Verschlafen sitze ich bei meiner Mutter im Auto. Die Füße habe ich auf dem Sitz gestellt, den Gurt über meine Beine geklemmt und starr sehe ich in die Dunkelheit.
„Hast du alles geschafft, was du bei deinen Vater schaffen wolltest?", fragt sie mich. Auch ihre Stimme klingt müde.
„Ja. Und wie war deine Arbeit?"
„Hat mir wie immer Spaß bereitet. Hast du noch Hunger?" Ich höre deutlich das Lächeln in ihrer Stimme.
„Wann habe ich denn keinen Hunger?" Sie muss ja nicht unbedingt wissen, dass ich es heute Nachmittag nicht geschafft habe, etwas zu essen.
„Gutes Argument." Sie redet nicht weiter, auch wenn ich weiß, dass ihr noch etwas auf den Herzen liegt. Zaghaft sehe ich zu ihr, ihr Blick ist konzentriert auf die Straße gerichtet. Die Hände umklammern fest das Lenkrad, ihre Knöchel treten weiß hervor.
„Mum, du weißt du mit mir über alles reden kannst?"
„Wieso meinst du das?"
„Weil ich weiß, dass du noch etwas sagen willst, es aber nicht tust. Ich kenne dich. Schließlich kenne ich dich Siebzehn Jahre meines Lebens." Versuche ich als Scherz rüberzubringen, aber darin war ich noch nie gut.
„Du-", sie scheint zu überlegen, „wir wollten doch über Billys Geburtstag reden ..." Ihre Stimme ist nur ein flüstern. Hätte ich ihr eine Wahl gelassen, würde sie wohl kaum davon anfangen.
Ich presse meine Lippen zusammen. Nun bin ich diejenige, die nicht weiß, was sie sagen soll.
„Ja.", presse ich ebenso leise hervor. Wieder schaue ich aus dem Fenster. Der Nachthimmel ist heute wirklich schön. Bedrohlich schön. „Hast du mich zum Psychiater geschickt, damit ich das alles vergesse?" Ich will die Wahrheit darüber nicht von einem Mörder hören, nicht von ihm, sondern von ihr. Meiner Mutter.
„Woher weißt- ", ihre Stimme ist erschrocken und aus den Augenwinkel bemerke ich, wie sie mich anstarrt, schnell konzentriert sie sich aber wieder auf die Straße, „Ich meine, ja.", antwortet sie nun beherrschter.
„Wieso?"
„Lucia, ich -"
„Mama, ich will nur wissen wieso. Du musst mir nichts anderes erklären." Es ist nicht beabsichtigt, dass meine Stimme so kalt klingt. Ich meine es auch nicht so, aber ich will einfach Antworten.
„Nach Billys Geburtstag, hattest du Angst. Bei jedem Geräusch, wenn das Licht schwächer wurde und selbst vor deinen Mitmenschen. Ich kannte es ja, dass du nicht gerne berührt werden wolltest, aber dass du den Anblick anderer Personen kaum noch ertragen hast, machten mir und deinen Vater Sorgen. Durch die ständige Angst, hast du kaum noch gesprochen und gegessen und in deinen Augen sah ich etwas, was mein Herz schwer werden ließ. Ich wollte dich vor alldem behüten." Ich höre, wie sie mit den Zähnen knirscht. „Und nicht nur die ging es so schlecht. Auch die anderen Kinder auf dem Geburtstag litten unter Angst und verarbeiteten die Situation, wie es für niemanden gesund wäre. Ihr alle habt euch verändert. Zwar haben wir Erwachsenen das alles noch kurz beobachtet, haben dann aber beschlossen, für euch alle einen Spezialisten zu ordern. Einen Psychologen, mit Schwerpunkt auf Hypnose. Er hat euch therapiert und vergessen lassen."
Geduldig höre ich ihr zu.
„Danke.", sage ich, etwas Besseres fällt mir nicht ein.
„Danke?", sie scheint überrascht.
„Ja. Denn so wie es sich anhört, hast du und Dad und die anderen Erwachsenen, meine Kindheit, sowie von vielen anderen, gerettet. Aber jetzt- ", ich spreche das aus, was ich empfinde, „bin ich kein Kind mehr. Auch wenn ich es zu gerne wäre."
„Ich weiß. Ich hätte schon viel früher mit die offen über alles reden sollen. Bloß gab es nie den richtigen Zeitpunkt.
‚Ich glaube' denke ich ‚dass so etwas wie der richtigen Zeitpunkt nicht existiert.' Meine Lippen aber bleiben verschlossen. In ihren Ohren würde es sich wie ein Vorwurf anhören und das hat sie nicht verdient.
Das Auto kommt zum Stehen. Wir sind wieder zu Hause.
„Ich – ich weiß ehrlich gesagt nicht, wo ich anfangen soll ..." Ihren Kopf schlägt sie zurück.
„Das musst du doch gar nicht. Lass uns doch einfach das Video sehen."
Ich weiß nicht, was ich von dem Film erwarten soll. Werde ich aus ihm schlau werden? Werden meine Fragen, die ich selber nicht wirklich weiß, beantwortet? Tut sich mir neues Unwissen auf?
Es ist ein altes Video, so eine wichtige Bedeutung kann es doch gar nicht haben.
Plötzlich merke ich, wie ich an meinen Fingernägeln kaue. Entsetzt und erstaunt sehe ich meine Hände an, zuvor ist mir noch nie aufgefallen, dass ich das tue. Ich bin mir eigentlich sicher, es noch nie getan zu haben. Wieso also gerade jetzt? Wieso jetzt?Es ist doch nur ein verdammtes Video.
Ein Video, das den Moment zeigt, auf den ich den alten Jeffrey zum letzten Mal gesehen habe. Das angeblich zeigt, wie er zu dem wurde, was er heute ist.
Ich schlucke.
Angst und Neugierde überfallen mich. Ich kann nicht sagen, welches dieser Gefühle stärker an mir zerrt, welches von ihnen die Übelkeit in mir hervorruft.
Wahrscheinlich werden Erinnerungen in mir wach, die ich schon längst vergessen habe. Erinnerungen, die von jemand anderen in meinen Verstand versteckt wurden. Will ich sie wirklich wieder haben? Schließlich weiß nicht ich, was sie mit mir machen.Meine Mutter setzt sich neben mich. Sofort beruhige ich mich ein wenig. Denn, ich bin nicht alleine. Sie sieht zu mir, ein müdes Lächeln zeichnet sich auf ihrem Gesicht ab, aber in ihren Augen erkenne ich auch ihre Sorgen.
Sie liebt mich.
Sie hat Angst um mich.Das Gefühl der Schuld fällt über mich ein, als ich mir im selben Atemzug bewusst mache, dass die Scherbe, mein Notfallplan, sich immer noch in meiner Hosentasche befindet. Ich werde keinen Moment zögern, falls ein Zeitpunkt kommt, an den ich sie meinetwillen benutzen muss. Ich werde keinen Moment zögern, meine Mutter mit der resultierenden Trauer alleine zu lassen.
Auch wenn ich nicht weiß wann, es wird sicher einen solchen Zeitpunkt geben. Es wird einen Zeitpunkt geben, an den ich die Selbstsüchtigste Tat meines Lebens vollziehen werde.
Und ich werde frei sein von der Qual, aber sie nicht.
Ich kann nur beten, dass die Zeit, wirklich alle Wunden heilt.
Ein kleines Zwischenkapitel :) was im Video vorkommt, werdet ihr nächstes Mal erfahren, da es sonst zulange gedauert hätte, dass ich wieder etwas hochgeladen habe :x hoffe euch gefällt es trotzdem!
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Zwischen Schönheit und Selbstsucht (Jeff the Killer FF/ Lovestory)
Fanfiction*Abgeschlossene Geschichte* Für sie sind Menschen weder gut, noch böse. Sie sind Selbstsüchtig. Für ihn ist Schönheit ein Geschenk, eine Tugend. Nur er ist dazu gesinnt sie wahrhaftig zu erkennen. Beide sind klug, perfektionieren die List und glaub...