Kapitel 29 - Ein Verrat nach dem anderen

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„Eine Party? Scott!", sage ich mit lauter Stimme in den Hörer meines Smartphones und laufe über den Krankenhausflur nach draußen zum Parkplatz.

„Das kannst du nicht machen. Das können wir nicht machen! Da wird es nur so von Vampiren wimmeln!" Ich schüttele den Kopf, auch wenn er es nicht sieht.

„Was hast du vor?" Ich versuche mich zu beruhigen, atme tief ein und aus und lehne mich gegen die Fahrertür des Autos. Mein Blick wandert zum Himmel, der sich langsam rot-orange färbt. All die Ereignisse, der letzten Tage, lassen mich einerseits Zweifeln, auf der anderen Seite motivieren sie mich. Die Versuchung, die Augen wieder zu schließen, war sehr groß. Doch Scott holt mich auf den Boden der Tatsache mit seiner verrückten Idee eine Vampirparty zu crashen.

„Wenn du meinst, das so durchziehen zu müssen, bleibt mir ja nichts anderes über", erwidere ich und lege ohne zu zögern auf. Mit einem kräftigen Ruck öffne ich die Fahrertür und schmeiße das Smartphone auf den Beifahrersitz. Kopfschüttelnd lass ich mich in den Sitz fallen, starte den Wagen und drücke auf das Gas. Auf der Landstraße nehme ich erst gar nicht den Fuß vom Pedal, die Bäume sausen an mir vorbei und meine Nervosität steigt mit jedem Kilometer, den ich näher an Bloomfield komme.
Scott möchte auf die Party von diesen Vampiren. Von den Vampiren, die Samantha angegriffen haben. Nur um ihnen und den Huntern etwas zu beweisen.

In Bloomfield angekommen drossele ich die Geschwindigkeit. Inzwischen ist es dunkel, diese winterliche Dunkelheit, die schon früh einkehrt. Den Wagen stelle ich auf der Einfahrt von Scotts Haus ab und gehe dann den Weg zu unserem Haus hinauf. Licht scheint aus dem Küchenfenster auf den Vorgarten und erhellt mir den Weg.

Leise öffne ich die Haustür und trete ein. „Mum! Bin wieder da", rufe ich durch das Haus.

Sie kommt aus der Küche mit einer Schürze um den Hals und einem Kochlöffel in der Hand.
„Warst du erfolgreich?"

Ich geselle mich zu ihr in die Küche und zucke mit den Schultern. Aus den Kochtöpfen kommt heißer Wasserdampf und meine Mutter rührt kräftig in ihnen.
„Sie haben Samantha einfach so überfallen und ihr die Zähne in den Hals gerammt. Wenn das mal nicht Provokation pur ist, Mum. Der Tag hätte nicht beschissener sein können." Ich raufe mir mit der Hand durch mein braunes Haar.

„Und dann kommt Scott noch mit seiner dämlichen Idee um die Ecke. Hat er dir das schon erzählt?"

Meine Mutter hört auf zu rühren und legt den Kochlöffel auf einen der Deckel. Sie senkt den Blick und sieht dann wieder auf. Anscheinend muss sie sich mal wieder ihre Worte zurecht legen. Aus dem Bauch heraus sprechen kannte meine Mutter als Pädagogin nicht. Alles musste gut durchdacht werden um ja nur Weisheiten weiter zu geben.

„Ich mache mir eher Sorgen um deinen Bruder und Scott, als um dich. Soweit ich weiß gehst du ja mit Alex aus und ich habe so das Gefühl, dass dir niemand etwas antun wird." Sie setzt sich mir gegenüber auf einen Stuhl - auf Augenhöhe kommunizieren.

„Weißt du es oder denkst du es nur?", frage ich sarkastisch und lehne mich mit den Ellenbogen auf dem Tisch ab.

„Das sagt mir meine Erfahrung als Jägerin, Grace. Wir Frauen sind vielleicht nicht stark vom Körper her. Aber weißt du was unsere Waffe ist?"

„Mum! Jetzt fang nicht damit an." Empörung schwingt in meiner Stimme mit und ich ziehe die Augenbrauen zusammen.

„Lass mich ausreden, bitte." Meine Mutter hält kurz inne und lächelt mir ermutigend zu. „Wir sind Frauen und haben unsere Reize. Ich will damit jetzt nicht sagen, dass du... nun ja deinen Körper verkaufen sollst..."

„Mum!"

„Du hast einen Cooper-Sohn auf deiner Seite, also nutze es auch."

„Ich werde Alex ganz bestimmt nicht ausnutzen. Eigentlich sollte ich wegen all dem hier das mit ihm beenden."

Meine Mutter seufzt und geht wieder zu ihrem Essen.

„Vielleicht ist die Party heute nicht der richtige Zeitpunkt dafür", erwidert sie trocken, während sie wieder anfängt in dem Topf zu rühren. Ein genervtes Stöhnen entweicht aus meinem Mund und ich verdrehe die Augen. Meine Mutter schaffte es mal wieder meinen Tag noch schlimmer zu machen.

Ein Klingeln an der Haustür befreite mich vor weiteren spießigen Bemerkungen der Pädagogin. Die Tür ist nur ein paar Sekunden geöffnet, aber ich schaffe es in die Augen meines Vaters zu sehen, nur um die Tür vor seiner Nase wieder zuzuschlagen.

„Grace!", hört man es dumpf hinter der Tür rufen, woraufhin ein Klopfen an die Tür folgte.

Jesper kommt aus seinem Zimmer gelaufen.

„Was will der hier?", knurrt er und läuft die Treppen runter.

„Verpiss dich!"

„Kinder, er ist euer Vater." Meine Mutter hat ihre Schürze abgelegt und kommt in den Flur.

„Er ist ein Verräter, mehr nicht", erwidere ich entschlossen und verschränke die Arme.

„Lass ihn nur reinkommen, Mum und ich drehe ihm den Hals um. Wer sich mit Vampiren zusammen tut, soll das gleiche zu spüren bekommen."

Meine Mutter öffnet die Tür.
„Was möchtest du?", fragt sie unseren Vater, während wir wie eine geschlossene Einheit hinter ihr stehen.

„Du kannst mich nicht von meiner Familie fern halten. Wir sollten alle noch ein Mal reden. Es war ein Fehler Sancha Cooper zu vertrauen, aber ich musste..."

„Du musstest gar nicht, also verschwinde aus unserem Leben, bevor die Hunter dich dafür bestrafen, was du getan hast", knurrt Jesper hervor und drängt sich zwischen Mum und ihn.

„Jesper", murmelt er leise und hebt die Hand. Jesper schlägt sie weg.

„Soll ich mich wiederholen. Verpiss dich."

„Rede nicht so mit mir!", knurrt unser Vater und tritt einen Schritt vor. Jesper stellt sich ihm entgegen. Man spürt förmlich das Testosteron im Spalt zwischen ihnen.
„Ich rede so mit dir, wie ich will du scheiß Verräter." Jesper schupst ihn provokant, woraufhin mein Vater ihn zurück schupst.
„Es reicht", ruft meine Mutter dazwischen, aber die beiden hören nicht.

„Wie konntest du nur? Hast dich als der Anführer dargestellt und deine Familie in nur wenigen Wochen verraten. Nicht nur deine Familie, sondern auch unsere Gemeinschaft und die ganze Stadt. Wahrscheinlich bist du auch noch für den Tod deines Bruder verantwortlich." Jesper spuckte ihm vor die Füße. Anscheinend traf mein Bruder einen wunden Punkt. Das Gesicht meines Vaters verzieht sich, die Pupille verfärbt sich rot und aus seinem Mund entweicht ein Fauchen.
„Du hast dich verwandeln lassen", höre ich Mum flüstern, bevor sie einige Schritte rückwärts stolpert und eine Vase vom Regal holte. Die Vase zerbrach auf dem Boden und hinterließ eine drückende Stille.

Mein Vater stolpert ebenfalls rückwärts. Mum und Dad sehen sich an. Sein Blick wird milder, fast schon reuevoll. Tränen laufen seine Wangen hinunter und er hebt die Hände.
„Es tut mir leid...", flüstert er und verschwindet, so schnell, wie es nur ein Vampir tun konnte.

Etwas VerträumtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt