Kapitel 5 - Unerwarteter Besuch

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"Spinnst du eigentlich deinen komischen riesigen Köter mit seinen scharfen Zähnen frei auf einem Friedhof rumlaufen zu lassen?", herrsche ich das Mädchen an und reibe weiter die neue Beule auf meinem Kopf.

"Also auf einem Friedhof Sport zu machen und mit Schimpfwörter um sich zu werfen ist auch nicht gerade respektvoll", antwortet sie mit ruhiger Stimme. Sie hat rote kurze Haare, die ihr bis zum Kinn reichen, ein ganz schön frecher Bob. Ein grüner Mantel passt sich perfekt ihren Haaren an. Ihre Gestalt ist eher klein und schlank ist. Sie hat eine gerade Haltung, die Schultern hinten, Blickkontakt beim Sprechen und auch ihre ruhige Art zu sprechen, deutet daraufhin, dass sie eine gute Erziehung genossen hat.

"Tut mir leid", murmele ich und versuche zu Lächeln.

"Schon in Ordnung. Roxy kann manchmal wirklich böse aussehen. Sie ist ein Tamaskan." Ich sehe sie verwirrt an aber nicke.

"Das ist eine wolfsähnliche Hunderasse. Ich bin Annabelle", stellt sie sich vor und reicht mir ihre Hand.

"Wie der Horrorfilm Annabelle?" Ich ergreife ihre Hand, Roxy quiekt gefährlich auf und ich entziehe sie schnell wieder. Der Hund machte mir immer noch Angst. "Ich bin Grace." Annabelle lächelt leicht.

"Ich bin neu hier her gezogen", versuche ich ein Gespräch zu beginnen.

"Ich weiß", antwortet die Rothaarige. Sag mal, weiß hier eigentlich jeder von unserem Einzug? Das hasse ich an so kleinen Städten.
"Hier spricht sich schnell alles rum", entgegnet sie als Entschuldigung auf meinen wohl düsteren Blick.

Ich sehe mich um. Mein Blick fällt sofort auf eine Person, die an einem Grabstein Blumen ablegt.

"Lass uns lieber gehen", flüstere ich. Annabelle stimmt mir zu und wir gehen zurück zum Weg. Ein Blick nach hinten verrät mir, dass es sich um meinen Helden handelt. Er erwidert meinen Blick. Doch aus dem netten Lächeln mit den Grübchen, ist ein fieser drohender Blick geworden.

Jeder meiner Schritte wird immer schneller, Roxy trabt bereits und Annabelle folgt mir stumm. "Wenn du wieder joggen willst, sag nur bescheid", keucht sie angestrengt. Ich werde langsamer.

"Tut mir leid." Wieder werfe ich einen Blick nach hinten. Aber wir sind schon fast wieder auf der gepflasterten Straße.

"Du entschuldigst dich ganz schön oft." Ich nicke und gehe langsamer. Roxy stellt sich als ziemlich süß heraus. Das Quieken entfährt ihr unwillkürlich, es soll Schluckauf sein.

Annabelle und ich unterhalten uns über die Schule, sie geht in den Jahrgang unter mir, ist also etwas jünger als ich. Ihre Eltern und sie leben ein paar Häuser weiter und haben eine Kunstgalerie in Bloomfield. "Malst du auch?", frage ich sie, als wir fast bei unserem Haus angekommen sind. Sie zuckt mit den Schultern.

"Manchmal", flüstert sie und ein düsterer Schatten legt sich über ihr Gesicht. Ich wundere mich kurz über ihren Gesichtsausdruck, aber wahrscheinlich kann Annabelle einfach nicht gut zeichnen.

"Kannst du mir bei Gelegenheit ja mal zeigen. Hier wohnen wir." Ich deute auf unser Haus.

"Es ist sehr schön", antwortet Annabelle höflich und krault Roxy die Ohren.

"Roxy und ich werden gehen. Meine Eltern sorgen sich bestimmt bereits." Sie wirft einen Blick nach rechts und links, als hätte sie angst. Ich folge ihrem Blick zu dem Fenster an dem ich damals eine Gestalt gesehen habe. Es ist das Haus von Scott, also schloss ich darauf, dass es damals wahrscheinlich Scott gewesen ist.

"Nun ja. Bis dann, Grace." Sie lächelt und kehrt ohne auf eine Antwort zu warten mit schnellen Schritten um. Ich winke ihr noch hinter her und werde plötzlich von einem Platzregen überrollt. Die Regentropfen schlagen auf mich nieder und ich laufe los. Rennend werfe ich mich gegen die Haustür.

"Da bist du ja noch rechtzeitig angekommen, Gracy!", ruft meine Mutter aus dem Wohnzimmer.

Den Rest des Tages verbringe ich mit meiner Familie. Wir räumen die Kisten aus, bauen Möbel auf, putzen und richten ein. Nur Jesper lässt sich nicht blicken. Er soll wohl mit Freunden unterwegs sein. Natürlich.

Am Abend klingelt es an unserer Haustür. "Gracy hier ist jemand für dich!", höre ich meine Mutter rufen. Ich versuche nicht zu eilig die Treppen hinunter zu laufen, aber ich bin natürlich neugierig, wer da abends etwas von mir wollte, vor allem an meinem ersten Wochenende in Bloomfield. Etwas enttäuschend muss ich feststellen, dass es Scott ist, aber wer hätte es auch sonst sein können.

"Gracy", betont er und grinst dabei frech, "ich wollte dir mal die Treffpunkte der Stadt zeigen." Meine Mutter sieht zwischen uns hin und her und ich schicke sie mit einem Kopfnicken zurück ins Wohnzimmer.

"Ach ja. Was für Treffpunkte denn, Scotty?" Auch ich betone die Worte sarkastisch.

"Treffpunkte an denen Lämmchen nicht alleine hingehen sollten. Los komm, zieh dir was an!" Ich zucke mit den Schultern.

"Ich muss erst meine Eltern fragen." Meine Mutter taucht wie gerufen wieder im Türrahmen auf.

"Bring sie nicht zu spät nach Hause, Scott." Ich reiße die Augen auf, ziehe jedoch meine Schuhe an. Hat sie tatsächlich gerade erlaubt, dass ich mit einem wildfremden Kerl abends um 20 Uhr noch irgendwo hinging? Und vor allem, woher weiß sie seinen Namen?

Scott schnappt sich meine Jacke und zieht mich am Ärmel nach draußen. "Punkt 12 Uhr sind wir wieder da, Mrs.Harper." Die Tür fällt hinter mir ins Schloss.

"Du bist echt verrückt. Woher kennen meine Eltern dich?", frage ich erstaunt und ziehe mir die Jacke über. Es ist ziemlich kalt geworden, der Herbst naht.

"Wir sind Nachbarn. Irgendwann musst du es doch verstehen."

Wir gehen eine Zeit lang stumm nebeneinander her. Er führt mich durch die Straßen. Nur wenige Laternen erhellen uns den Weg. Mich fröstelt es und die kalte Luft sitzt mir im Nacken. "Wo gehen wir denn nun hin?", frage ich ungeduldig.

"Hör auf so viele Fragen zu stellen und lauf einfach!" Langsam klingt Scott genervt. Ja toll, ich laufe hier mit einem mir noch fast fremden Kerl, der mir durch die eine oder andere Bemerkung vertraut vorkommt, durch die dunkle Nacht in einer Stadt ohne Sicherheitsbeamten an jeder Ecke. Was für eine Aussicht!

Es wird immer dunkler, buschiger und irgendwann finden wir uns auf einem Waldweg wieder. "Sicher, dass wir hier lang müssen?"

"Wir sind gleich da", antwortet Scott knapp und geht schneller. Irgendwann nehme ich Gelächter und Stimmen wahr und Musik spielt auch irgendwo. Einige Schritte weiter sehe ich zwischen den Bäumen Licht. Es handelt sich um ein riesige Lagerfeuer. Drum herum stehen Gruppen von Mädchen und Jungen mit roten Pappbechern in der Hand. Typisch Highschool-Party!

Die stickige Luft des Feuers empfängt mich. Irgendein Fremder drückt mir einen Pappbecher in die Hand und ich rieche an dem Zeug. Sehr gut, nur harmloses Bier. Ich folge Scott durch die Menge und nippe an dem Becher. Die Musik dröhnt in meinen Ohren, das Gerede ist ohrenbetäubend aber ich habe Spaß daran mit Scott durch die Menge zu huschen, der Musik zu lauschen und vor allem zu sehen, dass diese Stadt überwiegend mit jungen Leuten besiedelt ist. Samstagabend und ich sitze nicht alleine in meinem Zimmer und schaue einen Film. Mein Bruder winkt mir von einer Horde Mädchen umgeben zu und grinst über beide Ohren. Auch ich muss lächeln und werfe Scott einen dankbaren Blick zu.

"Willkommen in Bloomfield, Grace!"

Etwas VerträumtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt