Kapitel 10 - Kuriose Tanzeinlage mit einer Freundin

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"Warum malst du so etwas?" Mit zitternden Händen blättere ich weiter. Die Bilder erschlagen mich. Meine Gedanken schlagen Purzelbäume. Kreaturen mit blutverschmierten Fratzen und Klauen springen mir entgegen. Annabelle hat wirklich einen seltsamen Stil zu Zeichnen. Dabei wirkt sie so unscheinbar. Ich lasse mein Blick über sie gleiten.

"Keine Ahnung. Nicht jeder Künstler weiß was er zeichnet." Sie zuckt mit den Schultern und wendet sich von mir ab. Ich glaube, dass ich auch Angst hätte, wenn ich solche komischen Sachen malen würde.

"Sie sind doch ganz." Ich stocke kurz. "Nun ja schön!" Ich versuche fröhlich zu klingen, aber diese Monster verfolgen mich jetzt schon in meinen Träumen. Eine gute Freundin würde jetzt ganz schnell das Thema wechseln.

"Sag mal Anny, was weißt du über die Cooper Zwillinge?", frage ich sie und lege ihre Kunstwerke weg. Dennoch vergesse ich kein einziges Bild davon. Auf jeden Fall würde sie super zu Scott passen, beide haben etwas verrücktes an sich. Annabelle sieht mich an. Ihr Blick verrät mir leider nicht, was sie gerade denkt.

"Ich kenne die Familie Cooper kaum. Bürgermeisterin Cooper ist oft in der Zeitung", entgegnet sie und antwortet leider nicht auf meine Frage. Ich nicke daraufhin nur. Peinliches Schweigen entsteht zwischen uns. Annabelle ist so anders als meine alten Freunde. Mit denen konnte ich über Jungs und Make Up tratschen. Wir haben uns Videos und Filme angeschaut und vor allem haben wir gelästert. Aber dafür ist Annabelle zu brav.

"Meinst du ich soll mich bei Scott entschuldigen?", versuche ich das Schweigen zu brechen. Sie setzt sich neben mich aufs Bett und nimmt ihre Zeichenmappe auf den Schoß.

"Ich kenne Scott leider auch nicht so gut, aber ich glaube ihr werdet das klären. In Situationen wie solchen sollte die Familie zusammenhalten." Weise Worte hat das Mädel wirklich drauf.

"Es fühlt sich aber alles so falsch an. Wieso machen die so einen großen Wind daraus, dass ich mich mit ein paar Kerlen unterhalte oder dass wir eine Familie sind? Ich verstehe das ganze einfach nicht." Inzwischen sind wir wohl wieder bei dem altbekannten Thema angekommen. Dem Verrat meiner Familie, der tief in meinem Herzen verankert ist.

"Scott musste dafür bestraft werden. Ich hab ihm vertraut und ich dachte, er könnte ein guter Freund von mir werden. Genau so wie du." Ich sehe Annabelle an, die mich ebenfalls anschaut. Ich warte wieder auf eine Reaktion. Wenn sie nun wegschaut, weiß ich, dass sie nicht so denkt. Doch sie schenkt mir ein leichtes Lächeln.

"Ich werde versuchen dir eine gute Freundin zu sein, Gracy", sagt sie etwas steif aber ich verstehe die Worte dahinter und mein Spitzname aus ihrem Mund entlockt mir ein Lachen. Also werfen wir alle Probleme von uns. Ich schalte die Stereoanlage in Annabelles Zimmer an und wir hören lautstark die neusten Hits und singen und tanzen ein wenig. Im Anbetracht der Tatsache, dass Annabelle stock und steif einfach nur von einer Stelle auf die andere tritt und ich mit wild fuchtelnden Armen tanze, geben wir wohl einen wirklich außergewöhnlichen Anblick ab.


Ich beschließe also am nächsten Morgen mich auf jeden Fall bei Scott für meine bösen Worte zu entschuldigen. Doch im Gegenzug werde ich das Gleiche von ihm auch erwarten. An der Bushaltestelle entdecke ich ihn wie immer in seinem Buch vergraben. Jesper bleibt etwas abseits stehen, während ich zu ihm gehe.

"Können wir nachher reden?", frage ich ihn mit netter Stimme und lächle dabei. Scott sieht von seinem Buch auf. Sein blaues Auge ist immer noch deutlich zu erkennen, jedoch nimmt es inzwischen einen leicht grünlichen Ton an, was eigentlich echt gut zu seinen braunenAugen und den blondenHaaren passt.

"Mittagspause?", fragt er zurück. Er schaut mich verschmitzt an, anscheinend hat er mir bereits verziehen. Ich nicke ihm zu und lasse ihn weiter lesen, doch ich weiß, dass wir uns vertragen werden.


Nach langen Stunden der Quälerei klingelt es endlich zur Mittagspause. Scott und ich treffen uns vor dem Ausgang zum Pausenhof.

"Nett, dass du an mich gedacht hast, Lämmchen", begrüßt er mich. Wir gehen nach Draußen und lassen den Blick über die Rasenfläche gleiten. Trotz mancher Regentage hat der September noch ein paar Sonnenstrahlen für Bloomfield über und das genießen die Schüler. Nach den langen Sommerferien hat man immer noch nicht genug von der Sonne.

"Es tut mir leid, was ich zu dir gesagt habe. Das war wirklich ziemlich scheiße", murmele ich kleinlaut und blicke zum Himmel hinauf. Wir setzen ein Schritt nach dem anderen über die Rasenfläche

"Ich habe dir doch schon längst verziehen. Trotzdem finde ich es nicht so geil, dass du dich mit Cooper triffst." Ich grinse ein wenig und stupse Scott an.

"Also es ist der nette Cooper, nicht der dem du dein Veilchen zu verdanken hast, das übrigens super zu deinem Aussehen passt!" Scott schüttelt den Kopf und lacht leise.

"Ich hasse deine vorlauten Bemerkungen, Harper." Ich zucke mit den Schultern und muss wieder lächeln. Unser Verhalten gegenüber ist fast wieder wie vorher. Das Genecke habe ich wirklich vermisst.

"Und ich hasse deine Sorge um mich. Warum?"

Scott wartet einen kleinen Moment und wir bleiben stehen. Unser Mittagessen halten wir in der Hand. Er sieht von rechts nach links und dann zu mir. Was macht er da jetzt so ein Tumult draus?

"Du wirst mir das nicht glauben, Grace." Nervös fährt er sich durch sein blondes Haar und wiegt den Kopf hin und her.

"Die Coopers sind Vampire." Meine Antwort ist schallendes Gelächter. Ich halte mir den Bauch vor Lachen. Ich hätte mit einer Ausrede wie: Ich stehe auf dich oder keine Ahnung was gerechnet, aber so etwas? Ich lache immer noch und werfe mich dabei vor und zurück. Scott steht gepeinigt da und rauft sich beleidigt die Haare.

Langsam beruhige ich mich und sehe die Miene von Scott. Ich packe mein Sandwich aus der Folie aus und beobachte ihn weiter. Inzwischen lächelt auch er über meine Reaktion.

"Es gibt keine Vampire", sage ich eher zu mir selbst als zu ihm. Genüsslich nehme ich einen Bissen von meinem  Sandwich. Die Mittagspause ist immer eine Zeit auf die ich gerne hinarbeite.

"Grace manchmal muss man hinter den Vorhang sehen", entgegnet er und entblößt ein freches Grinsen.

Ich zucke mit den Schultern. "Und vielleicht solltest du mal mehr in dein Chemiebuch schauen, als in diese komischen Fantasyromane."

"Diese Romane sind weder komisch noch fiction", murmelt er leise und blickte von mir weg. Seine Hände liegen ineinander und er knetet sie nervös. Wie immer ist sein Blick überall. Immer muss er die komischen Leute auf unserem Schulhof observieren. Wir gehen über den Rasen, es ist ein wunderschöner Septembertag. Nicht zu warm und nicht zu kalt.

"Manchmal frage ich mich echt, warum du so ein komischer Kautz bist." Ich lache und versuche ihn damit aufzuziehen, aber er reagiert gar nicht mehr. Er schaute einfach nur gerade aus, mit einem starren Blick nach vorne.

Mit gerunzelter Stirn folge ich dem, worauf er schaut. Eine Gruppe von Jungen. Und dann er mitten drin. Nicht er neben mir, sondern ein anderes er. Adam Cooper, gutaussehend, sportlich, Mädchenschwarm, toll, wunderschön und so weiter.

Wir bleiben abrupt stehen. "Ich hasse ihn", murrt mein Gesprächspartner. Seine Hände haben sich inzwischen zu Fäusten geballt. Das Gespräch von vorhin war wie vergessen.

"Scott du musst nicht jeden hassen, der besser aussieht als du." Wieder lache nur ich und verstehe langsam, dass meine Witze unangebracht und schlecht sind.

Die beiden sehen sich an. Ihre Blicke ringen miteinander, obwohl mehrere Meter zwischen ihnen liegen. Würde ich es nicht besser wissen, wäre ich auf die Idee gekommen, die beiden würden aufeinander stehen. Aber das Verhältnis zwischen den beiden werde ich wohl nie verstehen.

Scott sieht mich an. "Halt dich bloß fern von ihm. Er bringt das Unglück mit sich."

"Ja natürlich. Und wahrscheinlich ist er Mr.Obervampir mit seiner unwiderstehlichen Aura!" Der Blick von Scott macht mir in dem Moment ziemlich Angst. Aber er schaut meistens so skrupellos drein.

"Da liegst du gar nicht so falsch, Lämmchen."

Etwas VerträumtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt