Flucht?

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Es ist eine einfache Matratze, auf der ich liege. Sie ist breit und in kein Bettgestell gefasst und das Monster liegt neben mir, aber es ist genügend Platz zwischen uns. Ich weiß nicht, ob er schläft. Seine Augen sind auf, aber wie soll er sie denn auch schließen? Bevor er sich hingelegt hat, hat er Augentropfen genommen. Alle drei bis vier Stunden müsste er seine Augen mit ihnen bewässern, damit er sicher gehen kann, dass er nicht erblindet.
Ich höre ihn nicht atmen. Er ist so ruhig, ich wusste nicht, dass es geht. Immer wenn ich bei einen meiner Freunde übernachtet habe oder einer von denen bei mir, habe ich sie geräuschlich wahrgenommen.

Ich war noch nie ein Mensch, der gerne mit anderen zusammen in einen Raum geschlafen hat. Ich kann so einfach nicht gut schlafen.

Draußen ist es immer noch dunkel, durch die Scheiben dringt kein Licht. Auch Regnet es noch, das prasselnde Geräusch beruhigt mich. Aber auch verursacht es Heimweh.
Was ist mit meinen Vater? Ist er inzwischen erwacht? Geht es ihn gut?
Oder meiner Mutter? Ist sie nach Hause gegangen und wundert sie sich wo ich hin bin? Oder wartet sie immer noch bei ihren besten Freund bzw. Ehemann, meinem Vater? Sie kann so stur sein, wenn es um ihre Liebsten geht. Ihr eigenes Wohl stellt sie immer zurück. Es nervt mich oft, denn ich würde ihr gerne etwas zurückgeben, doch das lässt sie kaum zu. Aber Momentan würde es mich beruhigen. Wenn sie bei meinen Vater ist, muss sie sich zumindest keine Sorgen um mich machen. Sie trägt schon genüge an Last.

Schwer presse ich die angestaute Luft in meinen Lungen zwischen meinen Lippen hinaus. Ich muss wissen, wie es ihr geht.
Bedacht darauf, leise zu sein, rapple ich mich von meiner liegenden Position zu einer stehenden hinauf und schau noch kurz das Monster an.

Hat er auch mal Heimweh? Was ist mit seiner Familie?
Schnell schüttle ich die Gedanken ab. Ich sollte mir keine Sorgen um ihn machen. Er hat seinen Weg gewählt. Niemand sonst.

Aus meiner Hosentasche ziehe ich mein Handy. Auf Zehnspitzen verlasse ich den kleinen, stickigen Raum, die Tür hinter mir schließe ich, ohne groß Geräusche zu verursachen. Dann stehe ich wieder in dem großen Raum. Einige Schritte entferne ich mich noch von den Raum, bis ich es wage mein Handy anzuschalten.
Hm?
Es ist ja schon an.
Dann fällt mir ein, dass ich es ja schon im Krankenhaus angeschaltet habe, ohne es wieder aus zu machen.

Mein Handy ist oft aus, ich bin nicht so ein Mensch der andauernd mit seinen Mitmenschen in Kontakt bleiben muss. Viel lieber lese ich oder führe Konversationen Angesicht zu Angesicht. Doch in der Nacht habe ich es aber eigentlich immer an. Es ist mir wichtig, dass meine Freunde mich erreichen können, falls etwas passiert und sonst keiner zu erreichen ist.
Ich will für die Menschen in meiner Umgebung da sein, auch wenn ich es selber nicht so gern hab.

Mit zittrigen Händen gebe ich den Endspeercode ein. Ich habe ein paar Geburtstagsnachrichten, die ich aber ignoriere. Auch hat Simon mir geschrieben.
>Ist wirklich alles gut?<
>Warum antwortest du nicht?<
>Lu?<
>Ach stimmt, dein Handy ist bestimmt wieder aus. Ich hoffe du kannst gut schlafen. Melde dich. Ich bin für dich da.<
Ach Simon. Er ist so anders als ich. Er kann einfach nicht ohne sein Handy.

Auch ist da eine Nachricht von meiner Mutter. Angespannt klicke ich darauf. >Ich komme heute Nacht nicht mehr nach Hause. Der Sturm hört nicht auf, dass Wasser ist zu weit angestiegen und viele Bäume etc. sind umgeknickt oder fliegen durch die Gegend. Autos sind kaum noch unterwegs. Ich liebe dich. Kuss Mama.<
Erleichtert fällt mir ein Stein vom Herzen. Ich würde sie gerne anrufen, doch will ich sie nicht in Gefahr bringen. Zwiegespalten beiße ich mir auf die Lippen.

>Okay. Ich liebe dich auch.< Tippe ich Buchstabe für Buchstabe. Dann drücke ich auf senden. Die Nachricht wir nicht losgeschickt. Ich habe hier kein Netz.

Mist.

Also würde es auch nichts bringen die Polizei anzurufen. Kein Wunder, dass das Monster es mir nicht abgenommen hat.
Ich könnte doch einfach rauslaufen. Wegrennen und ein Versteck suchen. Wenn das Wasser wirklich angestiegen ist, dann kann er mir auch nicht mit dem Taxi hinterher. Und wenn es noch möglich ist zu fahren, kann ich doch einfach das Taxi nehmen. Ich weiß wie Autos kurzgeschlossen werden. Mein Vater hat es mir gezeigt.

Mein Blick ruht auf der Treppe.
Das Monster wird nicht so dumm sein. Er würde mich töten.
Ich entferne mich von den Stufen. Drehe mich um zu der Tür zu dem kleinen Schlafzimmer.

Angespannt steht er im Türrahmen. Er starrt mich an.

„Was?" Ich ziehe meine Augenbrauen nach oben. Ich darf nicht zu schuldig wirken.

„Wieso bist du nicht abgehauen?", fragt er misstrauisch.

„Wieso sollte ich?"

„Weil ich dich hierher entführt habe?"

Ich zucke mit den Schultern. Er kommt auf mich zu.

„Gib mir dein Handy.", fordert er mich auf und ohne zu zögern gebe ich es ihm. Er durchsucht mein Handy. Doch er findet keine Hilferufe, nur die nicht gesendete Nachricht an meine Mutter.

„Ich würde ihr gerne die Nachricht senden, damit sie weiß, dass es mir gut geht. Bitte."

Aufgewühlt sieht er mich an. „Du bist nicht geflohen." Seine Hand vergreift sich in meinen Haaren. Schmerzhaft zieht er an ihnen. „Du bist nicht geflohen." Wiederholt er. Ist er wütend?

Ich muss mich überwinden, die nächsten Worte auszusprechen. „Jeff ...  Ich habe Angst.", flüstere ich.
Schnell lässt er von mir ab. „Das brauchst du nicht. Du bist nicht geflohen. Ich würde es mitbekommen und dich töten. Aber du bist es nicht."

Ich hätte tot sein können.

„Leg du dich wieder hin.", befehlt er mir.

„Ich kann nicht schlafen."

„Versuch es."

Er bewegt sich hin zur Treppe.

„Wohin gehst du?", will ich wissen.

„Die Nachricht. Ich sorge dafür, dass sie abgeschickt wird." Während er spricht, hält er mein Handy hoch.

Versucht er gerade wirklich zu lächeln?

Dann ist er weg.
Und ich bin allein.
Langsam gehe ich in das Schlafzimmer zurück und lege mich hin. Meine Gedanken drehen sich um meine Liebsten, bis eine wohlige Schwärze über mich einfällt.

Zwischen Schönheit und Selbstsucht (Jeff the Killer FF/ Lovestory)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt