Kapitel 31 - Auch wenn ich dich umbringen könnte

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Die ganze Fahrt über weinte ich. Ich konnte mich einfach nicht mehr beruhigen, es ging einfach nicht. 
"Emily, hey, hör bitte auf zu weinen", murmelte Kevin auf dem Parkplatz vor der Bar und nahm mich in den Arm. Irgendwie schaffte er es schließlich, dass ich aufhörte. Vielleicht hatte ich aber auch einfach alle Tränen verbraucht. 
"Ich sehe schrecklich aus, ich werde Susan anrufen", schniefte ich und wischte mir die Nässe aus dem Gesicht. 
"Ach Quatsch. Geh dich einfach einmal frisch machen und dann wird es niemand merken." Das war ja wirklich heldenhaft von ihm, aber ich wusste es besser. Ich schüttelte leicht den Kopf. 
"Doch, na los. Lass dir nicht von ihm den Abend vermiesen!"
Seufzend gab ich nach und folgte ihm zur Tür. Kaum hatten wir die Bar betreten, rannte ich zur Toilette und sah geschockt in den Spiegel. Ich sah grauenvoll aus. Von meinem Make-up war nichts mehr zu retten. Also wusch ich mein ganzes Gesicht sauber und trocknete es wieder ab. Dann suchte ich verzweifelt in meiner Handtasche nach meiner Notfall-Schminke. Aber ich fand nur eine alte Mascara. Ich trug sie auf und ärgerte mich über jedes kleine Klümpchen in dem angetrockneten schwarzen Zeug. Irgendwie schaffte ich es dann aber doch, dass wenigstens die Wimperntusche halbwegs passabel aussah. Ich ignorierte die hektischen roten Flecken auf meinen Wangen und meine rot unterlaufenen Augen und verließ die Toilette wieder. Ein Mädel regte sich tierisch darüber auf, dass ich so lange gebraucht hatte, aber das war mir herzlich egal. 

Ich hatte Kevin ziemlich schnell gefunden und lief zu ihm. Ich setzte mich absichtlich weit weg von Julian und konzentrierte mich auf die Leute, die noch am Tisch saßen. Vier Jungs und drei Mädchen, die sich untereinander alle ziemlich gut zu kennen schienen. Kevin stellte mich ihnen allen vor und sofort wurde ich in ihre Gespräche mit eingebunden. Aber so richtig bei der Sache war ich nicht. Immer wieder fiel mein Blick auf Julian, der da saß und kaum etwas sagte. Ein paar Mal kämpfte er mit den Tränen, ertränkte sie aber in literweise Cola. Kevin hatte ihm den Alkohol scheinbar verboten. 

Wie hatte ich bloß so blöd sein können? Ich wollte ihn doch zur Begrüßung umarmen, ich wollte mit ihm lachen, mit ihm Spaß haben. Stattdessen sagte ich irgendeinen Schwachsinn. Aber er würde mich jetzt in dieser Lage von sich stoßen, wenn ich zu ihm gehen würde. Er würde dicht machen und nur noch mehr verletzt sein.

Ich konnte seinen Blick auf mir spüren, der mir eine Gänsehaut über den Körper jagte. 

"Hey, geht's dir nicht gut?", fragte mich da einer von Kevins Freunden. Seinen Namen hatte ich vergessen.
"Schon gut, danke", murmelte ich nur. 
"Wollen wir zum Tresen gehen. Du kannst mir davon erzählen, wenn du magst." Er stand auf und lächelte mich an. Vielleicht brauchte ich jetzt gerade ja wirklich jemanden zum Reden. 
"Na schön", willigte ich schließlich ein und sagte Kevin schnell Bescheid. 

"Also... Emily, richtig? Was hast du auf dem Herzen?" Ich sah in seine eisblauen Augen und hätte beinahe Hals über Kopf von meinem Unfall angefangen. Aber eine leise Stimme in meinem Kopf warnte mich davor. 
"Ich hab ein bisschen Streit mit meinem Freund", seufzte ich deshalb. Gleich zwei Lügen auf einmal, na bravo! Ein 'bisschen Streit' war die Untertreibung des Jahrtausends und das 'mein Freund' war mir irgendwie so rausgerutscht. 
"Der Kerl da hinten?" Er deutete mit dem Kinn zu dem Tisch der anderen. Ich nickte einfach nur. 
"Ach, Liebeskummer ist scheiße! Aber ich kenne ein gutes Rezept dagegen", zwinkerte er. 
"Und das wäre?"
"Vergiss ihn und konzentriere dich auf was anderes."

Irgendwie war er ganz nett, aber auch nur irgendwie. Bei ein paar seiner Bemerkungen während unseres Gesprächs, wurde ich stutzig. Mir entging nicht, dass er Julian im Laufe des Abends immer schlechter darstellte. Aber dadurch bekam ich irgendwie immer mehr das Bedürfnis, ihn zu beschützen. 
"Hier trink das", meinte Maurice irgendwann. Inzwischen war es schon ziemlich spät und schließlich hatte ich mich auch wieder an seinen Namen erinnert.
"Was ist das?" Ich beäugte das Getränk misstrauisch, das er mir entgegen schob. Wir waren mittlerweile wieder am Tresen, nachdem wir eine ganze Zeit lang  zu den anderen gegangen waren. Aber er wollte unbedingt noch mal hier her. 
"Es wird dir helfen, versprochen", sagte er nur. Ich nahm das Zeug vorsichtig in die Hand und nippte daran. Bah! 80%-iger Alkohol, oder was sollte das sein?!
"Komm schon, Süße, lass dich drauf ein." Irritiert stellte ich das Glas wieder ab und sah ihn fragend an. Er begann anzüglich zu grinsen und nahm meine Hand. 
"Du wirst ihn vergessen, ich schwöre!", grinste er und küsste meine Hand. Angewidert zog ich sie sofort wieder weg. Was bildete er sich ein?! 
Ich wollte aufstehen, aber Maurice legte seine Hände auf meine Beine und hielt mich so fest. 
"Ganz locker, ich tue dir nichts", sagte er mit beruhigender Stimme, aber sein Blick sprach Bände. Als er mich an der Hüfte packte, begann ich sofort, mich dagegen zu wehren, aber er war stärker als gedacht. 
"Lass mich los! Nimm deine Hände weg!", schrie ich und wand mich unter seinen Händen. Es hielt noch ein paar Sekunden an, dann wurde er mit Wucht von mir weg gestoßen. 
"Fass sie noch einmal an und du bist tot, du perverses Arschloch!", rief Julian drohend und hielt Maurice am Kragen fest. Maurice grinste dämlich. 
"Sie sagt, du bist ganz schön schlecht im Bett. Sorry, Kumpel", lachte er. So ein Arsch! Julian holte zum Schlag aus, aber Kevin und einer der anderen zogen Maurice früh genug weg. Auch der Barkeeper hatte inzwischen davon Wind bekommen und brüllte auf Französisch, dass Maurice sofort verschwinden sollte. Julian beobachtete alles, bis der Mistkerl endlich nicht mehr zu sehen war. 
Kaum, dass er weg war, drehte er sich zu mir um und meine Augen waren schon wieder feucht.
Julian zog mich in seine Arme und ich klammerte mich dankbar an ihn. Er wiegte mich langsam in seinen Armen und strich mir dabei unaufhörlich durchs Haar. 
"Es tut mir so Leid, Em", murmelte er irgendwann in meine Haare. 
"Nein, es ist meine Schuld", schniefte ich und sah hoch zu ihm. 
"Lass uns ausnahmsweise einmal nicht darüber streiten, wer von uns jetzt Schuld ist", seufzte er und wischte mir die Tränen weg. Ich nickte und sah ihn einfach nur an. Er war so perfekt. Ich hatte ihn nicht nur ein Mal so sehr verletzt und trotzdem beschützte er mich vor allem. 
"Danke... Ich hab das doch gar nicht verdient", flüsterte ich und sah hinunter auf sein weißes Hemd. 
"Emmi, es ist ganz egal wie wütend ich auf dich bin. Oder wie traurig und verletzt. Selbst wenn ich dich umbringen wollte, ich würde dich immer beschützen!" Als er das sagte, wurde mir bewusst, was für ein Engel er eigentlich wirklich war. Ich hielt ihn nur noch mehr fest, verbarg das Gesicht an seiner Brust und fürchtete, dass er sich jeden Moment in Luft auflöste. 
"Scheiße, ich bin so ein Depp!", jammerte ich schließlich und sah hoch in seine Augen. Um Julians Lippen entstand ein Lächeln. 
"Ja, das bist du", schmunzelte er. 
"Tut mir Leid...!"
"Wir beide fahren jetzt nach Hause, okay? Ich leih mir einfach Kevins Wagen. Und dann sehen wir uns ein paar Tage nicht, weil ich wieder weg muss. Aber wenn ich wiederkomme, gehen wir beide Essen und sprechen ganz in Ruhe über alles, einverstanden?"
"Einverstanden", flüsterte ich. Wie hatte ich nur jemanden wie ihn verdient? Er war viel zu gut für diese Welt. Für mich. Und doch war er noch da. Bei mir. 

Paris (Julian Draxler FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt