Alex ist sofort bei mir. Die Weinflasche wird achtlos auf der Theke abgestellt. Seine Hände ruhen auf meiner Schulter.
"Ist alles in Ordnung?", fragt er besorgt. Ich nicke zögernd. Meine Gedanken wollen sich nicht auf ihn konzentrieren. Am liebsten würde ich Adam hinterher rennen und ihn anbrüllen. Ihm erklären, warum ich mich für seinen Bruder und nicht für ihn entschieden habe. Ich schüttele den Kopf um die Gedanken fort zu schleudern.
"Wein, bitte", krächze ich. Alex nimmt die Weinflasche, holt galant zwei Weingläser aus einem Schrank, öffnet den Korken und gießt uns etwas ein. Es ist ein etwas älterer lieblicher Rotwein, was ich unschwer am Etikett erkennen kann. Eigentlich ist Wein nicht meins, aber gerade in diesem Moment brauche ich welchen. Nicht, weil ich die Gesellschaft von Alex ohne nicht schaffe, sondern weil ich in einem Haus von Vampiren sitze, der böse Bruder hier irgendwo lauert und die Gefühle für ihn verrückt spielen. Wir prosten uns zu und ich nehme einen großen, sehr großen Schluck.
"Worüber haben du und Adam geredet?", fragt Alex beiläufig. Seine Augen sehen dabei zur Seite und er nippt dabei an seinem Glas. Seine Körperhaltung ist angespannt. Ich entschließe mich dazu ihm nur die Halbwahrheit zu sagen und hoffe stark darauf, dass Gedankenlesen bei Vampiren wirklich nur Fiktion ist.
"Noch ein Mal über die Tatsache mit deiner Mutter und Scotts Vater", murmele ich und seufze. "Diese ganze Geschichte ist scheiße." Er nickt zustimmend und führt mich ins Wohnzimmer aufs Sofa.
"Ich will mehr über eure Rasse erfahren, Alex. Kannst du mir ein paar Fragen beantworten?" Er nickt wieder. Sein Arm liegt über meinen Schultern. An meiner nackten Haut am Oberarm, spüre ich seine Finger ihre Kreise ziehen.
"Warum kann die Sonne euch nichts anhaben? Bei Twilight glitzern die Vampire, bei Vampire Diaries brauchen sie Tageslichtringe. Was ist wahr?" Alex lacht laut auf.
"Nichts von beidem. Sonnenlicht ist für uns einfach nur sehr schädlich und Kräfteraubend. Die UV-Strahlen entziehen uns sozusagen über die Haut Energie. Wir verbrennen nicht, aber sind kraftloser und langsamer. Außerdem sehen wir viel schlechter und können so, zum Beispiel, mögliche Angriffe übersehen. Es sind wirklich nur Kleinigkeiten, die uns von euch Menschen unterscheiden", erklärt er mir sachgerecht. So wie er es beschreibt, klingt es wirklich nicht wie ein Unterschied.
"Warum müsst ihr euch von Blut ernähren?" Alex runzelt die Stirn; seine Lippen kräuseln sich dabei etwas.
"Unsere Rasse geht weit in die Zeit zurück. Irgendwann haben die Vampire wahrscheinlich gemerkt, dass sie von Gemüse keine Energie und Kraft erhalten. Blut hingegen, löst in uns einen regelrechten Schub aus. Für euch Menschen schmeckt es nach Metall, nicht wahr?" Ich nicke. "Für uns schmeckt jedes Blut anders. Je nachdem, welche Stimmung der Mensch hat."
"Also schmeckt ihr sozusagen die Hormone?", frage ich belustigt.
"Ja sozusagen."
"Welches 'Gefühl' schmeckt am besten?" Er nimmt einen großen Schluck Wein, bevor er antwortet. Alex sucht meinen Blick. Ein verlegenes Lächeln kommt zum Vorschein.
"Die meisten Vampire sagen, wenn man sich liebt und dabei voneinander, nun ja... trinkt, schmeckt es am intensivsten", murmelt er kaum hörbar. "Blutgruppen spielen natürlich auch eine Rolle", fügt er schnell hinzu. Wir spülen beide die Aussage mit einem Schluck Wein hinunter.
"Welche Blutgruppe magst du am liebsten?", versuche ich das Thema zu lenken. Alex sieht in die Ferne.
"Null negativ. Das seltenste ist das begehrteste. Was meinst du, warum es so wenig Menschen mit null negativ gibt?" Meine Augen weiten sich.
"Nicht dein ernst?", entfährt es mir. Vampire nehmen uns die Universalspender, dabei sind diese am nötigsten gebraucht! Alex stimmt mir zu und zuckt mit den Schultern.
"Deswegen sollte man in großen Städten aufpassen. Es gibt richtige Firmen, die von Vampiren geleitet werden. Diese entführen vor allem Menschen mit null negativ und verkaufen diese an mächtige Vampire mit viel Geld und Einfluss. Wenn sie dem Geschmack des Menschen leid sind, werden diese an die Fabriken weiter verkauft." Ich hole tief Luft. Das klingt alles nach einem Horrorfilm. Vor meinem inneren Auge hängen die Menschen, wie tote Schweine, an einem Hacken und werden durch die Luft gezogen. Wahrscheinlich übertreibt meine Vorstellung, aber wie soll es sonst ablaufen? Die Tatsache, dass vielleicht Freunde, die auf ein 'Internat' gegangen sind, eigentlich entführt wurden.
"Das ist ja schrecklich, Alex. Warum tut ihr so etwas?"
"Es gibt zu wenig freiwillige Spender. Und bis jetzt hat sich keiner beschwert, außer natürlich die Hunter. Vampire sind sehr gut im vertuschen und die meisten Fabriken oder Orte an denen die Menschen festgehalten werden, sind unterirdisch. Dort lauern die meisten Vampire, da wir dort klar im Vorteil sind. Menschen brauchen das Sonnenlicht. Oder würdest du dich in einer tristen, grauen Welt wohlfühlen?"
"Nein. Das würde ich tatsächlich nicht. Ich bin ein Mensch, der gerne Mal in Winterdepressionen verfällt." Wir müssen beide grinsen. Ich sehe ihn an.
"Schlägt dein Herz eigentlich?", frage ich ihn. Wenn ich Adam sehe, spielt mein Herz verrückt. Mein Puls schießt unkontrolliert in die Höhe und ich frage mich immer wieder, ob es bei ihm auch so ist.
"Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Wir werden ja oft als 'Untote' bezeichnet, was wir auch mehr oder weniger sind. Ein Schuss ins Herz wird uns nicht umbringen. Unser Blut besteht aus Substanzen, welche auf sehr viele Stoffe toxisch wirken. Außer pures Silber kann alles von unserem Körper absorbiert werden. Das Blut muss aber auch transportiert werden. Also schlägt unser Herz bei Wunden. Es pulsiert dann auf, wenn es merkt, dass irgendwo im Körper mehr toxisches Blut gebraucht wird."
"Also könnte man euch töten, in dem man pures Silber in eure Blutbahn infiltriert?" Eine Augenbraue von Alex zuckt nach oben.
"Ja du hast dir eine der schwersten Methoden ausgesucht. Aber das würde gehen. Leichter wäre es, uns eine Waffe aus Silber direkt ins Herz zu stoßen. Feuer ist auch eine Möglichkeit. Und natürlich pure UV-Strahlen." Ich nicke. Das sind viele Informationen und alles wird mir klarer. Das meiste weiß Scott sicherlich schon, aber mir hat es die Augen geöffnet. Meine Blase fängt an zu drücken; ob Vampire auch auf Toilette müssen? Die Frage lass ich lieber.
"Wo ist das Badezimmer noch ein Mal?" Alex deutet mit dem Finger an die Decke.
"Treppe hoch, rechts rum und dann die Tür am Flurende." Ich stelle das Weinglas ab und gehe nach oben. Hoffentlich begegne ich Adam nicht und vor allem keinem anderen der Vampire. Ich will gerade die Tür zum Badezimmer öffnen, als ich rechts von mir ein Gekicher vernehme. Das Lachen kommt näher. Schnell drücke ich den Türgriff runter und husche ins Badezimmer. Aus Neugier lasse ich einen Spalt offen und linse hinaus.
Die Tür rechts von mir öffnet sich. "Die Jungs sind noch da. Der Rest ist außer Haus", höre ich eine weibliche Stimme. Als sie in mein Blickfeld gelangt, erkenne ich Bürgermeisterin Cooper. Sie dreht sich um und blickt in die geöffnete Tür aus der sie gekommen ist.
"Soweit läuft alles nach Plan." Es ist eine Männerstimme, die ich sehr gut kenne. Mit diesem Mann habe ich mein ganzes Leben verbracht.
Es ist mein Vater. Er gelangt ebenfalls in mein Sichtfeld. Ich stolpere einen Schritt rückwärts. Um Gottes Willen, was macht er hier? Er ist doch nicht etwa in die gleiche Falle, wie Scotts Vater getreten? Ich sehe, wie er sich sein Hemd zuknöpft und muss schlucken. Anscheinend habe ich ein Geräusch gemacht. Die Augen von Sancha Cooper sehen mich wütend an. Tür zuschlagen oder wegrennen? Die Optionen schweifen durch meinen Kopf. Mein Vater folgt ihrem Blick. Überraschung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Flinkt knöpft er die letzten Knöpfe zu, aber ich habe dieselben roten Punkte, wie bei Scotts Vater gesehen.
Bevor beide etwas sagen können, stürme ich an ihnen vorbei, stolpere die Treppe runter und renne so schnell ich kann davon.
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Etwas Verträumt
VampireWas wäre, wenn alle um dich herum sich plötzlich seltsam benehmen? Wenn dein bester Freund behauptet es gäbe Vampire? Und Menschen grundlos verschwinden? Verträumt, tollpatschig, naiv, ahnungslos - Diese Worte beschreiben Grace Harper als sie nach...