Kapitel 35 - Der Prozess

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Ich hatte zwar durchgeschlafen, aber am nächsten Morgen war ich trotzdem wie gerädert. Würde ich jemals wieder gut schlafen können?

Jetzt waren wir auf jeden Fall auf dem Weg nach Wolfsburg. Bevor wir aber unsere Eltern besuchen fuhren, machten wir einen Zwischenstopp im Krankenhaus. Das Krankenhaus, in dem ich nach dem Unfall behandelt worden war. Es war grauenvoll, es zu betreten. Es erinnerte mich sofort an all die Ungewissheit, die Schmerzen, die Verzweiflung, als ich herausfand, was mir durch den Unfall genommen wurde. 

"Frau Gartner, schön, dass es Ihnen besser geht. Wie kann ich helfen?", fragte Dr. Wehber, als ich an der Seite meiner Schwester in sein Büro trat. Er war mein behandelnder Arzt gewesen, also würde er mir wohl am ehesten helfen können. 
"Ich brauche eine ärztliche Bescheinigung dafür, dass ich meine Erinnerungen noch immer nicht zurückbekommen habe", seufzte ich. 
Wir brauchten eine ganze Weile, bis wir ihn davon überzeugt hatten, dass das wirklich wichtig war. Mein Anwalt hatte mir empfohlen, eine solche Bescheinigung zu besorgen, um sie als Beweismittel vor Gericht einsetzen zu können. 

Eine ewig lange Untersuchung später kamen wir bei meinen Eltern an. Irgendwie hatte ich schon ein mulmiges Gefühl dabei. Mama würde ausrasten und sich viel zu große Sorgen machen. Und genau so kam es auch. Erst am Kaffeetisch hatte sie sich halbwegs beruhigt. 
"Und was passiert jetzt?", fragte sie vorsichtig. 
"Naja, Julian hat mir einen Anwalt besorgt. Außerdem habe ich nichts verbrochen", murmelte ich. Es wäre langsam auch mal schön, über ein anderes Thema zu sprechen.
"Der Julian?", fragte Mama mit großen Augen und begann zu grinsen. 
"Ja, der Julian", schmunzelte ich und nahm einen Schluck Wasser. 
"Seid ihr wieder zusammen?" Ich wünschte, ich könnte ja sagen...
"Ist ein bisschen kompliziert", nuschelte ich stattdessen. 
"Sie wollen es beide, sind aber bisher zu blöd dafür gewesen", lachte Susan. 
"Apropos Susan, wisst ihr denn schon das Neuste?", grinste ich. Susan hielt kurz inne, ehe sie den Kopf schüttelte, es Mom und Dad dann aber sagte. 
Die beiden flippten total aus, als sie erfuhren, dass sie Großeltern werden würden. Und damit war ich dann zum Glück für einige Zeit außen vor und konnte ein kleines bisschen abschalten. 

Der Abschied von meinen Eltern fiel mir sehr schwer, aber schließlich waren Susan und ich wieder in Hannover. Und dann verging die Zeit bis zum Prozess wie in Zeitlupe. Es wäre noch viel schlimmer geworden, wenn Lisa, Laura und Tabea nicht immer wieder für mich da gewesen wären. 

Am Prozesstag konnte ich dann schon wieder nicht schlafen. Um 12 sollten wir beim Gericht sein, aber ich war viel zu früh fertig. 
"Emily, wir schaffen das, okay?" Susan drückte mich ganz fest und bat mich dann, noch etwas zu essen. Aber ich hatte keinen Hunger. 
"Ruf mich an, wenn es vorbei ist", hatte Julian mich vorhin gebeten, als wir telefoniert hatten. Es war wirklich schön, so viel Unterstützung zu bekommen. Nicht nur er, sondern auch meine Freunde, meine Eltern und Thilo hatten noch mit mir gesprochen. 

Mit Susan lief ich also auf das große Gebäude zu. Davor wartete schon Herr Sahlfeld und begrüßte uns beide. 
"Es ist ganz wichtig, dass Sie sich nicht einschüchtern lassen. Wenn Sie nicht wissen, was Sie sagen sollen oder sich unsicher sind, dann lassen Sie mich sprechen", sagte er noch einmal zu mir, bevor wir den Gerichtssaal betraten. Plötzlich wurde ich total nervös, aber jetzt war Susan nicht mehr neben mir. Ich saß neben dem Anwalt und hielt die ganze Zeit Julians Kette fest. Ich wusste, dass er in Gedanken bei mir war. Ich fühlte das. 

Der Richter begann die Verhandlung, erklärte alles Wichtige und schickte schließlich die Zeugen raus, um sie einzeln wieder hinein zu holen. Es war ein Schock für mich, als auch Susan aufstand und ging. Sie würde aussagen?! Verstört sah ich zu meinem Anwalt. Er nickte nur leicht und lächelte beruhigend. Scheinbar hatte er also mit Susan gesprochen. Wussten die beiden mal wieder mehr als ich?

Als erstes sprach der Mann, der den Verlag - oder besser mich - angezeigt hatte. Ich konnte ihn schon verstehen, schließlich war er um seine Idee und viel Geld gebracht worden. Aber nicht von mir! Er beschimpfte mich, als hätte ich jemanden umgebracht, aber der Rechtsanwalt neben mir, wehrte alles ohne Probleme ab und auch der Richter wies ihn immer wieder dazu an, seine Beleidigungen bleiben zu lassen. 
Nach dem Mann, der mir immer unsympathischer geworden war, trat dann mein Chef auf die Bildfläche. Ich versuchte ihn, durch meine Blicke zu töten. Ziemlich schnell wurde die Sache mit den unbeantworteten Anrufen in den Raum geworfen und ab da wurde er immer unseriöser und verhedderte sich selbst immer öfter. Er nannte am Ende einen ganz genauen Zeitraum, in dem ich an dem Bild gearbeitet haben sollte, aber den konnte schließlich meine Schwester deutlich entkräften, weil wir beide in genau der Zeit umgezogen waren und ich dadurch gar keine Zeit gehabt hätte. Sogar ein Sachverständiger wurde eingeschaltet, der ebenfalls bestätigte, dass ich für eine so gute Imitation Tage gebraucht hätte, die ich nach Angaben des Verlages und meiner Schwester nicht hatte. 

Nach Stunden wurde schließlich noch in der Verhandlung das Urteil gefällt, dass ich in der Angelegenheit nicht bedeutend mitgewirkt haben konnte. Ich war entlastet und mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen. 
Die weiteren Verhandlungen, die dann zum Glück ohne mich stattfinden würden, wurden auf einen anderen Tag gelegt. 

Vor dem Gebäude traf ich als allererstes auf meinen Chef. 
"Hey!", rief ich ihm wütend nach, als er schon weggehen wollte. Genervte drehte er sich zu mir um. "Sieh das als meine Kündigung an", sagte ich dann trocken und drehte mich um. 
"Emily!", hörte ich da meine Schwester rufen. Ich lief zu ihr und warf mich ihr in die Arme. "Wir haben es geschafft!", strahlte sie und erdrückte mich fast. 
"Frau Gartner, es war mir eine Freude, Sie zu vertreten", meinte mein Anwalt und reichte mir seine Hand. 
"Schicken Sie mir die Rechnung zu?"
"Es ist alles bezahlt. Einen schönen Tag wünsche ich." Mit den Worten ging er lächelnd davon. 
"Es ist alles bezahlt?", fragte ich Susan ungläubig. 
"Vielleicht solltest du Julian anrufen und dich bedanken", schmunzelte sie und gab mir mein Handy, das sie in ihrer Handtasche gehabt hatte. 

Schnell suchte ich ihn in meinen Kontakten und rief an. 
"Ich weiß schon Bescheid. Herzlichen Glückwunsch, Süße", strahlte er auch gleich ins Telefon. 
"Juliaaan!", quietschte ich nur und lauschte dann seinem Lachen. "Du hättest das nicht bezahlen müssen", murmelte ich schließlich. 
"Hab ich gerne gemacht! Wie lange bleibst du in Deutschland?", wechselte er schnell das Thema. 
"Holst du mich morgen um Viertel nach drei am Flughafen ab?", stellte ich die Gegenfrage und begann zu grinsen.
"Ja, na klar!"
"Emily, komm, Mom und Dad sind da", rief Susan mir zu.
"Ich muss auflegen. Danke für alles, ich hab dich lieb!", lächelte ich ins Telefon.
"Bis morgen, Kleine."

Dann lief ich zu meiner Familie, die mich zum Essen einlud. Wir verbrachten also einen total gemütlichen Abend in einem Restaurant, bevor Susan und ich unsere Sachen aus dem Hotel holten und mit zu Mom und Dad nach Wolfsburg fuhren.  

Paris (Julian Draxler FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt