Kapitel 26 - Betrunkene lügen nicht

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POV Julian

Ich gab ihr keine Schuld dafür. Wieso sollte ich auch? Ich war ja irgendwie selber Schuld. Ich hatte nicht gut genug auf sie aufgepasst. Es war ja auch irgendwie verständlich, dass sie nach allem, was passiert war, einfach mal etwas Spaß haben wollte.
Sie hing wie ein Schluck Wasser in meinem Arm und stolperte neben mir her. Ich brachte sie aber irgendwie heil zu meinem Auto und half ihr beim Einsteigen. Ich schnallte sie an und schloss die Tür, bevor ich mich auf den Fahrersitz setzte. 
"Wir hätten doch noch bleiben können", grinste sie mich an und ich fuhr los. 
"Nein, du solltest jetzt schleunigst ins Bett!", seufzte ich. Und so langsam machten sich die Schuldgefühle in mir breit. Sie würde morgen schreckliche Kopfschmerzen haben und mich dafür hassen. 
"Och manno", meckerte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Dann starrte sie stur geradeaus. Das brachte mich irgendwie zum Lachen. 
"Du bist süß, wenn du sauer bist", lachte ich. 
"Mistkerl", nörgelte sie. 
Sie spielte noch beleidigt, bis mir nach Clamart kamen. 
"Kannst du bitte anhalten?", fragte sie da plötzlich. Sofort blieb ich an der Straßenseite stehen und vermutete schon, dass sie aus dem Auto flüchten würde, aber stattdessen blieb sie ganz ruhig sitzen. 
"Ich will nicht nach Hause", meinte sie dann leise. 
"Wieso nicht?", fragte ich vorsichtig und stellte den Motor ab. 
"Da wartet bestimmt meine hormonverwirrte Schwester und ist sooo besorgt. Das ist zwar lieb, aber ich will das nicht", meinte sie. 
"Hormonverwirrt?", lachte ich leise. 
"Sie ist schwanger. Ich werde Tante", strahlte sie da aber und ihre Augen leuchteten. 
"Wow, okay. Aber vielleicht schläft sie ja schon. Es ist drei Uhr nachts!"
"Sie merkt immer, wenn ich nicht da bin. Das ist so'n Schwestern-Ding", nuschelte sie. Sie lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. 
"Hey, geht's dir nicht gut?", fragte ich sofort alarmiert. 
"Bin müde..."
"Dann lass mich dich nach Hause fahren", bat ich, aber sie schüttelte den Kopf. 
"Weißt du, was ich glaube?", fragte sie da wieder aufgeweckt. Gott, hatte die Stimmungsschwankungen, wenn sie betrunken war!
"Was?"
"Du liebst mich immer noch", grinste sie. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das jetzt deuten sollte. Das Grinsen war irgendwie eine Mischung aus total betrunken, süß und vollkommen irre. Aber sie hatte Recht. Ich liebte sie jeden Tag mehr. Und umso mehr machte es mich fertig, dass es ihr nicht mehr so ging. Dieser behinderte Unfall hatte alles zerstört! 
"Hab ich Recht?", fragte sie weiter. Inzwischen war ihr Grinsen zu einem Lächeln geworden, das mein Herz dahin schmelzen ließ. 
"Ja", flüsterte ich schließlich und schaute auf meine Hände in meinem Schoß. 
"Das ist süß!" Verdammt, sie lächelte immer noch so, als ich wieder hoch sah. Wie gerne hätte ich sie jetzt geküsst! Aber das durfte ich nicht. Sie war nicht bei klarem Verstand, das wäre nur unfair ihr gegenüber. 
"Du bist süß. Ich fürchte, jedes Mädchen wünscht sich einen Freund wie dich", meinte sie und griff nach meiner Hand. Och nein, Emily, bitte! Mach es mir nicht noch schwerer als sowieso schon!
"Ich weiß, dass du mich küssen willst", säuselte sie dann und küsste meine Hand. Mein Herz begann zu rasen, während ich in ihre Augen schaute. Unbewusst lehnte ich mich ein Stück zu ihr rüber und streckte die Hand, die sie nicht festhielt, nach ihr aus. Ganz leicht strich ich ihr über die Wange, fuhr mit dem Daumen ihren Wangenknochen entlang und erwiderte schließlich ihr zaghaftes Lächeln. Sie kam mir näher und auch ich kam ihr über die Handbremse hinweg entgegen.

Erst als meine Stirn ihre berührte und meine Hand unter ihrem Kinn lag, wurde mir klar, was hier gerade abging. Erschrocken und mit viel zu schnellem Puls entzog ich ihr meine Hand, ließ mich wieder zurück in den Sitz fallen und sah durch die Windschutzscheibe nach draußen. 
"Du bist nicht bei klarem Verstand, Emily! Du bist betrunken...", murmelte ich und umklammerte das Lenkrad mit einer Hand. 
"Warst du auch vorher schon so verklemmt?", fragte sie einen Hauch schnippisch. 
"Ich bin nicht verklemmt, ich bin verletzt!", seufzte ich und lehnte den Kopf gegen meine Kopflehne. Ich schloss die Augen und versuchte etwas runter zu kommen, bevor ich vor ihr noch in Tränen ausbrach. 
"Ich will nicht, dass du verletzt bist! Du bist mir wichtig", meinte sie und löste meine Hand vom Lenkrad. Dann hielt sie sie einfach nur fest und schwieg. 
"Wie wichtig?", fragte ich schließlich in die Stille hinein. 
"Sehr wichtig! Du bist sowas wie mein bester Freund", strahlte sie. Autsch! Das saß... 
"Oh...", meinte sie da und ich sah zu ihr. Sie sah mich an, als wäre ihr gerade ein Licht aufgegangen. Sie ließ meine Hand langsam wieder los und wurde in ihrem Sitz immer kleiner. 

Nach einer Weile startete ich den Motor wieder und fuhr weiter in die Stadt hinein. Es war mir jetzt auch egal, ob sie sich beschweren würde oder nicht.

Nur wenig später parkte ich vor der Hofeinfahrt. Ich achtete gar nicht darauf, dass Emily herum jammerte, sondern stieg aus und lief um mein Auto herum. 
"Na los, steig aus", bat ich sie und hielt die Tür auf. 
"Nein!"
"Emily, bitte..." Ich seufzte und schnallte sie dann selbst ab, wobei ich ihr für meinen Geschmack im Moment viel zu nahe kam. Ich wusste nicht, ob ich meine volle Beherrschung schon wieder hatte. Aber es nützte ja nichts. Beinahe hätte ich sie auch noch aus dem Auto tragen müssen. 
"Du riechst gut", meinte sie und schlang ihre Arme um mich. Ich stand einfach da und überlegte panisch, was ich jetzt tun sollte. Schließlich drückte ich sie behutsam von mir weg, nahm ihre Hand und lief mit ihr zur Haustür. 
"Hast du einen Schlüssel dabei?", fragte ich, aber ich bekam keine Antwort. Also sah ich mich gezwungen, um halb vier morgens zu klingeln. Es dauerte auch gar nicht lange, bis Emilys Schwester mir die Tür öffnete. Hinter ihr stand ein Mann, vermutlich dieser Thilo. 
"Oh Gott, Emily", rief Susan anklagend. Thilo schmunzelte, ich seufzte. 
"Julian ist ein elender Spielverderber", meckerte Emily wieder und ich kassierte doch tatsächlichen einen leichten Schlag gegen den Oberarm. Ich seufzte nur noch einmal. 
"Es tut mir Leid, Susan. Ich hätte besser auf sie aufpassen müssen." Susan zog ihre Schwester zu sich und nahm sie in den Arm. 
"Schon gut, vielleicht hat sie das mal gebraucht", schmunzelte jetzt auch sie und ich lächelte erleichtert. Aber ich war immer noch der Meinung, dass ich sie nicht hätte einladen sollen, dann wäre es auch nicht so weit gekommen. 
"Mach dir keinen Kopf. Sie wird schon wieder", lächelte sie. "Danke, dass du sie heim gebracht hast!"
"Das ist doch das Mindeste", murmelte ich und sah zu Emily, die inzwischen schon fast im Stehen schlief. 
"Ich sag ihr, dass sie sich morgen melden soll, okay?", schlug sie vor. 
"Ja, danke, das wäre schön." 
"Gut dann bringe ich sie jetzt mal ins Bett", sagte sie. 
"Gute Nacht", verabschiedete ich mich. 
"Gute Nacht, Julian."
"Ähm, Susan?"
"Ja?"
"Herzlichen Glückwunsch zum Baby", sagte ich ihr noch und lächelte. Auch sie lächelte, wirkte aber plötzlich unsicher und total verkrampft. 
"Danke", sagte sie aber schließlich und schloss dann die Tür hinter sich.

Ich lief niedergeschlagen zum Auto.
Bester Freund... Ihre Worte kreisten unaufhörlich in meinem Kopf. Wenn dieses Mädchen sich doch bloß vorstellen konnte, wie sehr ich sie liebte. 

Paris (Julian Draxler FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt