Kapitel 15 - Bin ich hier im Irrenhaus? Medium und Ghostbuster

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Meine Füße springen wie von selber über einen Holzzaun und ich lande mit einem Satz mitten im Garten eines Nachbarn. Eine Person klopft gegen die Terrassentür und wedelt mit seiner Hand vor dem Gesicht. Doch ich reagiere nicht darauf und renne keuchend weiter. Was wenn Jesper und Scott etwas zugestoßen ist?

Durch meine verwirrten Gedanken gerate ich ins Stolpern. Mit einem Satz lande ich bäuchlings auf dem Asphalt und schürfe mir mein Kinn, die innen Handflächen und meine Jeans auf. Tränen laufen mir über die Wange und vermischen sich mit dem Blut von meinem Kinn. Das Adrenalin in meinem Blut zwingt mich dazu, wieder aufzustehen und weiter zu rennen.

Unter Schmerzen erreiche ich unser Haus, stürme über die Auffahrt und krache gegen die Tür, die sich sofort öffnet. Ich nehme keine Stimmen wahr und stolpere in die Küche.

Ich sehe meine Mutter mit einer Tasse in der Hand, hinter ihr steht die Mutter von Scott und über den Küchentisch gebeugt stehen sie. Scott, Jesper, mein Vater und sein Vater.

"Ist das euer Ernst?", frage ich mit einer so ruhigen, fassungslosen Stimme, die ich selbst nicht wieder erkenne.

"Das waren sicherlich die Coopers", sagt Scott noch, bevor alle auf mich schauen. Meine Hände zittern immer noch und ein dauerndes Pochen geht durch meine Verletzungen.

"Oh gott!", stößt meine Mutter einen markerschütternden Schrei aus. "Gracy, was ist passiert?" Zitternd stellt sie ihre Tasse ab und kommt mit offenen Armen auf mich zugelaufen. Doch bei mir angekommen, weiß sie nicht wohin mit ihren Händen. Abwehrend hebe ich die Hände. Inzwischen habe ich gemerkt, dass alles was hier passiert ein Geheimnis ist und ich die einzige bin, die nichts darüber weiß.

"Ich will wissen was los ist. Was waren die Coopers?"

Scott sieht mich an und lächelt grimmig. "Das mit der Veröffentlichung des Artikels", murmelt er und zuckt mit den Schultern. In seinen Augen kann ich klar und deutlich sehen, dass ich wieder angelogen werde.

"Und warum steht ihr dann alle hier wie eine Gang?", frage ich und trete etwas näher heran. Meine Mutter verzieht das Gesicht, ich verteile Blut, welches aus meinem Kinn tropft, über den frisch gewischten Boden.

Nervös fährt mein Bruder sich durch sein Haar. "Nun ja. Das hat uns sehr erschüttert. Einer der Jungs ist in meinem Football-Team und der andere ist ein guter Bekannte von Scott", stottert Jesper und blickt hilfesuchend zu meinem Vater.

"Mach dir keine Sorgen, Grace. Es ist nichts schlimmes. Geh mit deiner Mutter nach oben und lass deine Wunden versorgen." Es klingt fast wie ein Befehl und ich kann es nicht fassen. Es ist nichts schlimmes? Ich soll mir keine Sorgen machen? Ich bin gerade mehrere Kilometer am Stück gerannt, bin schweißgebadet, blutig und habe keine Kraft mehr.

"Ich soll mir keine Sorgen machen?", flüstere ich. "Keine Sorgen machen?", schreie ich schon fast. Vater hebt beschwichtigend die Hände. Doch Scott kommt ihm zuvor und drängt sich dazwischen. In seinen Augen lodert pures Feuer.

"Wir haben jetzt keine Zeit für deine Mädchenausbrüche. Ich muss zu einer Freundin, was erledigen", sagt er zu seinem Vater gewandt, der wissend nickt. Mädchenausbrüche? Ich packe den Arm von Scott und funkele in wütend an. Aus irgendeinem Grund weiß ich plötzlich wo er hin will. Zwei verschwundene Männer, zwei Leichen auf blutroten Hintergrund und Samstag Nacht hat Annabelle es gezeichnet. Scott versucht meinen Arm abzuschütteln und läuft einfach vorwärts. Ich stolpere ihm durch die Tür hinter her.

"Willst du zu Anny?", frage ich ihn und ziehe mit einem Ruck an seinem Arm. Mein Cousin bleibt stehen und sieht mich an.

"Ja, ich gehe zu Annabelle und du wirst mich nicht daran hindern."

"Was willst du bei ihr, Scott? Sie hat damit doch gar nichts zu tun!", versuche ich Annabelle zu verteidigen. Sie ist doch keine Entführerin! Scott schüttelt den Kopf.

"Manchmal bist du echt dämlich, Grace. Ich denke auch nicht, dass sie die Entführerin ist." Er seufzt und blickt mich an. "Annabelle ist ein Medium. Sie kann in die Zukunft sehen." Und wieder passiert es mir - ich fange schallend an zu lachen.

"Hast du getrunken?", pruste ich hervor und halte mir den Bauch. "Du bist so verrückt, Scott." Das Lachen will nicht aufhören, es vermischt sich mit den Schmerzen und mit meinen Tränen. Es fühlt sich an wie ein Wirbelsturm aus lauter Emotionen.

"Jetzt hör mir doch mal zu!", schreit Scott mir ins Gesicht, seine Hände sind um meine Schultern gespannt und er schüttelt mich grob. "Du hast von nichts in dieser verdammten Welt eine Ahnung. Also vertrau mir einfach mal!" Mit scheckgeweiteten Augen sehe ich ihn an. Anhand der Schwere meiner Glieder und dem dumpfen Gefühl in meinem gesamten Körper, merke ich, dass ich nichts mehr zu sagen habe.

Ohne ein Wort zu sagen, geht er auf die Straße und ich folge ihm mit langsamen, trägen Schritten. Ein Medium? Was redet er da? Wie kann ein Mensch so ernst gegenüber solchen Themen sein. Es gibt keine Vampire, keine Hexen, keine Werwölfe oder sonst irgendwelche Vampire-Diaries und Twilight Wesen. Das kann ich nicht glauben.

Wir kommen am Haus von Annabelle an und Scott drückt auf die Klingel. Er beachtet mich gar nicht, wirft mir weder einen Blick zu, noch fragt er überhaupt wie es mir geht. Und ich habe mir Sorgen um ihn gemacht und um sein Tod gefürchtet. Annabelle öffnet uns die Tür und ist sichtlich verwirrt, als sie uns sieht. Ihre Miene wechselt zu einem schockierten Blick, als ihr Blick auf mein blutiges Auftreten fällt.

"Was macht ihr denn hier?", fragt sie mir ihrer ruhigen, mädchenhaften Stimme. Scott schreitet ihr entgegen.

"Was weißt du von den Leuten, die vermisst werden und die du Samstag Abend gezeichnet hast?", sagt er hitzköpfig. Annabelle hat Angst, sie guckt wie ein kleines Kaninchen. Ihre Schultern sinken nach vorne und ihr Blick schießt auf den Boden.

"Jetzt rede mit mir, Annabelle! Ist dir das schon Mal passiert? Hast du schon Mal so etwas gezeichnet?", schreit er sie mit lauter Stimme an. Ich lege ihm grob eine Hand auf die Schulter.

"Scott, es reicht!", zische ich und versuche Annabelle entschuldigend anzusehen. Doch ihr Blick geht starr auf den Boden, wie in Trance und angespannt steht sie dort. Eine Frau mit einem langen Rock und roten Dread-Locks kommt hinter ihr hervor.

"Sie hat schon immer so etwas gezeichnet, junger Mann. Das ist kein Grund deswegen so mit ihr umzuspringen." Ihr Blick teilt Scott etwas mit und er scheint zu verstehen. Für mich ist das alles so ein Humbug. Ich nehme Annabelle in den Arm und Scott verschwindet mit der Mutter. Die einzige Möglichkeit mehr zu erfahren, ist es die beiden zu belauschen.

"Warte hier, Anny." Ich ziehe sie in den Flur und schließe die Tür hinter uns. Scott und Annabelles's Mutter sind in die Küche gegangen und haben die Tür verschlossen. Nervös aber entschlossen lege ich mein Ohr an die Tür und kann das dumpfe Gespräch nachverfolgen. Es raschelt, die Stimmen dringen kaum zu mir durch.

"Meine Tochter kann in die Zukunft sehen. Genau wie ich", höre ich die Frau mit ernster Stimme sagen. Ein ungläubiges Lächeln legt sich auf mein Gesicht. Das kann doch nicht wahr sein. Sind hier denn alle Freaks?

"Ihr solltet mit uns zusammenarbeiten, Mrs. Wir könnten eure Hilfe gut gebrauchen", sagt Scott ebenfalls ernst. Wer ist uns? Und was geht hier vor? Ist Bloomfield eine Stadt oder ein Irrenhaus?

Scott und ich reden auf dem Rückweg kein Wort mehr miteinander. Ich kann ihm nicht glauben und er hat keine Kraft mehr gegen mich anzureden. Mein ganzer Körper schmerzt. Inzwischen hat sich Schorf über meine Wunden gebildet. Ich sehe wohl aus wie ein Opfer einer Vergewaltigung oder so. Es ist bereits dunkel draußen und ziemlich kühl. Leichte Nebelschwaden ziehen auf dem Asphalt vorüber.

"Wir sind Jäger von übernatürlichen Wesen, Grace", sagt Scott aus dem Kontext gerissen.

"Ghostbuster oder was?", frage ich ihn belustigt und ernte einen bösen Blick. Scott bleibt stehen. Ich folge seinem Blick und sehe vier Gestalten vor uns auf dem Weg.

"Lauf", zischt Scott.

Etwas VerträumtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt