Kapitel 12 - Nett ist der kleine Bruder von Scheiße

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Ganz wie ein Gentleman bringt Alex mich pünktlich nach Hause. Auf dem Rückweg im Cabrio liegt meine Hand in seiner. Mit dem Daumen fährt er vorsichtig über meine weiche Haut. Ich muss sagen, dass ich mir Händchen halten aufregender vorgestellt habe. Es ist eine schöne Geste, aber so am Anfang hab ich mir selbst da Herzklopfen vorgestellt. Doch das ist nicht der Fall. Alex löst keine Schmetterlinge mehr in meinem Bauch aus.

Über uns herrscht sternenklarer Himmel. Die Luft ist angenehm kühl und eine leichte Brise weht durch meine Haare. Der Abend war wirklich schön. Natürlich habe ich mir was völlig anderes vorgestellt aber ich glaube, dass es nicht so viele Möglichkeiten gibt um in Bloomfield auszugehen. Jetzt weiß ich wenigstens wo sich die Teenager in Bloomfield noch so herumtreiben außer an Lagerfeuern oder in der Schule.

Wir halten vor unserem Haus und Alex sieht mich an. Annabelle und ich sind zu dem Entschluss gekommen, dass ein Kuss auf jeden Fall nicht zum ersten Date dazu gehört.

„Es war ein wirklich netter Abend", entgegne ich und blicke Alex in seine grauen Augen. Wieder fange ich an seine Augen mit denen von Adam zu vergleichen. Sie sind leerer als die seines Bruders, nicht so mit Feuer und Leidenschaft erfüllt. Aber muss das ein schlechtes Zeichen sein? Wünscht man sich nicht eine treue Seele? Mit ihm könnte ich später eine Familie gründen, heiraten und Kinder kriegen, ein Haus kaufen, in den Urlaub fahren. Alles was man mit netten Kerlen machen kann.

„Ich fand es wirklich sehr schön, Grace. Es ist wirklich cool, dass du morgen auch kommst." Er lächelt mich an und drückt meine Hand sanft. Vorsichtig zieht er sie zu sich heran und haucht einen zarten Kuss auf meine Fingerknöchel. Ich fühle mich wie in einem romantischen Film. Ich lächele ihn an.

„Bis morgen", murmele ich kaum hörbar, nehme meine Rose und steige aus. Alex macht keine Anstalten mir zu folgen oder mich zur Tür zu begleiten. Langsam gehe ich den Weg zur Eingangstür entlang und blicke mich noch ein Mal zu Alex um. Er lächelt so liebevoll und verliebt, dass es mir fast schon leid tut, weil ich nichts für ihn empfinde. Noch nicht. Ich nehme mir fest vor auf jeden Fall daran zu arbeiten die Gefühle für ihn zu verstärken und weniger an seinen dunklen Bruder zu denken. Es ist wirklich nicht leicht, wenn plötzlich zwei heiße Zwillinge in dein Leben treten.

An der Haustür angekommen, sehe ich aus dem Augenwinkel Licht in Scotts Zimmer stehen. Wie ein Schatten steht er direkt vor dem Fenster und schaut auf die Straße. Es passt ihm nicht und wahrscheinlich wird er ziemlich mit sich zu kämpfen haben, nicht gleich zu mir zu stürmen um mich anzuschreien. Aus trotz werde ich ihm auf jeden Fall von meinem Plan mit der Party erzählen.

Ich drücke die Türklinke leise herunter und rechne damit, dass meine Familie bereits schläft. Doch im Wohnzimmer brennt noch Licht.

Mein Vater sitzt in einem Sessel über ein Buch gebeugt. Seine Brille sitzt ihm fast vorne auf der Nasenspitze. Es herrscht eine fast schon gruselige Stimmung in unserem Haus.

Leise streife ich meine Schuhe runter und ziehe meine Jacke aus. „Hey Dad", flüstere ich und trete ins Wohnzimmer.

„Da bist du ja, Kleines", entgegnet er und klappt sein Buch zu. „Wir haben uns bereits Sorgen gemacht."

„Ich hab doch gesagt, ich bin mit Freunden unterwegs." Ich verstehe die Sorge meiner Familie mal wieder nicht. Mein Ton ist wohl ein Tick zu grob, was ich an der Mimik meines Vater erkennen kann.

„Dein Bruder ist zu Hause, Scott ist zu Hause und deine Freundin Annabelle ebenfalls. Mit wem warst du dann unterwegs?" Vater schiebt sich seine Brille bis zum Anschlag an und mustert mich streng. Erwartet er jetzt wirklich eine Antwort von mir? Wurde mir wieder nachspioniert?

„Willst du die Wahrheit wissen oder doch nur das, was du hören willst?" frage ich sarkastisch und mache mich auf den Weg in mein Zimmer.

„Grace!" Mein Vater hält mich mit seiner strengen Stimme auf und steht hinter mir.

„Deine Mutter und ich erwarten von dir zu hören mit wem du unterwegs bist. Ja du bist 17 Jahre alt und gehst auf die Highscool, bist fast erwachsen. Trotzdem machen wir uns sorgen, vor allem wenn du uns anlügst."

Ich sehe meinen Vater ungläubig an. Nie haben sie einen Hehl daraus gemacht, ob ich ihnen jetzt wirklich sage mit wem ich unterwegs bin. Immer hieß es nur, sei pünktlich zu Hause und mach nichts kriminelles. Und nun soll ich jeden einzelnen Schritt und mit wem ich es tat dokumentieren?

Ohne meinem Vater eine Antwort zu geben, stapfe ich wütend nach oben und nehme keine Rücksicht auf meine Lautstärke. Beim Vorbeigehen am Elternschlafzimmer sehe ich den Spalt in der Tür und meine Mutter, die hinaus schaut.

„Gute Nacht!" sage ich trotzig und verschwinde in meinem Zimmer.

Diese Stadt ist verwirrend und komisch. Jeder einzelne hier scheint irgendwie durchzudrehen und paranoid zu werden.


Am nächsten Tag steht also die Party an. Ich bin aufgeregt. Aufgeregt Adam wieder zu sehen und den Lebensstil der Coopers zu entdecken. Annabelle ist wirklich schwer zu überzeugen gewesen. Für jedes Pro Argument hat sie mir ein Kontra Argument geliefert. Bis ich irgendwann den neue-gute-Freundin-Joker gezogen habe. Für einige Stunden hat sie ja gesagt.

Vor der Party isst unsere Familie gemeinsam mit Scott und seinen Eltern zu Abend. Wir sitzen an unserem großen Esstisch im Wohnzimmer und schweigen uns an. Das Besteck klimpert auf dem Porzellan, während jeder sein Steak versucht zu schneiden.

„Habt ihr heute noch was vor, Kinder?" fragt meine Mutter und blickt dabei zwischen Scott, Jesper und mir hin und her. Ihre braunen kurzen Locken schwingen dabei herum. Auch mein Vater horcht auf und wirft einen Blick auf uns.
„Also ich treffe mich mit einer Freundin und wir gehen ins Kino nach Hartford", erzählt mein Bruder. Natürlich, Kino. Ich verdrehe die Augen und nehme einen großen Schluck Apfelschorle. Wahrscheinlich würden sie gar nicht bis nach Hartford kommen, sondern vorher auf einem Rastplatz anhalten.

„Ich werde lesen." Ganz der brave Scott. Ich kichere und ziehe die Aufmerksamkeit auf mich.

„Was gibt es da zu lachen, Gracy?" fragt Scott sarkastisch und zeigt mit seiner Gabel auf mich.

Ich sehe ihn an und lächele gespielt freundlich.

„Also ich gehe heute mit Annabelle auf eine Party bei den Coopers." Plötzlich herrscht eine Stimmung am Tisch, die ich nicht deuten kann. Unsere Eltern wechseln Blicke und Scott wird leichenblass. Doch er fängt sich schnell und grinst mich frech an.

„Nun, wenn das so ist", sagt er an mich gewandt, „dann komme ich mit!" Er legt sein Besteck ab und steht auf. Sein Vater wirft ihm einen Blick zu, der sagt, er solle aufpassen. Mal wieder bin ich die einzige, die von nichts eine Ahnung hat.

„Toll!" fauche ich und stehe ebenfalls auf. „Dann können wir ja gleich losgehen, wenn du dich etwas hübsch gemacht hast!"

Etwas VerträumtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt