Kapitel 17 - Ausgelöscht

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POV Julian

Meine Welt brach zusammen. Ich hätte es nicht in Worte fassen können. Der Moment, als Emily sich nicht an mich erinnern konnte, war der schrecklichste in meinem bisherigen Leben. Es zerriss mir das Herz. Es musste für sie sein, als hätte es mich nie gegeben. Hatte sie unsere Liebe vergessen? Hatte dieser scheiß Unfall mich einfach aus ihrem Leben gelöscht? War ich ausgelöscht worden?

Keine Ahnung wie, aber irgendwie kam ich völlig verheult und komplett fertig mit der Welt bei meinem Kumpel und neuem Teamkollegen Kevin Trapp an. Kaum hatte ich geklingelt, öffnete er seine Haustür und starrte mich erschrocken an. 
"Jule, was zum?! Komm rein. Was ist passiert?", fragte er sofort und zog mich mit sich in seine Wohnung. Ich sagte gar nicht. Ich fühlte mich einfach leer. 
"Setzt dich da hin", wies er mich an. Ich setzte mich also aufs Sofa. Am Rade bekam ich mit, wie Kevin mir eine Decke um die Schultern legte und eine Packung Taschentücher organisierte. 
"Hey, ist okay, wenn du nicht reden willst. Ich kann warten, stress dich nicht", meinte er mitfühlend und saß dann einfach schweigend neben mir. Ich spürte seinen besorgten Blick auf mir, aber ich war noch nicht bereit, es auszusprechen. 

Ich hätte nicht herkommen dürfen! Wäre ich nicht nach Frankreich gegangen, wäre Emily nie in diesen Bus gestiegen! Es war meine Schuld, ich hatte ihr dieses Ticket geschenkt! Wenn ich nicht gewesen wäre, würde sie jetzt glücklich sein und nicht im Krankenhaus liegen!

"Hey, Jule? Langsam machst du mir Angst! Bitte beweg dich wenigstens mal", flehte Kevin. Keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war. 

"Sie... sie war... sie war auf dem Weg hierher, Kevin", schniefte ich tonlos. 
"Sie? Das Mädchen, von dem du erzählt hast. Deine Freundin Emily?", fragte er vorsichtig. Ich nickte. 
"Was ist mit ihr?"
"Sie hatte einen Unfall."
"Ach du scheiße, Julian!" Er kam sofort zu mir und nahm mich in den Arm. Es war vielleicht etwas komisch, aber ich brauchte das. Ich brauchte jetzt jemanden, der mich zusammenhielt, ehe ich auseinander brach. 
"Ist... ist sie...?"
"Nein, sie liegt im Krankenhaus..."
"Dann flieg doch zu ihr! Du kannst gleich den nächsten Flieger nehmen und ich kläre das mit Emery und Co.", schlug er vor. 
"Das würde ich ja, Kevin. Sofort."
"Aber?"
"Sie erinnert sich nicht mehr an mich. Die letzten sechs Monate sind aus ihrem Gedächtnis gelöscht", jammerte ich und sackte noch mehr zusammen. Kevin sagte gar nichts, hielt mich einfach nur fest. 
"Und wenn ihre Erinnerung zurück kommt, wenn sie dich sieht? Ist es nicht ganz oft so, dass die Erinnerungen zurück kommen?", überlegte er. 
"Und wenn nicht?"
"Sie hat sich einmal in dich verliebt, sie wird es auch ein zweites Mal", meinte er. 
"Aber es wäre nicht dasselbe..."
"Jule, ich glaube, du würdest es irgendwann bereuen, wenn du jetzt nicht fliegst. Wie gesagt, ich helfe dir und kläre das alles. Und du packst ein paar Sachen zusammen, fliegst nach Deutschland und gehst zu deinem Mädchen."
"Das würdest du tun?" Ich setzte mich grade auf und griff nach den Taschentüchern. 
"Ich organisiere dir einen Flug!" Und mit den Worten stand Kevin auf und verschwand mit seinem Telefon in der Küche. Die ganze Zeit über, in der er telefonierte, blieb ich stumm dort sitzen und konnte es noch immer nicht fassen. Mein Mädchen, meine Em... Warum ausgerechnet sie?

Es vergingen keine zehn Minuten, bis Kevin wieder zu mir kam. 
"Also dein Flieger geht in drei Stunden. Lass uns zu dir fahren und ein paar Sachen zusammen suchen."

Gesagt, getan. Kevin fuhr mich zu meinem Appartement und ich schmiss eigentlich ziemlich wahllos irgendwas in einen Koffer. Bestimmt hatte ich die Hälfte an Dingen, die ich brauchte, vergessen. Aber im Moment konnte ich nur an meine Freundin denken. Ich musste einfach zu ihr, ganz egal wie.

Auf dem Weg zum Flughafen rief ich bei meinem neuen Trainer an und versuchte ihm auf Englisch irgendwie klar zu machen, dass das hier ein absoluter Notfall war. Er war nun wirklich nicht übermäßig begeistert, dass ich auf unbestimmte Zeit nach Deutschland fuhr, aber er hatte Verständnis für meine Situation und wünschte mir viel Glück. Davon konnte ich jetzt wirklich einiges gebrauchen.

"Ich hab einen Flug nach Dortmund genommen. Das ist der erste, der fliegt."
"Ja, ist gut. Dann kann ich zu meinen Eltern fahren. Und morgen früh fahre ich dann nach Wolfsburg..."
"Ich wünsch dir viel Glück, Jule!"
"Danke für alles", seufzte ich und umarmte ihn ein letztes Mal, bevor ich dann alleine weiter durch die Sicherheitskontrolle zum Gate ging.

Und kaum war ich wieder alleine, kamen die Vorwürfe zurück, die ich mir machte. Um die irgendwie zu unterdrücken, rief ich bei meiner Mom an und erzählte ihr, was passiert war.
"Ich steh jetzt am Flughafen. Kann ich heute bei euch bleiben?", fragte ich schließlich.
"Ja, natürlich, Julian. Du kannst immer zu uns kommen, das weißt du."
"Ja, das weiß ich. Danke, Mom."
"Und mach dir bitte keine Vorwürfe. Du kannst doch nichts dafür, dass es zu diesem Unfall gekommen ist", bat sie mit beruhigender Stimme. Keine Ahnung, wie sie das machte, aber irgendwie wusste sie immer, was mich beschäftigte und was ich dachte. Ich versuchte, ihr zu glauben, und verabschiedete mich schließlich von ihr.

Die Zeit vom Flughafen in Paris bis zum Flughafen in Dortmund verging wie in Zeitlupe. Nicht nur einmal wünschte ich mir, ich wäre mit dem Auto gefahren. Aber ich war einfach nicht in der Verfassung, um Auto zu fahren. Ich hätte mich wahrscheinlich nur selbst um einen Baum gewickelt und so verzweifelt war ich dann doch noch nicht.

In Dortmund wartete mein Dad im Empfangsbereich auf mich und nahm mir den Koffer ab. Es tat gut, ihn bei mir zu haben, und er gab mir ein kleines bisschen Sicherheit zurück. Wenigstens weinte ich inzwischen nicht mehr wie ein Schlosshund.
Bevor ich an diesem Abend in meinem früheren Zimmer einschlief, sagte ich Kevin noch Bescheid, dass ich gut angekommen war und sagte auch den anderen Spielern von PSG, dass sie sich keine Sorgen machen sollten. Es hatten schon ein paar mitbekommen, dass ich nicht mehr in Frankreich war.

Am nächsten Morgen wachte ich früh auf. Ich hatte scheiße geschlafen und das sah man mir total an. Ich zwang mich aber dazu, noch ein paar Stunden zu warten, ehe ich zum Krankenhaus aufbrach. Doch schließlich hielt ich es nicht mehr aus und fuhr mit dem Wagen meines Dads nach Wolfsburg.

Ich hasste Krankenhäuser. Und auch dieses Mal war es so, als ich das große Gebäude gegen Mittag betrat. Die Frau an der Rezeption glaubte mir glücklicherweise nach einiger Mühe, dass ich Emilys Freund war und erklärte mir schließlich, wie ich zu ihr kam. Sie lag auf der Intensivstation. Hoffentlich konnte ich überhaupt zu ihr...
Und schließlich stand ich vor der hässlichen grauen Zimmertür und klopfte an. Mein Herz pochte in meinen Ohren, meine Hände waren eiskalt und mein Herz blieb beinahe stehen.
"Herein?", hörte ich ihre Freundin Lisa von drinnen.
Ich atmete einmal tief durch und betrat dann den Raum.  

Paris (Julian Draxler FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt