Handy

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Es vergeht kein Moment nachdem meine Mutter das Auto auf unserem Grundstück zum stehen gebracht hat, da springe ich auch schon aus dem alten Wagen heraus. Die Tür schlage ich hinter mir zu und höre meine Mutter noch 'das ist kein Panzer' rufen, doch da verschwinde ich schon zur Tür rein ins Haus und stürme die hölzerne Treppe hoch in mein Zimmer. Mit kraftlosen Händen verschließe ich die Tür hinter mir und lasse mich im Anschluss auf mein Bett fallen.

Ich muss nachdenken.

Doch in den letzten Wochen sind meine Gedanken alles andere als klar.

Sie sind wirr, laut. Sie dröhnen, diskutieren, streiten. Sie bringen meine Welt durcheinander. Eine Welt, die sich für mich immer so leicht ordnen ließ. Setzen die Ordnung in Brand, vernebeln meinen Verstand und lassen meine Vernunft in einen friedlichen Schlaf gleiten.

Mit meinen Fingern gleite ich durch mein langes Haar, zwirbel es und ziehe dran.

Ich bin ein komplettes Durcheinander.

Doch es ist nur ein kurzer Gedanke den ich denke, denn dann ist er vergessen.

Nein.

Verdrängt.

Ich muss hier weg.

Abhauen.
Flüchten.
Schnell.

Zu ihm.

Sobald dieser Gedanke durch das Chaos hallt, richte ich mich auf und taste hastig meinen Körper und mein Bett ab. Mein Handy. Wo ist dieses verdammte Ding?

Ich versuche mich daran zu erinnern, wann ich es das letzte Mal benutz habe. Ich habe es ausgeschaltet, nachdem ich von der Schule verwiesen wurde.

Ich wollte einfach von niemanden etwas hören.

Aber wo habe ich es dann hin getan?

Langsam scanne ich mein Zimmer ab. Nicht nur mein Kopf, sondern auch dieser Raum ist ein Chaos.

"Denk nach, denk nach, denk nach!", schreie ich mich an. Dabei schlage ich mir mit den Fäusten auf den Kopf. Mein Atem ist schwer, als ich damit aufhöre. Den auf einmal kommt mir ein Gedanke.

Ganz ruhig stehe ich von meinem Bett auf und durchquere mein Zimmer bis zu meinem Schreibtisch. Ich bücke mich und krabbel auf allen vieren darunter und sammel die Abdeckung, das Akku und das Display meines Handys ein, um es dann zusammenzufügen. Ich hatte mein Handy vor lauter Wut gegen die Wand geworfen.

Und es wird auch funktionieren. Bitte, es muss funktionieren. Die Worte wiederhole ich immer wieder in meinem Kopf.

Auch wenn Risse das Display zieren.

Meine Hände sind noch genau so schwach und zittrig wie vorher. Ich atme durch, bevor ich den An-Knopf länger  gedrückt halte und lasse erleichtert die Luft entweichen, als das Display aufleuchtet. Ungeduldig warte ich darauf, dass ich meinen Pin eingeben kann.

Als es soweit ist, bimmelt mein Handy eine ganze Zeit ununterbrochen aufgrund von Nachrichten, die ich in den letzten Wochen erhalten habe. Es ist so überlastet, dass es nicht auf meine Eingaben reagiert. Als sich meine Nachrichten nach unzähligen drücken endlich öffnen, werden mir nur Nummern angezeigt, keine Namen.

Stimmt ja.

Jeffrey hatte ja all meine Kontakte gelöscht. Und ich hatte mir nicht die Mühe gemacht, sie alle wieder einzuspeichern.

Nach und nach gehe ich auf jeden offenen Chat, sodass die Benachrichtigungen verschwinden. Die meisten Nachrichten sind von Ben. Er schreibt unter anderem, dass er sich Sorgen macht und auch schon öfter hier war, er aber von meinen Eltern immer abgewimmelt wurde. Auch Simon, Elina und Lilly haben sich gemeldet und lassen mich verstehen, dass sie nichts auf das Gerede der anderen Schüler geben und ich mich melden soll, wenn ich sie brauche.

Aber das tue ich nicht.

Nicht.

Und ich schreibe keinen von ihnen eine Antwort.

Ich lasse die Nachrichten unbeantwortet, da genau darin die größte Antwort besteht.

Ich scrolle weiter runter, bis ich zu einem Chat komme, von dem keine neuen Nachrichten ausgehen.

Die Nummer von Jeffrey.

Und erst jetzt erkenne ich die Hoffnung, die ich auf eine Nachricht von ihm verschwendet habe. Ich habe so sehr gehofft ...

Ich beiße mir auf meine Unterlippe.

Doch er hat mir nicht geschrieben.

Und mein Herz zieht sich zusammen.

Hat er denn an mich gedacht?

Und der erste Schmerz durchzieht meinen Körper.

Will er mich noch bei sich haben?

Und die Kälte dringt durch zu meinen Knochen.

Und es stolpert.

Und mein Herz stolpert wieder.

Und angespannt, ganz verkrampft öffne ich den Chat und bin unsicher, ob ich schreiben soll.

Vielleicht bin ich ihm ja Leid.
Vielleicht ist er verschwunden, um mich los zu werden.

Stolpert und stolpert und stolpert.

Nein. 

Ich schließe meine Augen.

So ist er nicht.
Nein, so ist er nicht!

Wäre ich ihm Leid gewesen, hätte er mich umgebracht. 

Er macht keine halben Sachen

Sicher wartet er darauf, dass ich ihm schreibe. Sicher wartet er, dass ich bereit bin mit ihm zu verschwinden. Er wartet nur auf die Nachricht, dass er mich abholen kann.

So muss es einfach sein.

Denn sonst ...

An dieser Stelle stoppe ich den Gedankengang. 

Ich werde ihm schreiben.

Jetzt.


Zwischen Schönheit und Selbstsucht (Jeff the Killer FF/ Lovestory)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt