Neuer Bekannter

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Lucia

Mit angezogenen Knien kauere ich auf den mir verhassten Sessel. Meine Fingernägel kralle ich in das Fleisch meiner Unterarme und meine Zähne presse ich fest zusammen.

Anders halte ich es nicht aus.
Diese Anspannung. 

Die meinen kompletten Körper durchzieht und mir hämmernde Schmerzen in der Kopfgegend bereitet.

Die mein Herz mit jedem Schlag stolpern lässt, sodass sich die enge in meiner Brust immer weiter verstärkt. 

Denn er könnte jeden Moment kommen.
Und es könnte jeden Moment soweit sein.
 

Und dann würde ich nicht da sein. 

Und ich würde ihn verpassen.

Nervöse schaue ich zu der Uhr, die dieses Mal nicht abgehängt wurde.
Ein Wunder

Ein Wunder, dass ich überhaupt noch kommen durfte. 

Ich hatte so sehr gehofft, dass Frau Meyer die zukünftigen Sitzungen ablasen würde. Dass sie mich als hoffnungslosen Fall abstempelt und ich meine Zeit nicht mehr mit ihr rumschlagen müsste. Das wir beide frei von einander wären.

Nein.

Vielmehr hatte ich gehofft, dass ...

Aus den Augenwinkel nehme ich wahr, dass jemand das Zimmer betritt.

... Dass er mich schon längt geholt hätte. Dass ich gar nicht mehr da gewesen wäre, sodass meine Mutter mich nicht zu meiner Donnerstagssitzung hätte fahren können.

Dass ich mir über diese inkompetente Doktorin gar keine Gedanken mehr hätte machen müssen.

Ein Kloß bildet sich in meinen Hals. 

Atme ein und aus.

Und versuche die Gedanken zu vertreiben, die mich langsam meiner Hoffnung rauben und eine wüste Leere in mir  verursachen.

Was ist, wenn ... wenn er nicht mehr kommen wird.

"Hallo Lucia.", ruft mich die Stimme eines älteren Herrn aus dem Loch. Eine fremde Stimme, die mich aufzucken lässt. Mit zusammengekniffenen Augen beäuge ich ihn. Er ist nicht besonders groß und seine wenigen Haare sind durch und durch weiß. Seine Augen werden von vielen kleinen Falten umrahmt und Altersflecken zieren seine Hände. Mit seinem Lächeln sieht er freundlich aus, doch einschätzen kann ich ihn nicht.

Schließlich ist er ein Fremder. 

"Was ist mit der Schreckschraube passiert?", sage ich gespielt gefasst, denn es ist die einzige Bemerkung, die mir einfällt. Und erst dann kommt mir der Gedanke, ob ich ihn nicht einfach auch ignorieren soll. Schnell löse ich meinen Blick von ihm und richte ihn gen Fenster.

Als ich es glucksen höre, muss mir die Verwunderung deutlich ins Gesichts geschrieben stehen.

"Eine passende Umschreibung für meine Nichte. Zumindest aus Patientensicht." Misstrauisch blicke ich wieder zu ihn. Seine Augen glitzern belustigt und seine Mundwinkel sind hochgezogen. Meine Bemerkung über seine Nichte scheint ihn wirklich nicht zu stören. "Dich stört es doch nicht, oder?" Während er spricht zeigt er auf den Sessel gegenüber von mir. Als ich kaum merklich den Kopf schüttle, nimmt er auch schon Platz. "Jedesmal eine Enttäuschung wie unbequem diese Dinger sind.", murmelt er vor sich hin, bis er mir wieder seine Aufmerksamkeit widmet. "Du bist also Lucia."

Als ich nicht reagiere, spricht er einfach weiter. "Ich will ehrlich zu dir sein. Frau Meyer hat nicht das geringste Interesse weitere Gespräche mit dir zu führen. Und deswegen bin ich jetzt hier."

"Sehr Feinfühlig sind sie nicht, oder?", überspiele ich meine inneren Glücksgefühle. Ich bin sie wirklich los. Ein Wunder.

"Noch nie gewesen. Ehrlichkeit bringt in den meisten Fällen eine gewaltige Zeitersparnis mit sich.", lacht er. "Ich habe übrigens deine Akten gelesen. Sehr Redselig hat dich meine Nichte nicht beschrieben, nicht die beste Voraussetzung für den Besuch eines Psychologen. Nun-" 

Neugierig schaue ich ihn an. Welche Methode wird er nun ausprobieren, um  die Leiden meines Lebens zu erfahren?

"Nun, ich dachte dann können wir einfach einen Film schauen. So vergeuden wir beide zumindest nicht ohne Unterhaltung unsere Lebenszeit." Er greift zu einem Beutel neben sich und schüttelt den Inhalt vor seinen Füßen aus. "Ich war so frei und habe eine Vorauswahl getroffen."

Entgeistert schaue ich ihn an. Ist das sein Ernst? Verarscht er mich gerade?

"Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt klingt gut.", gehe ich auf seinen Vorschlag ein. "Machen sie das mit allen ihren Patienten?" Ich stehe von meinen Sessel auf und greife nach dem Film. "Ist hinter dieser Schrankwand ein Fernseher?"

"Ja ist es. Lass mich das ruhig machen, setz du dich schon Mal bequem hin." Er nimmt mir die DVD aus der Hand und öffnet den Schrank. "Nicht alle Menschen weigern sich etwas über sich selbst zu erzählen und scheuchen sich vor einer Konversation", geht er auf meine erste Frage ein. "Ich gehe sogar soweit und behaupte, dass einige meiner Patienten gar nicht meine Hilfe in dem Sinne benötigen, sondern einfach einsam sind. Sie mögen es zu reden. Sie brauchen jemanden zum reden. Wir Menschen sind Herdentiere Lucia. Auch wenn es Zeiten gibt, in denen wir keine Gesellschaft bevorzugen."



Albert - so hat sich mir mein neuer Psychologe noch vorgestellt - hat mir nach unserer Sitzung die DVD mit dem Film mitgegeben, da wir ihn nicht zu ende geschafft haben. 
Doch der Film hat mich mit jeder weiteren Minute weniger interessiert. Weniger Beschäftigt. 

Denn -

Jeff.

Was mache ich, wenn ich ihn verpasst habe.

Wenn er noch nicht gekommen ist. 

Wenn -

Wenn er gar nicht mehr kommen wird.




Zwischen Schönheit und Selbstsucht (Jeff the Killer FF/ Lovestory)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt