dünne, rote Linie

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Ich habe nie erfahren müssen, wie schmerzhaft es ist jemanden zu verlieren, der gar nicht Tot ist. Und jetzt weiß ich es.

In meiner Brust zieht sich immer wieder etwas zusammen, was sich anfühlt, als wäre es ein viel zu großer Stein. Es stolpert – und lässt mich erschwert Luft holen. Mein Körper ist ein zittriger Haufen, der sich runtergekühlt und schwach anfühlt. Und dazu dieses Verlangen zu weinen – Tränen freizulassen, die schon längst über meine Wange gelaufen sind.

Ich hätte ihn nicht gehen lassen dürfen. Nicht alleine.
Ich hätte ... hätte mit ihm gehen sollen.
Ich –

Habe keinen Schimmer, was richtig ist.


Ich laufe nach Hause, einen kleinen Stein vor mich her tretend. Menschen, die an mir vorbeigehen, starren mich an. Die meisten davon haben jedoch den Anstand immer nur kurze Blicke auf mich zu werfen. Als würden sie wirklich glauben, dass ich es so nicht bemerke.

Ich selber hätte vermutlich auch gestarrt.

Denn über die Probleme Anderer nachzudenken ist nun mal leichter, als sich über einen selbst den Kopf zu zerbrechen.

Ein leichtes, wissendes Lächeln schleicht sich bei diesem Gedanken auf meinem Gesicht. Und es erlischt, als ich wieder über mich selbst nachdenke.


Zu Hause stelle ich mich unter die Dusche. Durch zusammengekniffenen Augen beobachte ich, wie das Wasser die Farbreste von meinem Körper den Abfluss runterspült. Mit meinen Händen fahre ich so oft übers Gesicht, bis ich auch dort jeden Klecks und die leichte Salzkruste auf meinen Wangen entfernt habe. Ich steige tropfend aus der Dusche, stelle mich vor dem beschlagenden Spiegel und wische mir ein Sichtfenster mit einem Handtuch frei. Ich starre mich selbst an, wie mich die Leute heute angeschaut haben. Und mit jeder weiteren Sekunde, wie ich mich so anstarre, wächst die Abneigung.

Ich habe noch Farbe am Kinn.

Mit meinem Daumen streiche ich darüber – doch er geht nicht weg.

Ich mache es wieder und wieder, doch das einzige Resultat ist, dass ich die Farbe nun auch an dem Daumen habe. Mit dem Handtuch reibe ich aggressiver über mein Kinn – auch als die Haut schon gerötet und der Fleck längst weg ist. Es fühlt sich an, als wäre er immer noch da. Als wäre er nicht weg. Als wäre er schon immer da gewesen.

Tränen stehlen sich in meine Augen. Tränen, die schon längst verbraucht sein sollten.

Mit aller Kraft schmeiße ich das Handtuch gegen mein Spiegelbild.

„Es reicht!", schreie ich mich selbst an. Meine Stimme ist hoch und schief. Eine Röte entsteht auf meinen Wangen, die immer entsteht, wenn ich wütend bin.

Ich kreische.
Höre erst auf, als die Luft in meinen Lungen verbraucht ist.

Kreische wieder.

Lasse den ganzen Schmerz frei.

Bekomme wieder keine Luft.
Höre auf.
Fange erneut an.

Lasse die Tränen nicht aus meinen Augen.
Sehe mein Abbild verschwommen.

Stopp.

Und wieder von vorn.

Die roten Stellen breiten sich auf dem verschwommenen Körper aus.
Es wird warm.
Keine Luft –

Eins.
Zwei.
Und wieder.

Sie färben sich dunkler.

Verschlucke mich.
Huste.

Kann nicht mehr atmen.
Lasse die Tränen los.
Hohle Luft.

Ich kann nicht –

Ich beuge mich nach vorne zum Waschbecken, wische mit dem Handtuch die Tränen weg.

Eins.
Zwei.
Drei.

Beruhige mich.

Komme langsam zu Atem.

Und bin ruhig.

Mein Körper ist schon getrocknet, nur zwei drei Tropfen gleiten mein Bein entlang. Mit meiner Hand wische ich sie weg und erst da sehe ich, dass es Blut ist. Eine dünne rote Linie ziert sich von meinem Knie bis hin zu meinem Schambereich. 

Zwischen Schönheit und Selbstsucht (Jeff the Killer FF/ Lovestory)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt