"Das sollen wir essen?" fragte Selina unglaubwürdig, als sie das mittelgroße, pelzige Tier sah, welches Linus stolz präsentierte. "Das wird wie Hühnchen schmecken," bemerkte Jonah und sah das Tier genauer an. Es war fast so groß wie ein Chihuahua, hatte braunes, dickes Fell und kleine abstehende Ohren. Sonderlich viel Fleisch schien nicht an dem Tier dran zu sein, es war ziemlich mager.
"Gut, dann bereitet es mal zu," sagte Allison und fing an, die Feuerstelle zu säubern. "Nicht hier!" rief Marlia entsetzt. "Ich will nicht sehen, wie ihr das kleine, süße Tierchen häutet. Geht damit wo anders hin," Linus hob abwehrend die Hände. "Von mir aus," er sah sich um. "Machen wir es dahinten'"
"Gut so," Marlia sah dem kleinen Tier wehmütig hinterher und wendete dann den Blick auf den Obstvorrat vor ihren Füßen. "Wenn wir noch lange hier fest sitzen, werde ich noch zum Magermodel," sie rümpfte die Nase und zog an dem Hosenbund ihrer Shorts, die eindeutig zu weit geworden war.
"Hoffentlich hat das Alles hier bald ein Ende," seufzte Selina und legte sich in den Sand. Ihre hellen Haare standen im Kontrast zu ihrem, mittlerweile dunklen Teint. Marlia fand sie hübscher, so ohne make-up. Sie sah natürlich und frisch aus, fast sympathisch. Marlia schälte sich eine Banane und fing an, missmutig darauf herum zu kauen.
"Jungs, seid ihr endlich fertig?" rief Allison, als sie die Feuerstelle für das Fleisch präpariert hatte. "Gib uns eine Minute!" kam es zurück und Allison verdrehte die Augen. "Ich wette mit euch, sie haben keine Ahnung was sie machen," Selina kicherte. "Ich glaube es ist nicht so leicht einem Tier das Fell über die Ohren zu ziehen," bemerkte Marlia, schluckte den letzten Bissen der Banane hinuter und nahm sich eine neue.
"Das glaubt uns eh keiner wenn wir wieder zu Hause sind," "Stimmt. Oh sie kommen," Marlia sah, dass von dem Tier nur noch das essbare Fleisch übrig geblieben war und ihr Magen verdrehte sich. "Sieht aus wie Hühnchen," sagte Selina als sie sich aufsetzte. "Satt werden wir nur leider nicht," sagte Jonah traurig und ließ sich neben Marlia nieder.
"Um richtig satt zu werden, brauchen wir vier von den Tierchen," Linus reichte Allison das Fleisch und diese verteilte die Stücke auf den heißen Steinen. "Wir stellen einfach mehrere Fallen auf," schlug Felix vor und setzte sich auf die andere Seite von Marlia. "Ich habe noch Schnürsenkel, die wir benutzen können," er deutete auf seine Turnschuhe und die anderen nickten. "Ja, Morgen stellen wir noch welche auf," bestätigte Jonah ihn und sah schmachtend auf das Fleisch, das langsam anfing zu brutzeln.
"Wir könnten auch jetzt noch gehen," bemerkte Linus, doch Jonah schüttelte nur den Kopf. "Bis wir gegessen haben, steht die Sonne schon zu niedrig und ich will mich nicht hetzten," "Okay, verstehe."
"Fertig," sagte Allison nach einer gefühlten Ewigkeit und reichte Linus das erste Stück Fleisch. Vorsichtig biss er hinein und kaute bedächtig, während ihn die anderen neugierig beobachteten. "Und?" fragte Felix ungeduldig. "Es fehlt eindeutig Salz und etwas Pfeffer und es ist etwas zu viel Sand dran," antwortete Linus kauend."Aber sonst schmeckt es gut. Schön mal etwas anderes zu essen als Fisch und Obst," Nach dieser Information wurde auch der Rest verteilt und dann saßen alle still kauend im Kreis.
"War gut. Nur eindeutig zu wenig," stellte Allison fest, nahm sich eine handvoll Beeren und steckte sie sich in den Mund. Die Sonne stand tief am Himmel und tauchte den Horizont in eine Mischung aus orange und rosa. Die Wellen schimmerten unter den letzten Sonnenstrahlen und rauschten friedlich ans Ufer. Der Himmel war fast wolkenlos, nur weit hinten waren einige von ihnen zu erkennen. "Es ist echt wunderschön," unterbrach Felix die Stille, als alle den Anblick genossen. "Und wie," hauchte Marlia und lehnte sich an seine Schulter. Er legte seinen Arm um sie und lächelte sie an. Sie lächelte zurück und hoffte, dass er ihr pochendes Herz nicht hören konnte.
"Früher habe ich die Natur nie so wahr genommen," sagte Linus und strich sich durch seine schwarzen Haare. "Wenn man in einer Großstadt lebt, kommt so etwas," er deutete zum Sonnenuntergang," nicht so häufig vor." "Trotzdem vermisse ich die Stadt und die Zivilisation," warf Allison ein. "Wer nicht?" er seufzte und stütze sich auf seine Unterarme.
Sie saßen noch einige Minuten da und schauten aufs Meer. Erinnerungen durchzogen ihre Gedanken, an ihre Eltern, Freunde und an ihr zu Hause.
Marlia kuschelte sich an Felix und merkte wie sich ihr Körper in seiner Gegenwart veränderte. Wie ihr Herz schneller schlug, ihre Handflächen feucht wurden und trotzdem dachte sie an Emma und wie es ihr wohl ging. Ob sie gerade vor dem Fernseher oder dem Computer saß um die neuesten Informationen zu dem Flugzeugabsturtz heraus zu finden? Ob sie weinte, weil sie dachte ihre beste Freundin und ihren festen Freund verloren zu haben? Wie ging es Thomas? Hatte er sich endlich frei genommen um den Schock zu verarbeiten, dass seine Tochter vielleicht bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war? Das wäre das erste mal in acht Jahren gewesen.
Linus Gedanken schweiften zu seiner Schwester Lina und seiner restlichen Familie. Ob sein Bruder wohl nach Hause geflogen war um seine Mutter und Vater zu unterstützen, oder hatte er sich nicht getraut in ein Flugzeug zu steigen? Er vermisste seine Geschwister und die unbeschwerte Zeit. Er hatte sich Urlaub von seinem Job genommen um seinen Bruder zu besuchen und hatte Lina versprochen nach einer Woche wieder daheim zu sein. Er hatte sein Versprechen gebrochen.
Jonah starrte auf die Wellen und die weiße Gischt, die in alle Richtungen spritzte. Auch er vermisste seine Familie. Seine Mutter war sicher krank vor Sorge und er würde ihr so gerne sagen, dass es ihm gut ging. Noch. Wer würde schon wissen wie es weiter ging. Er sprach es zwar nicht laut aus, aber er hatte schon längst die Hoffnung verloren, dass sie noch gefunden würden. Hätte sie nicht schon längt jemand finden müssen? Irgendwann würde man doch davon ausgehen, dass alle ertrunken waren und die Suche abbrechen, oder nicht? Er seufzte.
Selina sah zu ihm herüber und musterte ihn. Sie hatte sich im Flugzeug zwar gewünscht, auf der Abreise viel Zeit mit ihm zu verbringen, aber mit so viel Zeit hatte sie nicht gerechnet. Am Liebsten würde sie sich in ihrem Bett verkriechen, sich ihre Kopfhörer in die Ohren stecken und für mehrere Tage dort bleiben. Einfach alleine sein. Jeden Tag die gleichen Menschen um sich herum zu haben war anstrengend. Außerdem kannten sie sich nicht wirklich, zwar hingen sie jetzt seit mehreren Wochen aufeinander, aber trotzdem konnte sie nicht viel über die einzelnen Personen sagen. Lag das an ihr oder an denen?
'Lieber Gott,' Allison sah zur unter gehenden Sonne und faltete kaum merkbar die Hände. 'Danke, dass du uns am Leben hälst und uns beschützt. Danke, für diesen wunderschönen Sonnenuntergang den du uns gerade bietest," betete sie stumm. 'Hilf mir, diese Prüfung zu überstehen und hilf mir nach Hause zu kommen. Ich bitte dich, hilf uns miteinander klar zu kommen und uns gegenseitig zu unterstützen. Manchmal kann es schwer sein, sozial zu handeln und nicht immer nur an sich selbst zu denken, also hilf uns, nicht komplett durch zudrehen. Danke, Amen.' Sie atmete einmal tief aus, schloss die Augen und genoss die letzten Sonnenstrahlen. Eigentlich war sie nicht religiös, aber irgendwann war die Zeit gekommen, zu beten. Es war das letzte was Sie tun konnte.
'Wie es wohl meinen kleinen Bruder geht?' fragte sich Felix und dachte an den kleinen Lockenkopf, der ihn immer zur Weißglut brachte. Manchmal weckte Lars ihn, indem er ihm ein Glas Wasser ins Gesicht schüttete. In solchen Momenten wollte er seinen Bruder am liebsten umbringen, aber er liebte ihn vom ganzen Herzen. Als er letztes Jahr in die Grundschule kam und hinter seiner großen Schultüte, das größte Lächeln trug, das Felix je gesehen hatte, hätte er vor Stolz platzen können. Sein Bruder war ihm das Wichtigste. Sein Vater arbeitete viel und seine Mutter trank gerne ein Bier zu viel, aber Lars brachte alle zusammen. Er vermisste ihn sehr, er schluckte einmal.
"Schlafen?" fragte Linus, als Marlia ein weiteres mal gähnte und die Sonne schon verschwunden war. Die Luft wurde frischer und die Dunkelheit fing an, alles zu verschlingen. Die Anderen nickten und murmelten 'ja'. Nacheinander rappelten sich alle auf und legten sich unter das schützende Palmendach.
"Ich wünsche euch allen eine gute Nacht," gähnte Selina und schloss die Augen. Auch die anderen begaben sich in ihre Schlafpositionen, schlossen die Augen und drifteten ins Land der Träume, sodass keiner bemerkte, was sich langsam am Horizont ausbreitete und immer näher kam.
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Gespannt wie es weiter geht? ;)
Über Feedback freue ich mich immer, also lass etwas da :)
real-charlott xx
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Verloren im Paradies
AdventureAuszug: "Ich weiß nicht, ob wir das hier überleben werden," traurig sah sie auf das endlos wirkende Meer. Als sich ihre Blicke kreuzten, strich er mit seiner Hand über ihre Wange und küsste sie einfach. Durch einen Flugzeugabsturz kann sich das Le...