Vor diesem Tag sollte man sich fürchten. Ich glaube jeder einzelne neue Schüler fühlt das, was ich fühle. Hoffentlich bin ich nicht die Einzige, die sich vor Nervosität in die Hosen macht. Meine Beine fühlen sich wie Wackelpudding an, mein Herz schlägt in Techno-Frequenzen vor sich hin. Ich glaube, ich stehe kurz vor dem Tod.
Bloomfield hat eine recht große Highschool, so kommt es mir zumindest vor. Zwar ist diese Vorstadt nicht gerade groß, dennoch wohnen vor allem innerhalb des Zentrums viele Familien. Die Schule hat einen eigenen Sportplatz, auf dem Jesper sicherlich heute schon die ersten Mädchen aufreißen wird. Auf der Schulhomepage habe ich sogar diverse AG's gesehen - Cheerleading, würg!
Manchmal stelle ich mir vor, was wenn ich so eingebildet und gutaussehend wäre, wie diese Rotzgören mit ihrem scheinheiligen "Ihr schafft es! Go go go!" Aber das bin ich nicht und werde es auch nie sein. Erst recht nicht, weil ich dann wie eine Bekloppte mit bunten Zotteln wedeln müsste.
Meine Mutter hat sich geweigert mich in die Schule zu fahren. Jesper hat damals schon gerne den Bus genommen. Man könne ja bereits Kontakte knüpfen und sich ganz hinten auf die letzte Reihe drücken, um cool zu wirken. Also verließen Jesper und ich pünktlich am Morgen das Haus.
Ich habe versucht mich ein wenig mehr herzurichten als sonst. Vielleicht kann ich einen Neustart wagen und einfach mehr aus meiner Haut fahren. Mein dunkelbraunes, sehr glattes Haar habe ich lediglich nach hinten gekämmt. Rechts und links unscheinbare Spangen, die Strähnen daran hindern sollen, mir ständig ins Gesicht zu fallen. Wimperntusche, ein wenig Rouge, Lipgloss und laut Youtube, soll der natürliche Schullook fertig sein. Mal schauen, ob es wirkt.
Die Bushaltestelle ist bis auf einen Jungen, der ungefähr in unserem Alter sein muss, leer. Seine dunkelblaue Regenjacke sieht ziemlich unattraktiv aus und er hält ein Buch in der Hand, was für einen Jungen auch recht untypisch ist. Beim näheren Hinsehen jedoch, fallen mir seine tiefbraunen Augen auf. Ich liebe braune Kulleraugen. Das wirkt zwar ziemlich kindlich, aber bei Jungs wirkt das meistens wie ein schwarzes Loch - man verfängt sich darin. Ein Blick auf sein Buch verrät mir jedoch, dass ich die Finger von ihm lassen sollte. "Blutsauger - Mysteriöse Vorfälle". Freak!
"Ich bin nervös", raune ich meinem Bruder zu, der es mit einem Lächeln quittiert.
"Mach dir nicht in die Hose, Grace." Er lässt den Blick schweifen und schaut mich dann an. "Hab einfach mehr Selbstbewusstsein. So wie ich!" Jesper posiert und lacht mich arrogant an. Darüber schüttele ich nur den Kopf und werfe einen Blick auf die Straße.
Endlich nähert sich der Schulbus, der mich direkt in den Bienenstock bringt.
Und was für ein Bienenstock. Der Bus ist so voll, dass wir wie ein Korken aus einer Sektflasche herausströmen. Woher kommen diese ganzen Leute?
Jeder weiß, wo er hin muss, jeder hat Freunde rechts und links. Sogar mein dämlicher Bruder hat ein Blick auf Jungen mit Sportjacken geworfen und direkt nach dem nächsten Spiel hier in der Schule gefragt. Und schwups, hat er Kumpels gewonnen.Hinter mir fährt der Bus wieder brummend weg und hinterlässt eine dunkelgraue Benzinwolke. Während ich noch immer auf derselben Stelle stehe und diese Schule anstarre, laufen alle bereits hinein. Die Bloomfield High School starrt mir direkt in meine Seele. Ich bewege mich unauffällig zum Eingang. Eine breite Treppe mit drei Flügeltüren bildet diesen. Das Gebäude sieht relativ alt aus, fast wie in einem schlechten Horrorfilm. Auf den Steinen zwischen den Türen sind irgendwelche Daten eingemeißelt, die ich jedoch beim Vorbeigehen nicht näher betrachte. Innen herrscht bereits ein Lautstärkepegel, der mit meiner Stimme nicht zu übertönen ist. Hilflos sehe ich mich um.
"Wir sind Nachbarn." Höre ich plötzlich eine Stimme hinter mir. Ich wende mich um und schaue den Jungen von meiner Bushaltestelle an.
"Ach?", frage ich perplex und mustere seinen unergründlichen Blick, inklusive der braunen Kulleraugen. Paranoid lässt er den Blick über die Menge schweifen.
"Ich bin Scott. Unsere Eltern kennen sich bereits und deswegen weiß ich, dass du Grace Harper bist und in die Hälfte meiner Kurse gehst. Deine Schwerpunkte sind Geschichte und Biologie." Scott sieht mich an. Mein Mund ist schockierend weit geöffnet und es rattert wie wild in meinem Kopf. Okay Grace, beruhige dich, der Kerl weiß nur über die Hälfte deines Lebens bescheid.
"Äh, ja. Danke", murmele ich und schüttele den Kopf.
"Also kannst du mir sagen, wo wir jetzt Geschichte haben?" Der Freak sieht mich an, er lächelt nicht, obwohl ich meinen überaus sympathischen Blick aufgesetzt habe.
"Natürlich. Sonst würde ich dich hilfloses Lämmchen wohl kaum ansprechen. Komm mit, Harper", befiehlt er und schreitet voran. Also für einen Freak hat er einen wirklich sicheren Gang. Sein neuer Spitzname für mich, gefällt mir eher weniger - Lämmchen. Und wer ist der Wolf?
Die Geschichtsstunde vergeht relativ zügig. Scott stellt sich als ein Streber, Genie oder derartiges heraus. Tatsächlich kann er jede einzelne Frage beantworten, die unser Lehrer in die Menge stellt. Und ich merke, dass mir Stoff von ungefähr 2000 Jahren fehlt. Danach quäle ich mich ausgiebig mit Mathematik, schweife jedoch des öfteren mit dem Blick nach Draußen. Vom Klassenzimmer aus kann man perfekt auf den Sportplatz sehen. Einige von den Schülern machen gerade Staffellauf und springen wie die Pferde über Hindernisse. Also beneiden tue ich diese schwitzenden Leute nicht.
"Miss Harper, haben sie etwas zu meinem Unterricht beizutragen?" Kichern weckt mich aus meinen Gedanken und ich sehe geradewegs in die Augen meines Mathelehrers.
"Ich...", beginne ich stotternd und versuche anhand der Skizzen auf der Tafel herauszufinden worum er mich bat, "nun ja also. Ich würde sagen. Also ich denke." Doch kein sinniges Wort geht über meine Lippen.
"Ich glaube, Mr Hops, sie konnte ihrem Unterricht nicht ganz folgen!", ruft eine männliche Stimme gehässig von Hinten.
Ich blicke nach hinten. Der Junge, der gesprochen hat, war nahezu perfekt. Noch nie habe ich einen Jungen gesehen, der solch eine Ausstrahlung in seinen Augen hat. Die Schmetterlinge in meinem Bauch fliegen wie betrunken gegen meine Bauchdecke. Oh Gott, nein. Der Stress, der letzten Tage kommt plötzlich hoch und ich springe auf.
"Miss Harper!", ruft mir mein Lehrer wütend hinter her aber ich bin bereits mit einem Satz aus dem Zimmer gesprungen, auf dem Weg zur Toilette.
Doch ich schaffe es nicht weit und übergebe mich herzhaft in den nächsten Mülleimer.
"Alles in Ordnung?" Der Auslöser steht plötzlich hinter mir.
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Etwas Verträumt
VampireWas wäre, wenn alle um dich herum sich plötzlich seltsam benehmen? Wenn dein bester Freund behauptet es gäbe Vampire? Und Menschen grundlos verschwinden? Verträumt, tollpatschig, naiv, ahnungslos - Diese Worte beschreiben Grace Harper als sie nach...