Wendung

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Das Monster grinst weiter. Lässt seine Arme dieses Mal aber erhoben. "Du kommst gerade so richtig in Fahrt, was?", schnell leckt er sich über seine Lippen. "Vielleicht solltest du mir ins Herz schießen. Vielleicht erfährst du dann, was richtige Aufregung ist. Wie es ist, Richter über Leben und Tod zu sein." Dieses kribbeln, welches jedes Mal durch seine Finger fließt. Wie ein elektrischer Impuls.

"Lass dein Messer fallen.", spricht der Polizist kurz angebunden. Er hat noch nie jemanden das Leben genommen. Er will niemanden das Leben nehmen. Doch bei ihm würde er eine Ausnahme machen.

Der Ausdruck der Überraschung huscht über Thomas Gesicht, als das Monster so plötzlich das Messer klirrend zu Boden fallen lässt. Er hat mit allem gerechnet, aber nicht das er die Anweisung seines Freundes so einfach folgen würde. Er hat sich schon selbst seine Dienstmarke abgeben gesehen - denn was die beiden hier machen ist gegen ihre Vorschriften. Und würde dabei einer von ihn jemanden umbringen - würde es sicher keine Gnade geben. Und wie hätte er dann seine Frau und vier Kinder versorgen sollen?
Schwer schluckt er den Kloß in seinen Hals herunter. Er hätte sich selbst gar nicht erst in diese Situation begeben dürfen. Aber - wie hätte er seinen besten Freund seine Bitte ausschlagen können? Dafür verbanden die Beiden zu viele Ereignisse.

"Und jetzt sag mir wo meine Tochter ist." Die Stimme des Polizisten ist fest. Ein Außenstehender würde seine Anspannung nicht bemerken.

"Was weiß ich. Vielleicht ist sie von zu Hause weggelaufen." Spöttisch zuckt der Bleiche mit seinen Schultern.

"Meine Tochter würde nie einfach so abhauen. Das ... das kann ich einfach nicht glauben. Aber das du etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hast, dass geht schon eher in meinem Kopf rein. Seit jeher willst du Spiele mit mir spielen, aber meine Tochter lässt du da gefälligst raus. Sie hat sich wegen dir so anders verhalten, stimmst? Du hast ihr gedroht und du hast ihr die Wunde an ihrer Wange zugefügt. Durch deine Drohungen hat sie sich nicht getraut sich uns anzuvertrauen und dadurch konnte sie weder schlafen noch essen.", die Stimme des Alten bricht bei jedem Satz. Schon immer hatte er Angst um seine Familie. Und mit dem verschwinden seiner Tochter ist sein größter Albtraum wahr geworden. Der Gedanke, dass sie womöglich schon tot ist, lässt ihn jede Sekunde sterben. "Gib sie mir einfach wieder. Gib mir mein Kind wieder und ich lass dich für immer in Ruhe." Seine Stimme klingt nicht mehr so kraftvoll wie vorhin. Auf einmal ist sie zerbrechlich und auch sein Auftreten ist nicht mehr einschüchternd. Er ist ein gebrochener Mann, dem man die Strapazen der letzten Wochen deutlich ansieht. 

"Deine Ansprache in allen Ehren, aber sie ist armselig. Hörst du dir eigentlich selber zu? Dennoch hat sie mich amü-" Das Monster schafft es nicht seine Gegensprache zu halten. Denn er wird unterbrochen. 
Von ihr.

"W-was - was ist passiert." Ihre Stimme ist zittrig, außer Atem, brüchig. Ihre Hand presst sie gegen ihre Seite, sie ist sofort los gerannt, als sie die Schüsse gehört hat.
Denn Jeffrey besitzt keine Schusswaffe.

Von ihrer Verletzung und der kurzen Anstrengung ist ihr schummrig, doch gerät ihre Welt noch mehr ins wanken, als sie die Wunde an Jeffreys Bein sieht und augenblicklich später ihren Vater. Sie lehnt sich an die Wand an, denn kurz hat sie das Gefühl umzukippen. 

Er lebt noch. Beide leben noch.  Schreit ihr Herz. 
Nur ... wie lange noch. Unterbricht ihr Kopf.

"Lu.", hört sie ihren Vater erleichtert sagen und er will zu ihr, doch er weiß, dass er das Monster in Blick behalten muss. Er darf ihn nicht aus seinen Augen lassen. So erleichter er darüber ist seine Tochter zu sehen, umso mehr schmerzt in ihr Anblick. Sie sieht noch blasser aus. Noch kränklicher. Noch abgemagerter. Und das Blut ihrer Rücken-Wunde ist bereits durch ihr Shirt gesickert. Die ganze Rückseite ist mit ihrem Blut getränkt. Sie bietet ihm einen furchtbaren Anblick und sofort macht er sich selbst Vorwürfe. Er hätte sie von Anfang an besser beschützen müssen. "Lu, meine arme kleine Lu. Was hat er bloß mit dir gemacht?" Wut rast durch seinen Körper. Das Versprechen ihn gehen zu lassen - das wird er nicht halten können.

Die Angesprochene nimmt seine Worte kaum wahr. Die Gedanken schwirren wirr durch ihren Kopf und lassen sie schwerer fühlen. Immer wieder blickt sie von ihrem Vater zu Jeff. Von Jeff zu ihrem Vater. Und dann nimmt sie Thomas wahr, nur einen Augenblick, bis ihre Augen wieder zwischen den anderen beiden hin und her wechseln. Völlig überfordert kann sie sich gerade so auf den Beinen halten. 

Wieder gleitet ihr Blick zu den Menschen, für den sie alles aufgegeben hat. Wie er so da steht, mit erhobenen Händen und seinem Messer auf den Boden liegend. Er sieht zwar nicht so aus, aber ... er ist nicht der Gewinner dieser Situation. Jeffrey ist geschlagen.

Und das vielleicht zum ersten Mal.

Die Erkenntnis lässt Lucia schwer schlucken.

"Lu, komm schnell zu mir. Nimm das Messer von Boden und komm zu mir. Wir sind da. Wir beschützen dich. Er kann dir jetzt nichts mehr tun." Ihr Vater will sie auf seiner Seite wissen. 

Wegen ihres Zustandes würde sie gerne um Pause bitten. Eine Pause, in der sie die Situation genausten Analysieren könnte. Aber das kann sie nicht.
Ihr bleiben nur wenige Sekunden.

Wieder gleitet ihr Blick hin und her.

Jeffrey ist geschlagen. Und ihr Vater wartet darauf, dass sie zu ihm kommt. Dass sie Jeffrey hinter sich lässt. Die Angelegenheit in seine Hände übergibt.

Still sieht das Monster sein Mal'ach an. Seit sie aufgetaucht ist, hat er seinen Blick nicht mehr von ihr genommen. Kurz gelangen zweifel in ihm hoch. Was ist, wenn ihr Vater recht gehabt hat?  Das sie nur bei ihm geblieben ist, weil er ihr ständig gedroht hat? Doch sofort schüttelt er sie ab. Sein Mal'ach würde nie so sein.

Doch sein Mal'ach überlegt. Wenn sie sich auf Jeffreys Seite schlägt, wird es ihr nicht viel besser ergehen als ihm. Wenn sie bei ihm bleibt, wäre auch sie geschlagen. Doch wenn sie jetzt die Anweisung ihres Vaters befolgen wird, würde er es als Entführung abstempeln. Sie würde wieder ihr vorheriges Leben haben.
Und Jeff wird sterben.

Mit ihrer Schulter stoßt sie sich leicht von der Wand ab, um ihre Füße zum Gehen zu bewegen. 
Ihre Schritte sind langsam, als sie sich auf den Geschlagenen zubewegt und sie stoppt, als sie vor seinem Messer steht. Sie bückt es, hebt es auf und starrt ihren Gegenüber direkt in die Augen. Sie weiß was er denkt. Sie weiß das er will, dass sie ihm das Messer reicht und er sie als Gefangene nimmt. Das er glaubt, dass sie so entkommen könnten.

Und das würden sie. Denn weder ihr Vater, noch sein Freund würde in diesem Falle auf ihn schießen. Das weiß sie, zu hundert Prozent.

Doch sie gibt es ihm nicht.

Alles, was sie ihm noch gibt sind Wörter. Vier Wörter, die sie mit ihren Lippen formt und die er unter keinen Umständen von ihr bekommen möchte.

Es tut mir Leid.

Der Ausdruck in seinen Augen ist für sie zu viel. Schnell wendet sie sich ab und läuft zielstrebig zu ihren Vater.

"Bleib stehen!", schreit dieser und feuert eine weitere Kugel ab. Erschrocken dreht sich Lucia um und sieht wie eine zweite Kugel das Bein von Jeffrey getroffen hat. Dieser bleibt darauf wirklich stehen, doch sein Blick ist Vorwurfsvoll gegen Lucia gerichtet.

Wie kann sie ihn nur so verraten! Wie kann sie es wagen! Sein ganzer Körper zuckt vor Wut, doch er rührt sich nicht mehr.
Es ist das erste Mal.
Das erste Mal, dass er weiß,
dass er verloren hat.
Und es ist schlimmer, schlimmer als jemand ahnen könnte.

Denn er hat nicht nur das Spiel verloren.


Zwischen Schönheit und Selbstsucht (Jeff the Killer FF/ Lovestory)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt