Lucias Sicht
Einundzwanzig. Zweiundzwanzig. Dreiundzwanzig. Vierundzwanzig. Fünfundzwanzig. Sechsundzwanzig. Siebenundzwanzig. Achtundzwanzig. Neunundzwanzig. Dreißig.
Ich spreize einen weiteren Finger.
Einundzwanzig. Zweiundzwanzig. Dreiundzwanzig. Vierundzwanzig. Fünfundzwanzig. Sechsundzwanzig. Siebenundzwanzig. Achtundzwanzig. Neunundzwanzig. Dreißig.
Und wieder.
Einundzwanzig. Zweiundzwanzig. Dreiundzwanzig. Vierundzwanzig. Fünfundzwanzig. Sechsundzwanzig. Siebenundzwanzig. Achtundzwanzig. Neunundzwanzig. Dreißig.
Sechs Finger. Also schon 53. Ich schließe meine Hände ganz automatisch zu Fäusten. Von vorne.
Einundzwanzig. Zweiundzwanzig. Dreiundzwanzig. Vierundzwanzig. Fünfundzwanzig. Sechsundzwanzig. Siebenundzwanzig. Achtundzwanzig. Neunundzwanzig. Dreißig.
Strecke meinen Daumen aus.
Einundzwanzig. Zweiundzwanzig. Dreiundzwanzig. Vierundzwanzig. Fünfundzwanzig. Sechsundzwanzig. -
"Lutzia." Kurz schaue ich zu der Person, der diese nervtötende Stimme gehört. Frau Meyer sieht mich streng an. Sofort senke ich den Blick wieder auf meine Hände. - Siebenundzwanzig. Achtundzwanzig. Neunundzwanzig. Dreißig.
Wieder. Bei jeder Zahl nicke ich jetzt leicht mit dem Kopf.
Einundzwanzig. Zweiundzwanzig. -
"Du bist hier um mit mir zu reden."
- Dreiundzwanzig. Vierundzwanzig. Fünfundzwanzig. Sechsundzwanzig. Siebenundzwanzig. Achtundzwanzig. Neunundzwanzig. Dreißig.
Ich fange an meine Lippen beim zählen zu bewegen. Ich muss zählen. Schließlich hat sie alle Uhren aus dem Zimmer entfernt.
Einundzwanzig. Zweiundzwanzig. Dreiundzwanzig. Vierundzwanzig. Fünfundzwanzig. -
"Mein Gott Lutzia! Ich habe die Uhren entfernt, damit du während unserer Sitzung nicht nur auf die Zeiger schaust! Nicht damit du krampfhaft versucht die Zeit zu zählen!"
Sechsundzwanzig. Siebenundzwanzig. "Achtundzwanzig. Neunundzwanzig. Dreißig.", zähle ich laut weiter.
Sie ist mit ihren Nerven am Ende. Das würde jeder Idiot erkennen. Selbst ihr ist es klar.
Ich hebe meinen Blick an und schaue ihr wieder in die Augen. "Einundzwanzig. Zweiundzwanzig. Dreiundzwanzig. Vierundzwanzig. Fünfundzwanzig. Sechsundzwanzig. Siebenundzwanzig. Achtundzwanzig. Neunundzwanzig. Dreißig. Einundzwanzig. Zweiundzwanzig. Dreiundzwanzig. Vierundzwanzig. Fünfundzwanzig. Sechsundzwanzig. Siebenundzwanzig. Achtundzwanzig. Neunundzwanzig. Dreißig." Am Anfang flüstere ich noch. Mit jeder zahl werde ich etwas lauter. "Vierundfünfzig." Meine Hände lege ich auf meinem Schoss ab. "Es ist meine Sechste Sitzung bei ihnen. Und von der sind schon Vierundfünfzig Minuten vergangen, wenn ich mich wegen ihnen nicht verzählt habe. Also haben wir noch knapp Sechsunddreißig Minuten und jede Minute, die sie mit mir Zeit verbringen, werden sie verzweifelter." Ich lege meinen Kopf schief. "Sie wirken etwas perplex. Vielleicht weil ich nach Fünf Sitzungen endlich mal wieder den Mund aufmache? Versuchen sie mich wieder zu analysieren? Sagen sie mir, wie haben sie damals ihren Abschluss geschafft?" Ich kratze mir den Kopf, setze mich gerade hin und schlage meine Beine übereinander.
Einen kurzen Moment scheine ich sie wirklich überrascht zu haben. Ihr Mund steht leicht offen und ihre Augen mustern mich merkwürdig. Doch schnell fängt sie sich wieder und ihre Gesichtszüge nehmen den gewohnten kühlen Ausdruck an.
Ob sie den wohl bewusst einstudiert hat?
"Das ist ein Fortschritt, Lutzia." Einen ihrer Mundwinkel zieht sie leicht nach oben. Sie ist siegessicher. Sie glaubt, sie habe mich geknackt.
Ich schnaube. Dämliche Kuh.
"Du willst auch nicht mehr schweigen. Du willst reden. Das ist ganz natürlich, wir Menschen wollen uns alle mitteilen." Sie notiert sich etwas. Ihr überlegendes Lächeln verschwindet dabei nicht. Nur weil sie es studiert hat, fühlt sie sich wie etwas besseres. Ich kann es richtig spüren.
"Sie wollen sicher auch über etwas reden, können es aber nicht, oder?" Ich imitiere ihr Lächeln. Es fühlt sich gut an. "Ich meine es ernst, wie haben sie ihren Abschluss geschafft? Sie warten die ganze Zeit darauf, dass ich mit ihnen rede, damit sie mich analysieren können. Aber wissen sie was? Das sollten sie auch so können, ohne das ich den Mund aufmachen muss. Das habe ich ja selbst bei ihnen geschafft." Ja, jetzt fühle ich mich wie etwas Besseres.
Nein.
Ich bin etwas Besseres.
"Lutzia, ich glaube nicht, dass sie ..."
"Ach, halten sie den Mund. Wenn sie mit jemanden über ihre Affäre sprechen wollen, dann suchen sie jemanden, der dafür bezahlt wird. Meine Zeit ist mir dafür zu schade."
"Also", empört schnappt sie nach Luft, "Ich bitte dich. Solche Mutmaßungen gehören hier nicht her." Ihr ganzer Körper wirkt verkrampft.
"Gehören hier nicht her? Das ich nicht lache." Meine Finger kralle ich in meine Beine. "Das hier ist doch genau der Ort, wo sie ihre Familie hintergehen. Wo machen sie es genau?", ich lege eine theatralische Pause ein, "Auf der Liege dahinten? Auf den Sessel? Vielleicht sogar auf ihren Schreibtisch?"
"Wie ... Woher ...." Ihre Unsicherheit verrät sie. Ich habe recht. Und sie weiß, dass sie sich verraten hat. "Lutzia!"
Ich lache. "Ist das nicht offensichtlich?" Für sie wohl nicht. "Sie tragen keinen Ring. Vorletzte Woche haben sie auch keinen getragen, die anderen Male aber schon. So kann ich heute auch keine Familienbilder von ihnen sehen, die sich sonst auf ihrem Schreibtisch finden." Ich drehe mich um und deute auf den schmucklosen Schreibtisch. Alle Bilderrahmen sind davon verschwunden. Bevor sie mir dazwischen reden kann, hebe ich meine Hand. "Und ihr Haare. Ausgerechnet heute und den einen Tag sitzen sie nicht so perfekt wie sonst. Natürlich war es bisher nur eine Vermutung von mir, dass sie ihre Familie hintergehen, aber ihre Unsicherheit hat mich bestätigt." Den letzten Satz sage ich voller abscheu.
"Du hast nicht das Recht so mit mir zu reden!"
"Doch. Natürlich habe ich das. Sie sind auch Paartherapeutin, stimmts? Ist es einer ihrer Patienten?" In mir brodelt es. Sie ist ein schlechter Mensch. Meine Hände fangen an zu kribbeln.
"Es reicht! Verlassen sie meine Räumlichkeiten!"
"Sehr professionell.", ich erhebe mich von meinem Platz. "Sie sollten mit ihrer Familie reden und ihnen nicht die heile Welt vorspielen. Das kann nämlich nur schief gehen." Das kribbeln bleibt. Ruhig verlasse ich den Raum, ohne ihr einen weiteren Blick zu würdigen. Die Tür lasse ich hinter mir zufallen.
Ich wollte es eigentlich schon gestern etwas hochladen, aber ich habe mich gestern echt krank gefühlt. Habe es leider dann nicht mehr geschafft. Das nächste sollte nun wieder Sonntag kommen ;)
DU LIEST GERADE
Zwischen Schönheit und Selbstsucht (Jeff the Killer FF/ Lovestory)
Fanfiction*Abgeschlossene Geschichte* Für sie sind Menschen weder gut, noch böse. Sie sind Selbstsüchtig. Für ihn ist Schönheit ein Geschenk, eine Tugend. Nur er ist dazu gesinnt sie wahrhaftig zu erkennen. Beide sind klug, perfektionieren die List und glaub...