Kapitel 2 - Französisches Café

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POV Julian

Warum nochmal genau hatte ich sie auf einen Kaffee eingeladen? Es war eine Kurzschlussreaktion gewesen. Aber warum? Ich hatte sowas noch nie gemacht. Immerhin ist sie ein wildfremdes Mädchen aus Wolfsburg. 
Aber sie war so unglaublich verständnisvoll gewesen. Sie war mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gegangen, nachdem sie mit ihren Freundinnen im Supermarkt verschwunden war. Und dann hatte ich einfach auf sie gewartet. Warum auch immer. 

"Wo gehen wir denn hin?", riss sie mich aus meinen Gedanken.
"Ich würde vorschlagen, wir setzen uns in das kleine französische Cafe dort hinten an der Ecke." Ich zeigte auf ein Cafe in etwa 300 Metern Entfernung.
Sie nickte nur und beobachtete das Treiben um sich herum.

Den restlichen Weg herrschte Stille zwischen uns. Was sollte ich auch erwarten. Etwas unangenehm war es mir trotzdem. Aber was sollte ich sagen? Sollte ich sie etwas über sich fragen? Etwas über mich erzählen? Was Belangloses? Das Wetter? Nein, nicht das Wetter... Also sagte ich einfach gar nichts und hoffte auf eine Erleuchtung.

"Um ehrlich zu sein, trinke ich gar keinen Kaffee", meinte Emily schmunzelnd, während ich ihr die Tür des Cafes aufhielt. Heute war zum Glück nicht viel los. 
"Was möchtest du denn dann?", grinste ich. Das musste ja so kommen.
"Eine heiße Schokolade vielleicht?", fragte sie schüchtern.
"Okay, dann such schon mal einen Platz aus. Ich komm gleich." Ich ging also zum Tresen und kaufte dort eine heiße Schokolade, einen Latte Macchiato für mich und zwei Stücke Kuchen. Es war zwar eigentlich schon recht später, aber Kuchen ging immer.

Nach dem Bezahlen schaute ich mich schnell im Raum um und balancierte dann das Tablett zu dem kleinen Tisch, an dem Emily saß und aus dem Fenster schaute. Sie wirkte so unglaublich entspannt. Sie passte perfekt hier rein.

"Wow, das wäre echt nicht nötig gewesen", meinte sie, als sie das Tablett ansah. Ich zog schnell meine Jacke aus und setzte mich ihr gegenüber.
"Doch das war nötig", grinste ich dann und schob meinen Kaffee zu mir herüber. Sie schmunzelte und sah mich erwartungsvoll an. 
"Wohnst du hier in Wolfsburg?", fragte ich deshalb die erste Frage, die mir in den Sinn kam.
"Jap. Ich lebe schon mein ganzes Leben lang hier. Ich hab quasi nie was anderes gesehen", lachte sie. "Doch im Urlaub, aber sonst nicht."
"Wo warst du denn bisher so?"
"Ähm... ganz unterschiedlich, aber nie wirklich weit weg. Dänemark, Amsterdam, Wien, ein paar Orte hier in Deutschland. Aber am beeindruckendsten fand ich Paris letztes Jahr."
"Paris?"
"Ja, ich war im Sommer dort. Eine unglaubliche Stadt. Warst du mal da?"
"Nicht richtig privat. Durch den Fußball ein paar Mal." Und hoffentlich würde ich in spätestens einem Monat dort wohnen! Aber irgendwas blockierte mich, es ihr zu erzählen. Sonst hatte ich eigentlich immer das Bedürfnis, von Paris zu schwärmen, aber nicht bei ihr. Überhaupt nicht. 

"Stimmt... der Fußball. Ich hab davon so gut wie keine Ahnung", gab sie zu und grinste entschuldigend. 
"Ist doch nicht schlimm. Ist halt nicht für jeden was. Abgesehen davon ist es ganz schön, wenn man mal nicht gefragt wird, wie das letzte Spiel war."
"Meine beste Freundin Lisa ist ein riesiger Fußballfan. Besonders Wolfsburg. Ich fürchte, alles was ich weiß, weiß ich durch sie."
"Ja, ich hab's mir schon so fast gedacht. Das war die Blonde mit der roten Jacke, richtig?"
"Ja. Sie ist die beste Freundin der Welt. Sie ist nur ein bisschen durchgedreht, als sie dich gesehen hat", schmunzelte sie und schaute schnell weg.
"Und du spielst bei Wolfsburg? Ich hätte schwören können, dass ich dich schon mal gesehen hab. Ich hab aber nicht den geringsten Schimmer vom VfL", fragte sie weiter.
"Ich bin hierher gewechselt. Ich komme aus Gelsenkirchen, aus Gladbeck um genau zu sein. Vielleicht kennst du mich aus der Nationalmannschaft?", grinste ich und sie nickte nachdenklich, während ihr Blick auf mir lag.
"Und was machst du so, wenn du nicht gerade von wildfremden Leuten auf einen Kaffee eingeladen wirst?" Ich wollte sie näher kennen lernen, da war ich mir absolut sicher.
"Das wurde ich ehrlich gesagt vorher noch nie", murmelte sie und wurde leicht rot. "Ich bin Illustratorin bei einem kleinen No-Name-Verlag hier in Wolfsburg."
"Wow." Irgendwie passte das zu ihr. Ich konnte mir gut vorstellen, dass in ihrem Kopf tausende Ideen für ein neues Bild schwirrten.
"So ein Zauberwerk ist das gar nicht. Aber ich zeichne einfach super gern", lächelte sie. 
"Kannst du mir was davon zeigen?" Ich war ehrlich neugierig und beobachtete, wie sie zögernd ihr Handy hervor holte und es mir schließlich reichte. Ihre Bilder sahen toll aus! Wirklich richtig gut und alle so verschieden und einzigartig.
"Ich bewundere Menschen, die Stunden über einem Blatt Papier sitzen können. Ich wäre vermutlich schon nach zwei Minuten deprimiert", grinste ich. Das brachte sie zum Lachen. Sie hatte ein schönes Lachen. 

Dieses Mädchen steckte voller Überraschungen. Sie war wirklich hübsch, unglaublich lieb und talentiert. Ohne großartig zu überlegen, schloss ich ihre Bildergalerie und tippte meine Nummer in ihren Kontakten ein. Wer weiß, vielleicht würde sie sich ja melden.

Als ich ihr das Handy zurückgab, schaute sie wieder verträumt in die Ferne. Sie zuckte sogar kurz zusammen, als ich sie vorsichtig anstieß, weil sie nicht reagierte, so in Gedanken war sie. 

Wir saßen noch eine ganze Weile dort und redeten, bis wir quasi rausgeschmissen wurden, weil das Cafe schließen wollte. Also gingen wir nach draußen und schlenderten langsam im Dunkeln durch die Straßen. 

"Darf ich dich was fragen?" Gespannt sah ich zu ihr und beobachtete, wie sie nach den richtigen Worten suchte. 
"Wieso ging es dir vorhin so schlecht?", fragte sie dann und ich schluckte. Das alles hatte ich in den letzten zwei Stunden tatsächlich total vergessen. 
"Das ist eine lange Geschichte... Ich hab dir ja erzählt, dass ich von Schalke hergekommen bin. Aber ich bin irgendwie nie so richtig angekommen. Egal ob im Fußball oder auch privat. Naja und im Sommer wollte ich dann wechseln, aber ich durfte nicht. Sie haben mich hier quasi festgehalten. Es war kein schönes letztes halbes Jahr", erzählte ich seufzend.
"Das tut mir Leid, ich hätte nicht fragen sollen, 'tschuldige", murmelte sie. 
"Nein, es... es tut gut, mit jemandem darüber zu reden. Mit jemandem neutralen, verstehst du? Bisher war jeder, mit dem ich darüber gesprochen habe, auf einer bestimmten Seite. Meine Familie will, dass ich zurück auf Schalke komme, und die Mannschaft hier und auch viele Fans wollen, dass ich bleibe und wieder irgendwie zur Topform komme. Es ist nicht leicht."
"Ich glaube, du solltest das tun, was DU wirklich willst. Also du als Julian und nicht du als Fußballprofi. Du kannst nur glücklich sein, wenn du das machst, was du willst."
"Das nehme ich mir zu Herzen, danke", lächelte ich und war ehrlich dankbar für ihre Worte. 

"Es ist schon spät geworden... Soll ich dich nach Hause fahren? Ich wohne nicht weit von hier, wir können schnell zu mir laufen und dann nehmen wir mein Auto", schlug ich vor. Dabei wollte ich eigentlich gar nicht, dass sie ging. Ich wollte viel lieber noch stundenlang mit ihr reden.
"Das wäre wirklich lieb, aber ich wohne auf der komplett anderen Seite von Wolfsburg, also..."
"Das macht nichts, ich fahre dich trotzdem!"
"Danke!", lächelte sie und folgte mir dann durch die übrigen drei Straßen bis zu meiner Wohnung. 

Paris (Julian Draxler FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt