Kapitel 10 - Gehen lassen

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"Emily... es tut mir so Leid", flüsterte ich und kämpfte gegen die Tränen.
"Du hast eine Freundin, stimmt's? Ich wusste es, ich meine, wie denn auch nicht. Du bist viel zu perfekt... Ich hatte nur echt gehofft, dass du mir sowas sagen würdest." Jetzt kämpfte auch sie mit den Tränen und sah zur Seite. 
"Nein, das ist es nicht. Ich hab keine Freundin, ich..."
"Was denn dann? Bin ich zu normal? Schon klar, dass ich nicht in deiner Liga spiele! Schon klar, dass ich nicht so hübsch bin wie andere und auch nicht annähernd so viel Geld habe..."
"Nein, hey, sieh mich an!" Ich hielt sie sanft am Kinn fest, damit sie mir nicht auswich. 
"Darum geht es doch überhaupt nicht. Du bist ein wundervolles, wunderschönes Mädchen und Geld ist mir total egal! Es ist was ganz anderes. Es hat absolut nichts mit dir zu tun, Em! Es ist wegen mir... Ich hab das alles nicht gewollt. Ich wollte hier in Wolfsburg nie ein Mädchen finden. Ich wollte hier nie für lange bleiben. Und verdammt, ja, ich hab mich verliebt. Ich hab mich in dich verliebt..." Ich wischte mir eine Träne aus dem Gesicht und schluckte heftig. 
"Und was ist so schlimm daran?", flüsterte sie. 
"Ich werde den Verein wechseln. Ich werde hier weg gehen. In eineinhalb Wochen fahre ich über Weihnachten nach Hause und komme dann nicht wieder her", erklärte ich kläglich und sah dann selbst zur Seite. 
"Und das sagst du mir erst jetzt?! Verdammt, warum hast du mir das nie gesagt?", rief sie jetzt aufgebracht. 
"Ich wusste nicht wie", gestand ich kläglich.
"Warum tust du mir das an? Warum? Wieso ich?", fragte sie erstickt. Ich sah ihr wieder in die Augen und sah all den Schmerz darin. 
"Ich wollte dich nicht verlieren... Es tut mir Leid! Ich war so egoistisch... Ich hätte es dir gleich sagen sollen, aber ich hab's nicht hingekriegt."
"Wohin? Wohin wechselst du?"
"Paris..."
"Paris?! Wie lange weißt du davon?" Sie wurde wieder wütend. Ich sah es daran, dass sich ihr Unterkiefer anspannte und ihrer Augen plötzlich düsterer aussahen.
"Ich wusste es schon, bevor ich dich kennen gelernt habe", sagte ich wahrheitsgemäß. Ich rechnete mit einer Ohrfeige, mit dem plötzlichen Schmerz in meinem Gesicht, aber stattdessen tat sie gar nichts. Sie sah mich einfach nur an.
"Sag was", flehte ich schließlich und strich ihr vorsichtig eine Haarsträhne aus dem Gesicht. 
"Es war ein riesiger Fehler. Du warst ein riesiger Fehler!", sagte sie leise mit einer Härte, die mir im Herzen weh tat. Ich ließ langsam meine Hand sinken.
"Leb wohl, Julian Draxler", flüsterte sie dann, drehte sich um und lief davon. 

Und dann stand ich da alleine zwischen all den Menschen. Es fühlte sich an, als wäre es plötzlich noch viel kälter geworden. Es war mein Herz, mein gebrochenes Herz, das mich so hatte fühlen lassen. Hätte ich ihr in dem Cafe die Wahrheit gesagt, hätten wir uns wahrscheinlich nie wieder gesehen. Hätte ich es ihr gesagt, hätte ich mich nicht verliebt. Ich hätte dieses wundervolle Mädchen gehen lassen, ohne zu kämpfen. Genau das tat ich auch in diesem Moment. Statt ihr nach zu laufen, mit ihr zu reden, stand ich dort und tat gar nichts. Es war ein Wunder, dass ich überhaupt noch atmete. 

"Julian?", hörte ich da eine Stimme neben mir. Hinter den Tränen sah ich verschwommen eine Mädchengestalt. 
"Lass mich in Ruhe, ich hab gerade echt keine Lust auf Fotos und Autogramme und den ganzen Scheiß!", sagte ich hart und drehte mich weg. 
"Hey, sieh mich an!" Und da erkannte ich sie. Es war eine von Emilys Freundinnen vor dem Supermarkt. Laura, wenn mich nicht alles täuschte. 
"Was auch immer du verbrochen hast, du kannst hier jetzt stehen und sie gehen lassen. Du kannst ihr aber auch hinterher laufen und ihr beweisen, dass sie sich nicht umsonst verliebt hat. Auch wenn sie es nie zugegeben hat, sie liebt dich, also beweg dich und bieg es gerade!", zischte sie und sah mich dabei so an, als würde sie mich am liebst auf der Stelle umbringen. 
Aber sie hatte Recht. Ja, verdammt, ich konnte dieses Mädchen nicht einfach gehen lassen! 

Also rannte ich. Ich rannte durch die Menge, drängelte mich an Menschen vorbei, rempelte den ein oder anderen ungewollt an. Immer auf der Suche nach meinem Mädchen. Ich musste um sie kämpfen. Irgendwie. 
Ich lief immer weiter, sah mich zu allen Seiten um und suchte nach ihr. Mit jedem Schritt, den ich tat, wurde ich verzweifelter, mit jedem Schritt wurde es schlimmer. 

Und dann waren die Menschen weg. Ich lief eine einsame Gasse entlang. Ich lief einfach immer weiter, ließ mich von meinem Herzen führen. 
Und dann sah ich sie. Sie saß auf einer Bank und weinte. Am liebsten hätte ich sie in den Arm genommen und getröstet, aber ich traute mich nicht. Stattdessen blieb ich vor der Bank stehen. Ich schluckte schwer und rang mit mir selbst. Irgendwas musste ich doch jetzt sagen!

"Emily..."
"Was willst du noch hier? Geh, fahr nach Paris, lass mich allein zurück!", schniefte sie und wich meinem Blick aus. 
"Ich wünschte, es wäre anders, Emily! Ich will nach Paris, ja, aber ich will dich nicht verlieren. Ich will dich nicht zurücklassen!" Ich kniete mich vor sie und nahm ihre Hände in meine. 
"Du hättet es mir gleich am ersten Tag sagen können. Wir haben sogar über Paris gesprochen! Und dann im Kino... hast du deshalb gelogen? Warst du in Paris?"
"Ja, ich war dort und habe mir Wohnungen angeschaut. Und, ja, ich weiß, dass ich es dir hätte sagen sollen, aber dann hätte ich dich wahrscheinlich nie wieder gesehen! Es bringt schließlich nicht viel, jemanden kennen zu lernen, der in einem Monat eh in einem anderen Land wohnt. Ich wollte dich kennen lernen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass es so weit kommt."
"Wieso bist du hier?", flüsterte sie und sah mir dann das erste Mal wieder in die Augen. 
"Damit du weißt, dass ich dir nie wehtun wollte und es mir das Herz zerreißt, dich so zu sehen."
"Das hätte dir ruhig früher einfallen können, Julian." Sie ließ meine Hand los und stand auf. 
"Emily, ich... es tut mir einfach nur Leid", hauchte ich verzweifelt. 
"Mir wurde einmal das Herz gebrochen, Julian. Und ich hab mir geschworen, mich nie wieder so schnell zu verlieben. Und dann kommst du, spielst mit meinen Gefühlen und haust einfach wieder ab. Ich bin selbst Schuld. Ich hätte nie mit dir in dieses Cafe gehen sollen", murmelte sie und sah mir dann in die Augen. "Aber ich bereue es nicht, es getan zu haben."

Sie kam die letzten zwei Schritte auf mich zu, stellte sich auf Zehenspitzen und küsste mich. Ich zog sie sofort dicht zu mir und erwiderte den Kuss. Aber es war ein Abschiedskuss und es tat einfach nur weh. 
"Ich kann nicht mehr nur mit dir befreundet sein. Und deshalb ist es hier und jetzt zu Ende. Mach's gut, Julian", flüsterte sie ein letztes Mal.

Und dann ließ ich sie gehen. 

Paris (Julian Draxler FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt