dertien: Pinke Schuhe + Niederländisch

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G R E T A

Wo zum Teufel war ich? Wieso starrte mich das runde, überschminkte Gesicht unserer Krankenschwester besorgt an?
„Was ...?", murmelte ich benommen.
„Na endlich."
Nias vertraute Stimme entlockte mir ein Lächeln.
„Es ist ja nicht so, dass ich von der Tür getroffen wurde. Wieso kippst du auch so dermaßen schnell um?!"
Langsam kam die Erinnerung zurück. Ja richtig, ich war umgekippt.
„Wieso blutest du denn so abnormal viel?!", stellte ich eine genervte Gegenfrage.
„Viel? Das waren höchstens ein paar Tropfen!"
Wir schnaubten gleichzeitig genervt, rollten mit den Augen und sahen uns an.
„Du hättest sehen müssen, wie Mr Tomlinson aussah, als er dich hierher geschleppt hat, während ich mich bei ihm einhaken musste und er noch dazu versucht hat, die Schüler abzuwimmeln, die uns angeglotzt haben wie Kühe", prustete die Grauhaarige los und ich stimmte in das Lachen mit ein.
„Warte ... ich wurde von Mr Tomlinson getragen?", wollte ich lachend wissen. „Nice!"
Mit wackelnden Augenbrauen ließ meine Freundin sich auf die Kante der Liege plumpsen, auf der ich noch immer verweilte.
„Hat denn keiner was dazu gesagt?"
Das verschwörerische Grinsen des Mädchens, das ich schon seit der Kindergartenzeit kannte, verriet mir, dass ich einen wesentlichen Teil verpasst hatte.
„Mr Malik ist vorbei gekommen", platzte es dann aus ihr heraus und ich riss die Augen auf.
„Moment - deshalb ist Mr Tomlinson also nicht da! Er wurde schon in Mr Maliks geheime Kerker unter der Schule geworfen."
Wir waren uns beide einig darin, dass diese existierten, auch wenn noch niemand sie zu Gesicht bekommen hatte. Das war eben die Absicht eines Geheimnisses.
„Nope", entgegnete Nia zu meiner Überraschung jedoch, „denn er war zu beschäftigt damit, Ashton anzumotzen. Da konnte er sich um solche Kleinigkeiten wie dich und Mr Tomlinson nicht mehr kümmern."
Verwundert runzelte ich die Stirn.
„Ash? Vom Schulleiter angemotzt? Was hat er denn gemacht?"
Normalerweise war er Lehrern gegenüber eher freundlich und tat auch sonst nichts Verbotenes.
Die Grauäugige zuckte mit den Achseln.
„Irgendwas wegen den Toiletten. Du weißt doch, eine Kabine soll da immer abgeschlossen sein. Angeblich war's Ash."
Zwei Sekunden brauchte ich, um die Situation zu realisieren. Das Nachsitzen, bei dem ich mich vor Mr Malik in der Toilette hatte verstecken müssen. Die neonpinken Schuhe. Ich hatte sie Nat gegeben. Und Ashton war Nats Zimmergefährte. Konnte es sein, dass ...?
„Welche Schuhe hat er getragen?", fragte ich das Mädchen an der Kante meiner Liege.
„Woher soll ich ..."
Ich unterbrach sie: „Zufälligerweise neonpinke?"
Sie kräuselte die Stirn.
„Jetzt wo du's sagst ..."
Die neonpinken Turnschuhe. Kein anderer Junge dieser Schule trug neonpinke Turnschuhe. Anscheinend aber Ash. Jetzt wurde mir so einiges klar.
„Nia, ich glaube, ich muss dir noch was über das Nachsitzen bei Mr Styles letztens erzählen ..."

Einige Tage später, als Ashton mit einer Missbilligung, einer fetten Strafarbeit, zwei Wochen langem, täglichen Nachsitzen und sowohl absolut unwissend wie auch absolut unschuldig in den Unterricht zurückgekehrt war, teilte uns Mr Horan in einer nicht ganz freiwilligen Klassenlehrerstunde - wir hatten einen Lern-Streik begonnen, sobald er den Raum betreten hatte - einen Ankreuzbogen aus.
Verwirrt sah ich darauf.
„Was genau soll das sein?"
„Ein IQ-Test, Greta. Du bist durchgefallen", kommentierte Nia trocken.
„Was?"
Noch verwirrter las ich mir die ersten Zeilen durch.
Wahlzettel für freiwillige Nachmittags- und/oder Wochenendsbeschäftigungen im Schuljahr 2018/2019.
„Du bist ja heute ganz witzig drauf", murmelte ich ironisch in Richtung meiner besten Freundin und dann an unseren Lehrer gewandt: „Haben wir Theater nicht schon längst gewählt?"
Mr Horan fuhr erschrocken auf, als er merkte, dass er von mir angesprochen worden war, fasste sich jedoch schnell wieder. Er war schon ein tapferer kleiner Kerl.
„Ja, aber dieses Jahr haben sich einige Kollegen dazu bereit erklärt, noch ein paar andere Aktivitäten anzubieten", erklärte er.
„Wow, Ihre Kollegen sind ja richtig motiviert!", kommentierte ich. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich den Braten schon riechen können.
„Hey, nur weil ich keine AG anbiete, macht mich das nicht zu einem schlechteren Lehrer!", beschwerte Mr Horan sich und ich schüttelte den Kopf.
„War auch keine Beileidigung. Ich hasse motivierte Lehrer."
Nia kicherte.
„Es gibt Niederländisch für Anfänger!", rief sie freudig aus. „Und kochen!"
„Aha", machte ich, „und was noch?"
Sie öffnete ihren Mund, schloss ihn dann aber wieder.
„Das war's eigentlich."
Krasse Sache! Unser Internat hatte ganze drei Freizeitaktivitäten. Beneidenswert.
„Los, wir machen das", meinte die Grauhaarige euphorisch, entriss mir meinen Zettel und setzte mit einem roten Filzstift zwei fette Kreuze an die entsprechenden Stellen.
„Warte ... was?!", protestierte ich fassungslos, „Du weißt, dass wir jetzt alle an dieser Schule möglichen Wahlfächer machen?!"
Sie nickte grinsend.
„Jup! Aber vertrau' mir, das wird mega!"

„Hallo. Ik ben meneer Tomlinson", grüßte uns unser Lehrer zwei Wochen später begeistert und ich stöhnte entsetzt auf. Nicht noch ein Fach bei diesem übermotivierten Nachsitzenverteiler!
„Ich vertraue dir nie wieder, Nia", grummelte ich zu tiefst genervt.
„Niederländisch ist cool!", meinte diese hingegen.
„Dat klopt", stimmte auch Mr Tomlinson zu und ich kicherte. 
„Was hat er gesagt?", fragte ich dann.
„Das stimmt", übersetzte Nia wie aus der Pistole geschossen.
Ich zog eine Augenbraue hoch.
„Seit wann kannst du niederländisch?"
Sie zuckte mit den Schultern.
„Kann ich nicht ... noch nicht. Aber es ist die einzig richtige Reaktion eines motivierten Lehrers auf meine Aussage."
Da musste ich ihr Recht geben. Sie hatte heute wohl einen ihrer schlauen Tage.
„Je moet rusten!"
Blinzelnd wandte ich mich erneut an Nia.
„Was faselt es?"
„Das heißt 'Ruhe bitte'", nahm Mr Tomlinson meiner besten Freundin die Arbeit ab und fuhr fort:
„Es freut mich, dass ihr alle so vielzählig erschienen seid."
Vielzählig? Wir waren ... als ich mich in dem leeren Klassenraum umsah, bemerkte ich, dass wir wirklich wenige waren. Drei um genau zu sein. Wenn ich mich selbst mitzählte.
Und die Kleine, die dort vorne in der ersten Reihe saß und ihren Lehrer anbetend ansah, kam mir doch irgendwie bekannt vor.
Sanft stupste ich meine Sitznachbarin mit dem Ellbogen an und nickte in Richtung des Mädchens mit dem blonden Flechtzopf.
„Ist das nicht ...?", wisperte ich.
„Das blonde Biest!", ergänzte Nia, leider nur viel zu laut, sodass alle Blicke - was ja nicht wirklich viele waren - auf ihr lagen.
Während ich in mich hineinlachte, wurde die Grauhaarige rot.
„Die", sie räusperte sich, „Wespe. Hier ist eine Wespe. Wespen sind blond. Und schwarz."
Sie fuchtelte mit den Armen in der Luft herum, um den imaginären Plagegeist zu verscheuchen.
„Was für Wespen kennst du bitte?", schnaubte Mr Tomlinson, äußerte sich aber sonst nicht weiter dazu. Doch es war unumstritten: Das kleine Monster in der ersten Reihe war die Nervensäge auf der Toilette gewesen und laut Nias Erzählungen auch diejenige, die gelacht hatte, als ich umgekippt war. Dank Niederländisch wussten wir nun auch ihren Namen: Stacy. Konnte eine Stacy überhaupt freundlich sein?
Ich würde wohl Nat und Ash fragen müssen, ob sie uns im Kurs Gesellschaft leisten wollten, damit wir nicht bis zum Jahresende unsere Wochenenden in einem Raum mit einem übermotivierten Lehrer und dem blonden Monster verbringen mussten. Aber dafür durfte Ash niemals erfahren, dass sein angebliches Verbrechen auf seine pinken Schuhe zurückzuführen war - sonst würde er mir diesen Gefallen sicherlich nicht tun.

They Don't Know About Us || l.t. ; h.s. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt