Letztes Wiedersehen? - AuraTavarius

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„Was? Dani, das ist doch nicht dein Ernst, oder?“ Meine Hand umklammerte das Handy ein wenig fester, mein Blick war fassungslos ins Leere gerichtet. „Das kannst du mir nicht antun! Ich brauche dich heute. Ohne dich schaffe ich das nicht.“

„Tut mir leid, ich wäre gern zum Grillen mitgekommen, aber ohne fahrtüchtiges Auto geht das nicht“, erwiderte sie, die Ruhe in Person. In Gedanken verfluchte ich den weißen Käfer, der Danielle und mich in den letzten drei Jahren immer gewissenhaft von A nach B gebracht hatte. Aber ausgerechnet heute wollte er nicht anspringen. Warum nur schlug das Karma immer dann zu, wenn es nicht angebracht war?

„Du könntest doch den Zug nehmen“, meinte ich hoffnungsvoll und wurde sogleich enttäuscht.

„Ich liebe dich ja, Di, aber nicht einmal du bringst mich dazu, in einen Zug zu steigen.“ Beinahe naiv war es von mir gewesen, anzunehmen, Danielle würde mit dem Zug fahren; müsste ich es doch eigentlich besser wissen.

„Gibt es wirklich keine Chance?“ Ich glaubte, so verzweifelt wie in diesem Moment gewesen zu sein, war ich noch nie. Ohne Danielle, ohne meine beste Freundin, würde ich heute Abend untergehen. Sie war die Einzige, die es hinbekam, in meinem vernebeltem Hirn Klarheit zu schaffen. Ohne sie - da war ich mir sicher - würde ich den perfekten Vollidioten mimen. Vorausgesetzt, dass Paul überhaupt auftauchte. Nichts in mir wünschte sich sehnlichster, dass er die Einladung der Gastgeberin Laura annahm. Anderseits gab es da noch den kleinen Teil, der das genaue Gegenteil wollte. Sie kämpften mit einander, tagtäglich, und das seit fast drei Jahren.

„Hey, Lydia! Noch da? Oder liegst du bereits weinend auf dem Boden?“, drang es an mein Ohr.

Mit einem tiefen Seufzer ließ ich mich rücklings auf mein Bett fallen, ehe ich antwortete. „Für dich doch immer", trällerte ich in einem Ton, den sie nicht missverstehen konnte und dann um einiges ernster: „Nur, weil ich mich in Pauls Nähe ein wenig verhaltensgestört verhalte, heißt das noch lange nicht, dass ich auch wegen ihm weine!“

„Seit Neustem also Paul ... so so ..." Ich hörte sie ein Kichern unterdrücken und verdrehte die Augen. „Verhaltensgestört, das ist gut, Di! Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der von Jetzt auf Gleich derart tollpatschig wird und rot anläuft wie du. Paul hat eindeutig eine ungesunde Wirkung auf dich.“ Dieses Mal gab sie sich keine Mühe, ihr Lachen vor mir zu verbergen.

„Das spielt alles sowieso keine Rolle mehr. Ich gehe nicht hin und sehe ihn somit nie wieder. Problem gelöst“, sagte ich fest entschlossen. Paul hatte sich vor knapp einem Monat an unserem Abschlussball nicht von mir verabschiedet. Warum sollte er es dieses Mal tun? Ich wollte nicht noch einmal so gekränkt werden, indem er ohne ein Wort des Abschieds aus meinem Leben verschwand.

„Du wirst zu diesem verdammten Grillabend gehen und du wirst Paul wieder sehen und noch mehr als das; du wirst dich mit ihm unterhalten und schlussendlich mit ihm abschließen“, donnerte es vom anderen Ende der Leitung. „Ich bin doch nicht verrückt und lasse zu, dass du kneifst und mir Jahrzehnte in den Ohren damit liegst, dich nicht von ihm verabschiedet zu haben.“

Danielles Ansprache wirkte. Am Abend des selben Tages stand ich ausgehbereit vor der Haustür, im Begriff mich auf den Weg zu Laura zu machen. Da sie und ihre Familie nicht weit auf einem Bauernhof an der Grenze der Stadt wohnten, konnte ich die Strecke zu Fuß hinter mich bringen. Dazu musste ich jedoch zuerst das Haus verlassen.

Ich atmete einmal tief durch, rief mir Danielles eindringliche Worte ins Gedächtnis und warf einen letzten prüfenden und zugleich skeptischen Blick in den Spiegel, der im Flur hing. Fast zwei Stunden hatte ich in mein Aussehen investiert und war schlussendlich trotzdem nicht vollkommen zufrieden damit. Ich trug eine dunkle Jeans und ein schwarzes Shirt, das locker um meinen Hüften saß. Das Einzige, womit ich wirklich zufrieden war, war mein blondes Haar, das mir über die Schultern fiel, und meine blauen Augen. Für einen Grillabend unter Freunden hatte ich mir wahrscheinlich zu viel Mühe gegeben, was mein Äußeres betraf. Aber Paul kam und der Wunsch, von ihm gesehen zu werden, war wieder hochgekommen. Von wegen abschließen – ich war noch immer Hals über Kopf in ihn verliebt!

Kurzgeschichten: Lehrer, SchülerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt