Kapitel 36 - Zuhause

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Je näher wir der Landung kamen, desto hibbeliger wurde ich, was Susan immer mehr zum Lachen brachte. Meine Freundinnen hatten leider nicht mehr mitkommen können, aber wir hatten vereinbart, uns spätestens über Ostern zwei Wochen füreinander Zeit zu nehmen. 
"Kommt Thilo auch zum Flughafen?"
"Ach, Julian holt dich also ab?", lachte sie. 
"Ähm, ja, ich wollte direkt mit zu ihm fahren", grinste ich unschuldig. 
"Und dein Gepäck?"
"Das nehme ich mit."
"Aha?"
"Hör auf, so blöd zu grinsen", meinte ich und stieß ihr lachend in die Seite. Sie verdrehte grinsend die Augen und vertiefte sich wieder in ihr Buch. 

Zurück auf dem Boden konnte ich es nicht mehr aushalten. Ich ging Susan und den Flughafen-Mitarbeitern wahrscheinlich tierisch auf die Nerven, aber ich war einfach so glücklich. 
Ich hatte den Prozess überstanden, endlich meinen Job gekündigt und ich war wieder in Paris bei Julian, es war einfach alles perfekt.

"Na los, gib mir deinen Koffer und lauf", meinte Susan lächelnd. Ich strahlte sie dankbar an und rannte an all den Leuten vorbei hin zur Empfangshalle. Dort blieb ich kurz stehen und sah mich um. Thilo sah mich vor Julian. Er stieß ihn an und sofort schaute er hoch. Ich rannte auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. Er hob mich ein Stück hoch und umarmte mich lange. 
"Hey", lächelte er schließlich, als er mich wieder auf meine Füße stellte. 
"Ich freu mich so, endlich wieder hier zu sein!", jubelte ich und umarmte dann auch Thilo, ehe meine Schwester mich dabei ablöste. 
"Also ihr fahrt jetzt zu Julian?", wollte Susan wissen. Ich nickte heftig. 
"Dann bis morgen oder wann auch immer", winkte Susan und lief mit Thilo zusammen in Richtung Parkplatz davon. 
"Sollen wir noch was essen gehen, bevor wir fahren?", schlug Julian vor. 
"Ich sterbe vor Hunger! Was hältst du von Pizza?" Ich deutete auf einen Pizzastand nicht weit von uns entfernt. 
"Dann lass uns lieber jetzt was Kleineres essen und heute Abend Pizza bestellen."
"Dann Crêpes!" Ich nahm seine Hand und zog ihn mit zu einem kleinen Stand. Er nahm mir auf dem Weg dahin meinen Koffer ab und wartete dann an einem kleinen Stehtisch, bis ich mit den Crêpes wieder zurück kam. 
"Hast du eigentlich eine Ahnung, wie wahnsinnig glücklich mich das hier gerade macht?", lächelte er. 
"Warum genau?"
"An dem Tag, als ich dir gesagt habe, dass ich nach Paris wechseln will, haben wir auch Crêpes gegessen. Und ich hatte die ganze Zeit so Panik", erzählte er und wirkte dabei irgendwie weit weg in Gedanken. 
"War es ein schöner Tag?", fragte ich vorsichtig. 
"Zu Anfang eigentlich schon. Du warst so aufgedreht", lachte er leise. "Wir haben uns an dem Tag das erste Mal geküsst und dann hab ich dir die Wahrheit gesagt und du hast mich quasi verlassen." Er sah mich zerknirscht an. Ich duckte mich ein bisschen und lächelte unschuldig, bis wir beide lachen mussten. 
"Tja, und jetzt essen wir die Crêpes einfach in Paris", grinste er. 
"Vielleicht bleibe ich jetzt ja auch einfach hier", murmelte ich. 
"Wirklich?" Julians Augen leuchteten. 
"Naja, keine Ahnung. War nur so ein Gedanke. Ich hab jetzt schließlich auch keinen Job mehr in Deutschland." Ich zuckte die Schultern und beließ es dabei. Darüber würde ich noch lange nachdenken müssen. 

"Dann lass uns fahren", meinte Julian, als wir beide aufgegessen hatten. Er zog meinen Koffer hinter sich her und legte einen Arm um mich, bis wir bei seinem Auto ankamen. 
"Wie geht es denn eigentlich den anderen?", fragte ich im Auto. 
"Sehr gut. Ich habe aber niemandem von der Sache erzählt. Ich dachte, dass du das entscheiden solltest, wer es erfährt und wer nicht."
"Das ist lieb von dir." Ich lächelte ihn an und verbrachte dann den Rest der Autofahrt damit, ihn zu beobachten, was Julian offensichtlich ziemlich nervös machte.

Bei ihm angekommen gab er mir den Haustürschlüssel. 
"Geh ruhig schon vor, ich bringe den Koffer mit", meinte er und ich lief los. Dieses Mal fühlte es sich so selbstverständlich an, ganz anders als mit Kevin vor ein paar Tagen. Ich schloss auf und streifte meine Schuhe ab. Als ich meine Jacke gerade an die Garderobe hängte, kam Julian auch schon durch die Tür. Ich lief an ihm vorbei in das offene Wohnzimmer und sah mich wie letztes Mal um. 
"Ich hab dir letztes Mal gar nicht gesagt, dass ich es hier wirklich schön finde", sagte ich, als Julian zu mir kam. 
"Am besten vergessen wir das letzte Mal einfach", meinte er. 
"Äh, hier, ich hab noch deinen Schlüssel." Ich hielt ihm den einzelnen Schlüssel entgegen, aber er schüttelte langsam den Kopf, bis ich ihn verwirrt ansah. 
"Behalt ihn!", lächelte er nur. "Willst du einen Cappuccino oder möchtest du was anderes trinken?" Er lief in die Küche, ich starrte nur den Schlüssel in meiner Hand an. Er hatte mir gerade ernsthaft seinen Wohnungsschlüssel geschenkt?! Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr musste ich grinsen. Schließlich lief ich zu meiner Jacke und verstaute ihn sorgfältig in meiner Jackentasche, dann lief ich zu Julian in die Küche und lehnte mich an seine Kochinsel. 
"Einen Cappuccino nehme ich gerne." Ich kletterte auf die Arbeitsfläche und sah Julian dann dabei zu, wie er den Kaffee vorbereitete. 
"Vermisst du deine Freunde eigentlich sehr?", fragte ich nachdenklich.
"Sie kommen recht oft zu Besuch. Und auch ich versuche, immer mal wieder nach Deutschland zu kommen. Umso größer ist die Freude, wenn man sich dann mal sieht", lächelte er und reichte mir eine Tasse. 
"Ich frage mich, ob das mit meinen Freunden auch funktionieren würde. Ich habe besonders meine besten Freunde in Wolfsburg nahezu jeden Tag gesehen..." Julian nahm seinen Kaffee und reichte ihn mir. Er setzte sich neben mich auf die Kochinsel und nahm die Tasse wieder entgegen. 
"Das kommt vielleicht ein bisschen darauf an, was ihr im Laufe der Zeit so macht", überlegte er. 
"Ich fürchte Lisa und Laura werden ewig in Wolfsburg bleiben. Zumindest in Deutschland. Tabea will nach ihrem Studium in diesem Sommer nach Kolumbien. Und ich hab ehrlich gesagt nach der ganze Sache mit der Anzeige, keine Lust mehr, mich an irgendwas Festes zu binden..."
"Was ist dir denn lieber? Deutschland oder Frankreich? Mal davon ausgehend, dass Frankreich nichts für immer ist..." Ich sah ihm eine Weile in die Augen und dachte darüber nach. 
"Weißt du, wenn ich jetzt sagen müsste, wo ich mich wohler fühle, würde ich beinahe Frankreich sagen. Ich verstehe zwar die Menschen hier kaum, aber irgendwie fühlt es sich genau hier an wie mein Zuhause", murmelte ich und schaute aus dem Fenster. Zuhause ist, wo dein Herz ist, sagt man das nicht so? Möglicherweise saß mein Herz ja jetzt gerade neben mir... 
"Wenn du von was Festem sprichst... meinst du dann nur den Wohnort?", fragte Julian nach einem kurzen Schweigen. Erst jetzt wurde mir klar, wie man meinen Satz auch deuten konnte. 
"Ja, vielleicht... Ich hatte früher immer Angst davor umzuziehen, aber inzwischen gar nicht mehr. Und beruflich will ich auch nicht an einen Ort gebunden sein."
"Okay, ich denke, das ist gut."
Ich schaute rüber zu Julian, der nachdenklich auf seinen Kaffee schaute.

Ich musste mich bald entscheiden, ob ich wirklich hier in Frankreich leben wollte, aber bis dahin hatten Julian und ich noch einiges zu klären.

Paris (Julian Draxler FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt