Kapitel 7 - Familienzusammenkunft

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Und so schnell kommt es dazu, dass ich an einem Samstagabend um 22:30 wieder in meinem Bett liege. Scott und ich haben den Weg zurück kein Wort miteinander geredet. Ich bin tierisch wütend auf ihn. Natürlich bezichtige ich ihn als Lügner. Den grauen treuevollen Augen von Alex traue ich mehr, als den braunen Kulleraugen meines Nachbars. Er ist derjenige, der herum spinnt mit seinen Fantasy Romanen. Mich beschützen wollen? Bei dem Gedanken muss ich etwas lachen. Vor was denn bitte beschützen? Dass ich verarscht werde? Und wenn schon. Man muss doch irgendwie Erfahrungen machen. Ich werde mir die Erfahrungen von Scott nicht nehmen lassen.

Die vergangenen Stunden kreisen immer wieder in meinem Kopf herum. Ich starre an die Decke und lasse das Mondlicht, welches an meine Decke strahlt, auf mich wirken. Irgendwann in der Nacht höre ich meinen Bruder zurück kommen. Ein Blick auf meinen Wecker verrät mir, dass es bereits drei Uhr in der Nacht ist. Seine Tür schlägt zu und ich höre ein Kichern. Ist das sein ernst? Das erste Wochenende in Bloomfield und er schleppt gleich schon ein Mädchen ab. Ich drücke mir ein Kissen auf die Ohren und versuche zu schlafen. Unsere Eltern werden nämlich morgen Früh von uns verlangen zur Kirche zu gehen.

Am nächsten Morgen sitzt unsere ganze Familie also frisch gestriegelt und herausgeputzt in der Kirche auf einer Bank schön weit hinten. Ein Blick nach vorne verrät jedoch, dass ich fast keinen kenne außer Scott und seine Familie. Nicht mal Bürgermeisterin Cooper ist da, was mich sehr verwundert. Vielleicht ist sie einfach nicht christlich. Die Messe schleicht vor sich hin, während ich stumm meine Lippen zu den Gebeten bewege.

Es ist unzüchtig, dass ich innerhalb der Tore von Gott an Alex denke. An seine vollen Lippen und sein männliches Gesicht. Und vor allem dieses unwiderstehliche Lächeln. Aber eigentlich bin ich auch gar nicht so an der Religion interessiert, wie meine Eltern es gerne hätten.

Ich beuge mich zu meinem Bruder rüber. "Wen hast du gestern denn schon abgeschleppt und drei Stunden später wieder ausgeschleust?", raune ich so leise wie möglich. Jesper grinst und zwickt mir in die Seite.

"Wehe, du erzählst Mum und Dad was", zischt er und tut so als würde er etwas beten. Ich kichere etwas auf.

"Dafür bist du mir aber etwas schuldig." Er sieht mich an.

"Und das wäre?" Ich zucke mit den Schultern.

"Das denke ich mir noch aus." Ich lächle geheimnisvoll.

Nach dem Kirchengang stehen wir noch vor der schönen Kirche. Meine Eltern unterhalten sich mit anderen. Ich verlagere mein Gewicht von einem Bein auf das andere und warte ungeduldig. Endlich verabschiedet sich das Pärchen, der Gang nach Hause naht. Doch da kommt auch schon das nächste Paar auf meine Eltern zugeströmt. Woher lernt man so schnell irgendwelche Leute kennen?

Meine Eltern begrüßen die beiden total herzlich. Mit Küsschen links und rechts und einem freundschaftlichen Schulterklopfen. Sie kommen mir irgendwie bekannt vor. Der Mann hat strohblondes Haar. Und als dann Scott hinter ihm hervor kommt, weiß ich auch warum. Das sind unsere Nachbarn und Eltern von meinem Ex-Vielleicht-Bestem-Neuen-Freund. Ich werfe Scott einen vernichtenden Blick zu und sehe dann beleidigt weg. Aus dem Augenwinkel kann ich erkennen, dass ihn das belustigt. "Jesper und Grace sind ja so groß geworden", höre ich die Mutter von Scott sagen. Was? Woher weiß sie wie wir als Kinder aussahen?

"Ja das sind sie in der Tat. Aber Scott hat sich auch gemacht", sagt mein Vater und schlägt Scott brüderlich auf die Schulter.

"Was geht hier vor?", mische ich mich ein und dränge mich dazwischen.

"Was ist denn, Schätzchen?", fragt meine Mutter scheinheilig mit ihrer pädagogischen Stimme.

"Warum kennt ihr euch so gut?" Meine Eltern wechseln mit Scotts Eltern Blicke und Scott blickt zu Boden. Ich schaue zu Jesper.

"Weißt du was das zu bedeutet hat?" Auch mein Bruder weicht meinem Blick aus.

"Sag mal, weiß jeder hier von irgendwas nur ich nicht?" grummele ich zickig und stampfe wie ein trotziges Kind auf den Boden.

Und dann sehe ich es. Diese Ähnlichkeit zwischen Scotts Vater und meinem. "Ihr seid Brüder", entfährt es mir und ich bin schockiert. Doch das schlimmste ist, das alle es wussten und nur ich nicht.

Meine Beine machen wie von selbst auf dem Absatz kehrt und ich renne los. Meine schwarzen Absatzschuhe hallen auf dem Asphalt wieder, während ich weiter renne und renne. Das Kleid was ich trage wird vom Wind in alle Richtungen geweht und unter meinem Mantel fange ich an zu schwitzen. Sie haben mich alle belogen. Wir sind nicht hier her gezogen, weil mein Vater einen neuen Job hat. Sondern wegen einer dämlichen Familienzusammenkunft.

Das Vater einen Bruder hat, wusste ich. Jedoch hat er immer behauptet, sie haben sich zerstritten. So sah das aber nicht gerade aus. Ich renne immer noch, höre schon mein eigenes Herz in meinen Ohren pochen. Jedes einzelne Kleidungsstück klebt an meiner Haut.

Ich bin plötzlich wieder auf dem Friedhof und lasse mich gegen einen relativ großen Grabstein sinken. Mein Keuchen hallt über den ganzen Friedhof. Ich fühle mich merkwürdig und verraten. Irgendwie enttäuscht es mich mehr, dass Scott mir nichts gesagt hat oder mein dämlicher Bruder. Wenigstens sie hätten ehrlich sein können. Nun verstand ich aber was Scott mit dem Beschützen meinte.

Er ist mein Cousin. Wir sind blutsverwandt, was nichts daran hinderte, dass er mich wie ein kleines Kind herumschubsen darf.

"Was machst du hier?" Eine wohlbekannte Stimme ertönt hinter dem Grabstein. Ich drücke mich wieder hoch und blicke in den diesmal wieder bösen Blick von Alex.

"Oh", entfährt es mir, während ich ein Mal tief nach Luft schnappe. "Hey Alex." Ich hebe die Hand und zwinge mich zu einem breiten Lächeln.

"Was machst du hier habe ich gefragt?" Er kommt mir bedrohlich nahe. Ich kann ein Grollen seine Kehle hochkommen hören.

"Ich", fange ich an und werde plötzlich nervös. Wieder dreht mein Magen seine Karusselrunden und mir wird schlecht.

Das nächste was ich bemerke ist ein kräftiger Stoß. Ich lande auf allen vieren und bevor ich protestieren kann, erbreche ich im Schwall mitten auf ein Grab.

"Spinnst du?", keuche ich hervor und verstehe plötzlich nicht was in ihn gefahren ist. Solche Stimmungsschwankungen habe nicht mal ich während meiner Periode.

Ich streiche mir die Haare aus dem Gesicht und will ihn wütend ansehen. Doch er ist Weg. Stattdessen sehe ich auf den Grabstein gegen den ich vorhin gelehnt habe und erbreche mich schon wieder.

Anscheinend bin ich gerade dabei auf das Grab von einem Cooper zu brechen. Und wenn es Alex so erbost hat, muss Scott wohl in einem Recht gehabt haben. Ich beschmutze gerade das Grab eines Verwandten von ihm. Toll, Grace!

Etwas VerträumtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt