfahrungen machen. Also das heißt jetzt nicht, dass ich mit irgendeinem beliebigen Typ ins Bett springen würde, aber den ein oder anderen Kuss würde ich mir schon abholen wollen.

"Was hast du da eigentlich an der Bushaltestelle gelesen, Scotty?" Wenn er mich weiterhin Lämmchen nennt, dann heißt er halt in Zukunft Scotty. Scott sieht mich ernst an.

"So wurde ich zuletzt vor 15 Jahren genannt", knurrt er hervor. Ich sehe trotzdem wie ich ihm damit ein leichtes Lächeln hervorlocke. "Ich habe ein Buch gelesen", entgegnet er und grinst dann verschmitzt.

"Anscheinend stehst du auf Vampirmärchen. Sag nicht du bist einer von den Jungs, die Twilight mögen? Oder guckst du etwa Vampire Diaries. Also ich bin eindeutig Team Stefan", plappere ich und klopfe mit dem Fingernagel belustigt gegen ein Reagenzglas. Scott entzieht mir wütend das Reagenzglas und funkelt mich an.

"Über so etwas macht man sich nicht lustig. Das Buch was ich lese beruht auf wahren Begebenheiten, Harper." Er wendet sich von mir ab, auf seiner Stirn sind Denkfalten. Ich schüttele den Kopf - es ist wirklich eigenartig was Scott von sich gibt. Wahre Begebenheiten, natürlich und ein Lämmchen bin ich also auch nicht mehr.

Nach dem Unterricht machen wir uns auf dem Weg ins Sekretariat. Ich muss noch mit meiner Betreuungslehrerin über meine Nebenaktivitäten reden. Fürs College sollte man etwas vorweisen können. Leider weiß ich noch gar nicht in welchen Bereich ich später mal gehen will, aber irgendwas muss ich tun. Nach langer Diskussion beschloss ich dann nicht wie in meiner alten Heimat in der Schülerzeitung mitzumachen, sondern etwas lauteres zu wählen. Theater. Ja ich würde mit in den Theaterklub gehen und zwei Mal die Woche vier Stunden meines Lebens verschwenden.

Als ich es meinem Bruder und Scott auf dem Weg nach Hause erzähle, lachen beide belustigt. Die beiden tun so als würden sie sich ewig kennen. Und irgendwie habe sie ein wenig Ähnlichkeit miteinander. Was wenn sie sich beide gegen mich verschwören? "Dadurch werde ich sicherlich selbstbewusster", nenne ich einen Pluspunkt.

"Ich find dich schon ziemlich selbstbewusst. Oder sollte ich es eher stur nennen?" antwortet Scott. Mein Bruder stimmt in sein Lachen mit ein.

"An deiner Stelle würde ich mal leise sein, Nervensäge."

"Ihr benehmt euch wie zwei kleine Kinder", entgegnet mein Bruder und ich strecke ihm die Zunge heraus.

Etwas VerträumtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt