Schon wieder renne ich. Aber diesmal nicht aus Angst oder Verwirrung - nein, ich renne, weil ich vor dem Problem davon laufen möchte. Eine Schlucht hat sich vor mir aufgetan, als ich meinen Vater mit dieser Frau gesehen habe. Das aufgeknöpfte Hemd hat mir gereicht um zu wissen, was vorgefallen ist. Doch aus welchem Grund gibt sich mein Vater dieser Frau hin? Wird ihm dasselbe passieren wie dem Vater von Scott? Aber was bedeutet das? So viele Fragen auf die ich keine Antwort weiß.
Eine Affäre mit der Obervampirin der Stadt Sancha Cooper zu haben... Und plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Es war nicht irgendein Vampir mit dem Scotts Vater eine Affäre hatte. Es muss Sancha Cooper gewesen sein. Meine Schritte werden langsamer und ich bleibe mitten auf der Straße stehen. Ein Griff in die Hosentasche - mein Handy ist nicht da. Es muss bei den Coopers liegen. Shit! Ich laufe in einem mäßigen Tempo weiter. Das Anwesen der Coopers ist das letzte, wohin ich jetzt gehen will. Wird mein Vater mich zu Hause erwarten um mir Rede und Antwort zu stehen, oder wird er so tun als wäre nichts gewesen? Vielleicht stehen auch schon Polizisten vor unserer Tür und verkünden, dass mein Vater tot ist.
Nach einem langen und gedankenkreisendem Fußmarsch, stehe ich vor der Tür von Scott und klingele. Seine Mutter öffnet mir die Tür. Ihre Augen sind schwarz unterlaufen, aber Entschlossenheit steht in ihrem Blick.
"Hallo Grace. Ist alles in Ordnung?", fragt sie mich und sieht mich mit besorgter Miene an. Ich nicke unsicher.
"Ist Scott da?"
Scott kommt die Trepper herunter gelaufen. "Gracy?" Seine Miene ist fragend und sie lassen mich eintreten. Ich sehe die besorgten Gesichter meiner Familie. Habe ich das gerade tatsächlich gedacht - Familie. Flüssigkeit bildet sich in meinen Augen und ich versuche krampfhaft nicht zu weinen.
"Ich glaube es ist nicht alles in Ordnung", murmelt die Mutter von Scott und tätschelt ihm die Schulter. Dann verschwindet sie in der Küche und ich höre, wie sie den Wasserkocher anmacht.
"Was ist passiert, Grace?" Die ernste Miene von Scott durchbohrt meinen Blick. Mein Verstand scheint noch immer klar zu sein und ich enthalte ihm die Details zu Adam.
"Ich war im Cooper Anwesen um etwas mehr über Vampire rauszubekomme, da Alex mich eingeladen hat." Ich wische mir die Tränen von den Wangen. "Sag bitte jetzt nichts dazu. Eine Moralpredigt kann ich nicht gebrauchen."
Scott führt mich ins Wohnzimmer. "Das scheint aber nicht das zu sein, was dich so auflöst." Ich nicke wieder und lasse mich mit einem tiefen Seufzer aufs Sofa fallen.
"Dad war da", murmele ich leise und richte meinen Blick auf den Wohnzimmertisch vor mir. Eine leere Obstschale steht darauf, so wie eine eingestaubte Zigarettenschachtel. Ich erinnere mich daran, wie Scott mir mal erzählt hat, dass sein Vater zu viel raucht.
"Dein Vater?", fragt Scott ungläubig und setzt sich neben mich. "Was meinst du damit? Du musst schon etwas präziser werden, Grace."
"Er war bei Sancha Cooper im Schlafzimmer und kam gerade heraus, als er sich sein Hemd wieder zugeknöpft hat. Scott, sie haben eine Affäre und dein Vater hatte es wahrscheinlich auch."
"Ich habe Angst um ihn, Scott. Es klingt egoistisch, aber", murmele ich und hole tief Luft. "Aber ich will nicht, dass Dad dasselbe passiert wie..." Scott winkt ab.
"Ich kann dich verstehen. Wir müssen ihn warnen und es deiner Mutter sagen." Ich nicke gedankenverloren und wische mir eine weitere Träne weg.
Nach dem ich mich beruhigt und eine Tasse Tee getrunken habe, wage ich mich nach Hause. Vater wird nicht da sein, davon bin ich überzeugt. Davor hat er sicherlich zu große Angst. Aber meine Mutter wird da sein und ich werde ihr alles erzählen, jede Kleinigkeit und sie soll sich selber ein Bild daraus machen. Immerhin ist das nicht nur das Problem von Scott und mir, sondern auch ihres und vor allem das der ganzen Jäger. Leider ist es kein weiter Weg von dem Haus von Scott zu mir und so bleibt mir nicht viel Zeit meine Wörter zurecht zu legen. Ich muss also ins kalte Wasser springen und hoffen das meine Mutter mir glaubt. Meine schwitzige Hand umgreift den Griff der Haustür. Ich werfe einen Blick zurück auf unser vom Dunklen umhülltes Grundstück. Es waren nur noch Umrisse zu erkennen und einzelne beleuchtete Stellen von Laternen. Was Alex wohl macht? Ich setze einen Schritt vor und kicke etwas gegen die Tür. Mein Handy. Das hat er also gemacht. Ich hebe es auf und habe verpasste Anrufe meines Vaters, so wie eine SMS. Mit einem lauten Seufzer drücke ich die Türklinke runter. Im Flur ist es Dunkel aber der Fernseher gibt leise Geräusche von sich und leuchtet.
Und plötzlich steht nicht ihre Mutter vor ihr, sondern das Antlitz ihres Vaters.
"Was willst du hier?", knurre ich sofort und schließe die Tür hinter mir. Meine Hand krampft sich um das Handy.
"Lass mich das alles erklären, Gracy", beginnt mein Vater und sieht mich mit schuldgefüllten Augen an. Ich schüttele wild den Kopf.
"Ich will nichts hören." Ich hole tief Luft. "Mum!", schreie ich so laut ich kann. Ein paar Sekunden später stehen Jesper und meine Mutter auf dem Flur und sehen mich entgeistert an.
"Grace", mahnt mein Vater. Inzwischen sehe ich nicht mehr Schuld in den mir bekannten Augen, sondern Angst.
"Sag es ihnen", flüstere ich und sehe zu meiner Mund und Jesper. Gleich werden sie es erfahren und die Welt wird zusammen brechen. Für uns alle. Inzwischen hatte ich selber keine Angst mehr um ihn. Wahrscheinlich wusste er ganz genau was er tat. Es hat gedauert bis ich die gesamte Situation im Cooperhaus analysieren konnte, aber es hat dazu geführt, dass ich meinen Vater nur noch als Betrüger sah. Ich weiß nicht wofür er es getan hat oder was ihn angetrieben hat. Die Tatsache, dass er unsere Familie betrogen hat, reicht. Mein Vater sieht nach oben zu den restlichen Mitgliedern unserer Familie.
"Wenn du es ihnen nicht sagst, dann mach ich es. Mum, Dad hat...", fange ich an.
"Es tut mir leid, Liebling. Aber ich habe eine Affäre mit Sancha Cooper." Ich sehe zu meiner Mum, sehe wie sie kreidebleich im Gesicht wird und nach Luft schnappt. Jesper sieht meinen Vater angeekelt an.
"Was gibst du da für ein Bullshit von dir, Dad? Vögelst du echt diese... diese Vampirin?" Mein Vater sieht mich an.
"Unsere Familie hätte so weiter leben können, ohne Angst in den Krieg gezogen zu werden. Und das ist alles deine Schuld, Grace", zischt er mir zu. Sein Blick ist weder mit Liebe gefüllt, noch mit einer Väterlichen Wut.
"Liebling!" Mein Vater hastet die Treppen hoch. "Es tut mir leid. Ich wollte unsere Familie schützen!"
Jesper tritt einen drohenden Schritt nach vorne.
"Fass mich nicht an. Ich will nichts mehr von dir hören. Wann hast du gelernt mit deinen Feinden zu schlafen?" Meine Mutter schüttelt fassungslos den Kopf. "Verschwinde. Ich brauche Zeit zum Nachdenken. Du hast uns alle verraten. Nicht nur deine Familie, sondern auch die Hunter. Und selbst wenn ich dir verzeihe, sie werden es nicht tun. Geh!" Sie macht auf dem Absatz kehrt und verschwindet im Schlafzimmer.
"Du hast gehört was Mum gesagt hat. Hau ab." Jesper deutet nach unten Richtung Tür. Mein Vater wirft einen letzten Blick auf die Schlafzimmertür und läuft die Treppen hinunter. Er ignoriert mich und geht an mir vorbei. Wahrscheinlich trifft er sich mit seiner neuen Weggefährtin. Die Haustür schließt sich hinter ihm mit einem Knall und eine unangenehme Stille breitet in unserem Haus aus.
"Geh ins Bett, Gracy. Wir reden morgen über den Vorfall", sagt Jesper und sieht mich vom Treppengeländer aus liebevoll an. Ich schüttele den Kopf.
"Ich kann nicht. Scott und ich haben die Vermutung, das sein Vater ebenfalls eine Affäre mit Sancha Cooper hatte. Was machen wir denn jetzt?"
"Ich weiß es nicht, Grace. Wir besprechen es morgen in der Schule."
Oh ja. Schule. Und ich habe inzwischen ganz vergessen, dass sie belagert ist von Sancha Coopers gesamten Familie.
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Etwas Verträumt
VampireWas wäre, wenn alle um dich herum sich plötzlich seltsam benehmen? Wenn dein bester Freund behauptet es gäbe Vampire? Und Menschen grundlos verschwinden? Verträumt, tollpatschig, naiv, ahnungslos - Diese Worte beschreiben Grace Harper als sie nach...