Bonny hebt eins der tausenden Blätter hoch, was sehr viele rote Markierungen hat und legt es vor mich, auf den Tisch.
„Was ist das?", frage ich und nehme es mir in die Hand, um es besser lesen zu können. Auf dem Blatt stehen viele Namen von Menschen und ihre jeweiligen Adressen, aber was genau sie damit erreichen will weiß ich nicht.
„Schau doch genauer hin", meckert sie fast schon und ich rolle genervt die Augen. „Ja wow Adressen", gebe ich zurück und lege das Blatt fragend wieder auf den Tisch.Ehrlich gesagt ist es ziemlich komisch mit Bonny jetzt hier zu sitzen und so zu tun als wäre gar nichts passiert. Schließlich ist eine Menge passiert und wir sollten uns jetzt rein theoretisch hassen oder gegenseitig den Tod wünschen, doch stattdessen sind wir zusammen in meinem Wohnzimmer und suchen vergeblich den Täter ihrer Eltern. Wenn sie nur wüsste, dass er genau neben ihr sitzt und Bonny von Anfang an belügt.
Ehrlich gesagt macht es mir Angst zu wissen, dass sie mir vielleicht wirklich irgendwann auf die Spur kommen könnte. Dann hätte das alle sofort ein Ende, sie würde nicht kämpfen wie jetzt und auch garantiert nicht so ruhig sein. Bei diesen Gedanken wird mir ganz schlecht und ich fühle mich wie der schlimmste Mensch auf dieser Welt, obwohl es schlimmere gibt. Ich töte ja keine kleinen Kinder, wie andere und irgendwie muss ich ja mein schlechtes Gewissen beruhigen.
„Hallo Erde an Chuck!", lacht Bonny und wedelt mit ihrer Hand vor meiner Nase hin und her. Ich komme sofort wieder zu mir und schaue sie verwirrt an „eh ja ich war eben in meinen Gedanken versunken", gebe ich zu und sie grinst „habe ich gemerkt, aber ich wiederhole mich nur noch dieses Mal." Schweigend nicke ich und lasse sie reden, da mir die Situation immer noch zu viel ist. Dieses Mädchen löst in mir so ein Gefühlschaos aus und ich will nicht in ihrer Nähe sein, obwohl ich Sehnsucht nach ihrer Nähe habe. Das ergibt doch alles keinen Sinn! Aber trotzdem muss ich mein letztes Versprechen einhalten. Danach werde ich sie, außerhalb der Schule, nie mehr sehen oder riechen müssen.
Ihr Geruch fesselt mich jedes Mal und ihre Nähe läßt mein Blut kochen.
„Also was ich gesagt habe ist, dass ich von der Polizei unsere Akte, zu dem Fall meiner Familie, bekommen habe und jetzt alle Zeugen, die an dem Tag da waren, finden kann. Ihre Adressen stehen hier und sie waren alle vor Ort, als am Abend dieses Monster vor allen meine Familie getötet hat, auch wenn es an Halloween war und die Leute dachten es ist eine Attraktion. Sie können mir trotzdem genau beschreiben was passiert ist", wiederholt Bonny und atmet erschöpft aus, da sie sehr schnell geredet hat, fast schon wie ein Rapper.
Bonny hat noch nie so ausführlich mit mir über den Fall ihrer Mutter geredet und ich habe auch nie wirklich gefragt, weil ich erstens nicht wollte, dass sie wieder an ihren großen Verlust denken soll und zweitens, da ich einfach große Angst davor hatte. Bonny darf einfach nicht erfahren, dass der Typ, der ihr Leben zerstört hat, gegenüber von ihr sitzt und dreckig ins Gesicht lügt. Wir beide, also John und ich, haben sie angelogen für unsere eigenen Bedürfnisse.
Auf einmal plagen mich die Schuldgefühle und ich werde rot, ohne dass ich etwas sage. Bonny merkt es und schaut mich etwas niedergeschlagen an "du hast nichts dazu gesagt, was ist?", hackt sie nach und ich zucke mit den Schultern, während ich etwas mehr nach hinten ausweiche. "Es ist nur komisch, dass wir beide jetzt hier zusammen sitzen und so tun als wäre nichts", lüge ich. Eigentlich macht es mir gar nichts aus, sondern es ist viel besser. Wir können normal befreundet sein und sie verliebt sich hoffentlich nicht nochmal in mich. Dann habe ich sie in meiner Nähe und muss keine Angst haben, dass ich eine Bedrohung für sie wäre. Meine Bindung zu Bonny wird nicht aufhören, bevor sie stirbt und das ist einer der Kraftvollsten Gründe, wieso ich sie nie verlassen kann. Dieses Freunde Ding ist eine echt gute Alternative geworden.
"Wenn du so ein großes Problem damit hast kann ich gerne gehen", gibt sie etwas gereizt zurück und ich schüttelte hastig meinen Kopf, als das Wort gehen halb ausgesprochen ist. "Nein so meinte ich es nicht, tut mir leid falls ich dir diesen Eindruck gegeben habe", gebe ich nach und atme tief ein "vergiss es einfach, das war unnötiges Gerede", versuche ich vom Thema abzulenken, aber ohne Erfolg. Bonny hebt nur misstrauisch eine Augenbraue und ich lächele sie möglichst glaubwürdig an. "Ich finde es toll mit dir hier zu sitzen und dir zu helfen, als Freunde natürlich", sage ich und hoffe, dass sie vielleicht mehr Vertrauen in meine Worte steckt und es klappt tatsächlich. Bonny grinst wieder so Munter, als hätte man einem kleinen Kind ein Eis gekauft und ich hebe das Blatt erneuert vom Tisch "dann lass uns losgehen", schlage ich vor und stehe auf. Man muss ihr nur das sagen, was sie hören möchte, dann ist all der Kummer weg.
Bonny steht sofort voller Freude auf und wir machen uns direkt auf den Weg zu den verschiedenen Häuser, die wir mit ihrem ausgeliehenen Auto, leicht erreichen können. Doch während der ganzen Fahrt fühle ich mich wie ein Monster, was ich teilweise bin, weil ich sowieso weiß was uns dort erwarten wird. Damals wurden alle Menschen dort von mir und allen anderen Vampiren manipuliert, dazu gehört auch leider Bonny. Niemand darf sich an das erinnern, auch nicht sie, da ich sie damals einfach übersehen habe. Es sind all diese Erinnerungen, die immer wieder hoch kommen und die bringen mich dazu, mich so mies zu fühlen. Selbst die Polizei wurde manipuliert und deswegen denken alle, dass es eine Show oder ein wildes Tier war. Alles außer Bonny, sie weiß das dort hinter mehr steckt. Genau das macht mich ängstlich und ich bin nie bei der Sache ganz dabei. Es gibt so viele Geheimnisse, die mit der Nacht zu tun haben und nur wenige die alles wissen, die Wahrheit.
Hoffentlich gehört Bonny nie zu denen, denn dann hat das alles ein Ende.
Es wäre das Ende, vor dem ich solche Angst habe.
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Deine Nähe lässt mein Blut kochen
VampireDer 18 Jährige Chuck Anderson scheint auf den ersten Blick wie ein normaler Schüler des Heinz-Nixdorf Gymnasiums in Berlin zu sein. Er macht gerade sein Abitur, spielt American Football, ist sehr beliebt an seiner Schule und der totale Mädchenschwar...