Lauer

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Selbst Sport kann den Tribut von Vampiren fordern. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht jeden Tag meine Fähigkeiten zu trainieren. Sehen, wie ein Adler; das Fallen einer Nadel aus weiter Entfernung hören; sich so leise und elegant bewegen wie eine Katze; besser jagen als sonst ein Lebewesen auf diesem Planeten.

Ich spüre ihre Anwesenheit, bevor ich sie überhaupt sehe. Mein Blick fällt auf das Küchenfenster vor mir. Mein Bruder hat anscheinend unsere herzallerliebste Gracy in die Höhle des Löwen geholt. Ich entledige mich meines T-Shirts und gehe durch den Hintereingang in die Villa.

"Ich gehe uns eine Flasche Wein holen, wenn du nichts dagegen hast", höre ich Alex sagen. Ein siegessicheres Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht. Die letzte Begegnung mit Grace ist nicht gerade gut verlaufen. Sie hat sich offensichtlich für Alex entschieden, was nicht bedeutet, dass ich aufgebe oder den Drang nach ihr unterdrücke. Natürlich will ich keinen gegen mich aufbringen - vor allem nicht Alex - aber ich begehre diese Frau und werde jedes Ass ausspielen, um wenigstens noch ein Mal ihre Zuneigung zu gewinnen.

Ich betrete mit einem breiten Grinsen die Küche. Der Blick von Grace fällt sofort auf mich. Mein Auftreten quittiert sie sofort mit einem Augenrollen.

"Was machst du denn hier, Grace? Kannst nicht genug von uns bekommen, was?" Ich schmunzele und lehne mich gegen eine Theke. Sie sitzt vor mir an der Kücheninsel auf einem Barhocker.

"Ich habe keinen Bedarf mit dir zu reden", bringt sie hervor. Ihre Augenlider flattern etwas; ich kann das Zittern in ihren Fingern sehen. Das schnelle Schlagen ihres Herzens verrät sie, was mir ein noch breites Grinsen entlockt. Ich lausche, ob mein Bruder kommt, aber er dringt gerade tief in den Keller ein, um den perfekten Wein zu finden.

"Dir bleibt nichts anderes übrig", murmele ich und lehne mich nach vorne zu ihr. "Erzähl mir, was du hier machst."

"Ich wusste gar nicht, dass Vampire schwitzen können", lenkt Grace vom Thema ab. Ich lache und lasse meinen Blick über ihr Gesicht gleiten. Ihr abweisender Blick und das gleichzeitige Feuer in ihren Augen entlockt mir einen tiefen Atemzug. Anscheinend bemerkt sie meinen Blick; sie senkt ihren und holt ebenfalls tief Luft. Ich entscheide mich dafür, meine Art nicht zu ändern.

"Dafür, dass du dich für meinen Bruder entschieden hast, siehst du mich aber ganz schön gierig an, Gracy", knurre ich und lege den Kopf etwas schief. Nervös blickt sie zur Kellertür. "Alex wird noch etwas Zeit brauchen." Ich gehe um die Inseltheke herum und stelle mich hinter sie. Meine rechte Hand wandert zu ihrem Knie, wo ich mit forschen Fingern ihren Oberschenkel erkunde. Sie muss noch ein Mal tief Luft holen.

"Saugst du mich auch aus und tötest mich, wenn ich eine Affäre mit dir anfange?", fragt sie mit kehliger Stimme aus heiterem Himmel. Ich runzele die Stirne und drehe ihren Stuhl zu mir.

"Wieso 'auch'?" Sie schluckt und sieht auf den kahlen Boden.

"Deine Mutter hat Scotts Vater getötet", murmelt sie. Sie beschuldigt meine Mutter einen Hunter getötet zu haben? Die Aussage zwingt mich dazu Abstand zu nehmen; Wut steigt in meinem gesamten Körper auf und lässt meine Sinne noch schärfer werden. Meine Zähne drohen hervorzukommen. Die Wut kann einen zerreißen, wenn man sie als Vampir nicht kontrollieren kann. Gefühle sind Fallen, die einen gerne zu spontanen und ungewollten Aktionen herausfordern.

"Wieso behauptest du so etwas?", frage ich sie und versuche nicht drohend zu klingen. Ihre Augen weiten sich und sie schüttelt den Kopf. Wieder sieht sie zur Kellertür. Das Herz von Grace hüpft wie das eines ängstlichen Tieres. Wie gerufen öffnet sich die Tür zum Keller und Alex kommt hervor. Sein Blick fällt sofort auf mich. Mein Bruder kennt mich; er weiß, wie ich ticke und Disziplin in solchen Momenten, nicht gerade meine Stärke ist.

"Was ist hier los?" fragt er und wechselt den Blick zu Grace. Sie sinkt wieder in den Stuhl und seufzt kaum hörbar.

"Deine Freundin macht sich hier etwas breit. Was fällt dir ein dieses Menschenmädchen hier anzuschleppen?" Ich schaue dabei nicht Alex an. Grace hat es verdient, gedemütigt zu werden. So wie sie es bei mir tut. Sie hält mich bei Laune mit ihren unschuldigen Bemerkungen und gleichzeitig stößt sie mich von sich. Ich drehe mich um und gehe. Lange werde ich mich nicht mehr zusammenreißen. Auf der Lauer liegen ist das eine; zugreifen, weil man im Vorteil ist, das andere.

Und ich werde zugreifen.

Es könnte jeden Moment so weit sein.

Etwas VerträumtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt