40. Kapitel

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Wie ein Roboter verlasse ich um halb vier das Haus und rufe mir ein Taxi. Ich muss hin. Ich muss zum Krankenhaus, von wo die Ärztin angerufen hat und Harry zur Rede stellen. Auch wenn ich mir sicher bin, dass ich das nicht schaffen werde. Es fühlt sich so unrealistisch an, als würde ich das alles gerade träumen. Um mich herum ist alles schwummerig und unwirklich.

Ich gehe an die Rezeption.
"Wie komme ich zur Dialyse ...", frage ich so leise, dass die Arzthelferin nachfragen muss, ob ich mich wiederholen kann. "Dritte Etage und dann ist es ausgeschildert.", antwortet sie und mustert mich. "Geht es Ihnen gut? Brauchen Sie einen Arzt?" Kopfschüttelnd gehe ich rüber zum Fahrstuhl und drücke auf den Knopf. Fünf Minuten vor 16 Uhr. Wie wird er reagieren, dass ich hier bin? Wie werde ich reagieren?

Ich gehe durch die Tür zur Dialysestation und sehe mich um. Wartezimmer, einzelne Räume, in denen Patienten an diese furchtbaren Schläuchen angeschlossen sind und eine weitere Rezeption. Ich gehe darauf zu. Eine junge Frau kommt aus einer kleinen Tür und lächelt erst mich an, dann schaut sie an mir vorbei. "Guten Tag, Mr. Styles. Ich bringe Sie zu ihrer Maschine.

Wie gelähmt erstarre ich und höre, wie er nach Luft schnappt, ehe ich mich umdrehen kann. Dann flüstert er meinen Namen, gefolgt von meinem leisen 'nein'.
Mein Herz stolpert und zieht sich schmerzhaft zusammen. Ich lege die Hände vor das Gesicht und lasse ein paar Tränen laufen. Ich hätte nicht hier auf ihn treffen sollen.
"W-w-was machst du hier ..." Seine Stimme ist jetzt näher als gerade. Ich kann nicht antworten. Ich bekomme kein Wort raus. Stattdessen kommen nur noch mehr Tränen. "Soll ich einen anderen Patienten vorlassen?", fragt die Helferin sachte. "Bitte.", antwortet er und dann sind wir alleine auf dem kleinen Flur.

Als seine große, warme Hand meine von hinten umschließt, geben meine Beine nach und ich sinke auf die Knie. Verzweifelt weine ich in meine Handflächen. Harry's Arme umschließen mich und er zieht mich an sich. Wir lehnen an der Rezeption. "Warum ... Wie bist du hier ... Ich meine ...", stottert er heiser. "Meine Mutter weiß es, nicht war ...", frage ich trocken. "Sie hat es irgendwie rausgefunden. Nachdem du angefangen hast bei mir zu arbeiten, hat sie versucht alles über mich herauszufinden. Und irgendwie hat sie es geschafft." Meine Tränen sammeln sich an meinem Kinn und ich vergrabe mein Gesicht in seinem weichen Hemd. "Deshalb will sie nicht, dass du mich heiratest.", fügt er hinzu.
Ich springe auf und trete einen Schritt zurück. "Weil du sowieso bald stirbst?!", brülle ich und wische mir über die Wange. Harry rappelt sich ebenfalls auf, sagt aber nichts dazu, sondern sieht mich hilfesuchend an. "Weiß Lydia davon?" Zu meiner Überraschung schüttelt Harry den Kopf. "Es tut mir Leid, Louis.", flüstert er und lässt den Kopf hängen. "Und jetzt? Was soll ich damit machen? Mit deiner Entschuldigung? Das wird dich auch nicht retten!"

Fuck. Warum kann ich nicht einfach aufhören zu heulen?!

"Ich liebe dich!", wirft er mir an den Kopf. "Genau das macht es alles nur noch schlimmer. Als du sagtest es sei egoistisch von dir mich zu bitten dich zu heiraten ... hätte ich niemals mit so etwas gerechnet. Mit allem, Harry. Mit allem. Aber nicht damit."
Eine Träne läuft über seine Wange. "Und jetzt? Willst du mich verlassen?" Ich hole tief Luft. "Ich werde nicht zusehen, wie du langsam dahinscheidest. Das ... kann ich nicht. Erst die Sache mit diesem ekelhaften alten Mann, der dein Boss ist und mit dem du geschlafen hast, während wir ..." Ich werfe die Hände in die Luft. "Vermutlich waren wir nichts, richtig?! Ich bin eben nur ein 19-jähriges Kind und konnte dir nicht geben, was du wolltest, deshalb hast du es dir bei ihm geholt!" Ich stoppe nach diesem Satz, da ich weiß, dass es nicht stimmt und Harry mehr als verletzt drein blickt.

"Mr. Styles, ihre Sitzung ist jetzt bereit. Würden Sie mir folgen?"
Ich drehe mich um und sehe die Ärztin an. "Kann ich mitkommen?", frage ich. "Nein!", zischt Harry nur. Aber ich überhöre ihn und gehe einfach mit.

Er setzt sich auf die Liege und legt die Beine hoch. Ich stelle mich in die Ecke und verschränke die Arme. Meine Augen brennen vom Weinen.
Ich sehe zu wie die Nadeln in seine Arme gerammt und Schläuche angeschlossen werden. Dann fließt das Blut aus seinen Arterien in die Maschine und wieder zurück in seinem Körper. Harry schließt die Augen und lehnt den Kopf an die aufgestellte Lehne. Ich starre ihn an.

Nach ein paar Minuten halte ich es nicht mehr aus. Ich kann dabei nicht zusehen.
Ohne ein weiteres Wort stürme ich aus dem Raum, aus dem Krankenhaus und fahre zurück zum Haus.

Dort lasse ich mich ins Bett fallen und ziehe die Bettdecke über meinen Kopf. "Ich will aufwachen!", schreie ich. "Ich will einfach aufwachen!"

Captured ➸ Larry Stylinson {COMPLETED} Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt