noventa: Was Louis mir schenkte

129 14 1
                                    

N I A

Mit einem mulmigen Gefühl betrat ich den Bus, für den ich doch schon relativ viel blechen musste. Louis konnte also nur hoffen, dass mir seine Überraschung nicht missfallen würde, sonst würde ich mir mein Geld eigenhändig von ihm wiederholen.

Ich konnte mir nicht in geringster Weise vorstellen, was er geplant hatte, geschweige, was er damit erreichen wollte. Wollte er sich erneut entschuldigen? Wenn er dies tun würde, konnte ich wirklich nicht sagen, wie ich reagieren würde, denn obwohl ich noch immer verletzt war, vermisste ich ihn. Ich vermisste ihn schrecklich, in jeder Sekunde und in jedem Moment, in dem er sich im selben Raum wie ich befand, wollte ich einfach nur aufstehen, zu ihm rennen und mich an ihn klammern. Er würde mit Sicherheit nicht abgeneigt davon sein, aber wie sollte ich ihm jemals verzeihen können?

Ich winkelte einen Arm an, lehnte ihn gegen das Fenster und platzierte meinen Kopf auf ihm. Meine Augen fokussierten keinen bestimmten Punkt, während mir immer mehr Tränen in die Augen stiegen, die ich mühevoll zurückzuhalten versuchte. Ich wollte nicht schon wieder weinen und erst recht nicht wegen ihm.

Doch ich war sicherlich nicht die einzige, die in letzter Zeit viel zu oft wegen des braunhaarigen Lehrers weinte. Lia erging es mit Sicherheit nicht anders, denn ich glaubte ihr, wenn sie sagte, dass sie ihn wirklich aufrichtig geliebt hatte - oder vielleicht sogar noch immer liebte. Louis hatte uns beide verletzt und auch, wenn ich zu Anfang auch sauer auf meine Halbschwester war, musste ich mir nun eingestehen, dass sie höchstwahrscheinlich auch nicht in diese Affäre eingewilligt hatte und dementsprechend nichts von mir wusste. Und ich war mir ziemlich sicher, dass sie noch immer nichts von Louis und mir wusste, denn obwohl der Blauäugige die Verlobung aufgelöst hatte, konnte ich mir bei bestem Willen nicht vorstellen, dass er ihr von seinen illegalen Liebeleien erzählt hatte. Das war mir allerdings nur recht, auf noch mehr Ärger konnte ich gerne verzichten.

Wir hatten es kurz vor 18:00 Uhr, als mein Bus die Parkstation erreichte und ich ausstieg. Da Louis mir keine Uhrzeit genannt hatte, war ich direkt nach Schulende aufgebrochen - immerhin konnte er als mein Lehrer Einsicht auf meine Unterrichtszeiten haben und sein Was-auch-immer danach planen.

Die Laternen am Rand des Weges hatten sich bereits eingeschaltet und warfen ein angenehm warmes Licht auf den Gehweg. Ich war hier noch nie gewesen, denn dieser Park lag ziemlich weit außerhalb und man musste genau wissen, in welchen Bus man stieg, um an diesen Ort zu kommen, deshalb begeisterten mich die kühlen Lichter, die in den Baumkronen verteilt waren und einen wunderschönen Kontrast zu dem Laternenlicht bildeten nur noch umso mehr.

Es war gespenstigstill, außer mir saß nur noch ein etwas älterer Mann auf einer der vielen Bänke, dem ich jedoch keine weitere Beachtung schenkte.

„Hey", hörte ich es stattdessen hinter mir und drehte mich um.

Ich war noch keinen Schritt gegangen, seitdem ich aus dem Bus gestiegen war, denn die Atmosphäre, die hier herrschte, fesselte mich viel zu sehr. Eben diese Stimmung musste auch der Grund für meine plötzlich aufkommende Gänsehaut sein, anders konnte ich sie mir nicht erklären.

„Hey", erwiderte ich etwas leiser, als ich Louis in die blauen Augen sah und er lächelte mich vorsichtig an.

„Wollen wir?", fragte er dann leicht unsicher und deutete mit seiner Hand auf den Weg hinter mir.

Ich nickte, drehte mich wieder um und steckte meine Hände in meine Jackentaschen, da der kühle Wind diese doch etwas frösteln ließ. Langsam schritten wir nebeneinander her und würde ich unserer Geschichte nicht kennen, würde ich denken, wir wären ein stinknormales Paar, das einen kleinen Altersunterschied aufwies. Keine illegalen Probleme, keine geheimen Affären.

Louis hielt geradewegs auf den Mann, den ich vorhin schon gesehen hatte, zu, wie ich allerdings erst bemerkte, als wir schon beinahe vor ihm standen. Gerade als ich den Braunhaarigen fragen wollte, wieso wir uns nicht auf eine freie Bank setzten, drehte der Ältere seinen Kopf und sah mir direkt in die Augen.

Mit einem Mal blieb ich stehen, mein Herz pochte schneller und ich konnte nichts tun, außer ihm in seine grauen Augen zu starren, während sich meine mit Tränen füllten. Genau dieselben grauen, die auch ich hatte.

„Nia?", sprach er, während er sich langsam aufrichtete.

Er kam ein paar Schritte näher, griff dann sacht nach meinen Schultern, während seine Mundwinkel sich Stück für Stück hoben.

„Dad?", sagte nun auch ich und ließ die Träne, die sich aus meinem Auge gestohlen hatte, einfach laufen.

Auch mein Mund verzog sich immer mehr zu einem Lächeln und als mein Vater mich dann in seine Arme zog, konnte ich ein kurzes, fröhliches Auflachen nicht unterdrücken.

Ich konnte es nicht glauben. So lange hatte ich ihn nicht mehr gesehen und ihm nun endlich wieder in die grauen Augen sehen zu können, machte mich einfach nur unfassbar glücklich.

„Seit wann nennst du mich eigentlich 'Nia'?", fiel mir dann jedoch auf und er löste sich von mir und stimmte kurzerhand in mein Lachen ein.

„Dein Freund hat mir gesagt, dass du deinen eigentlich Namen nicht mehr magst", erklärte er und sah zu Louis.

Diesen hatte ich währenddessen völlig ausgeblendet, doch nun bemerkte ich ihn wieder. Die ganze Zeit hatte er uns stumm lächelnd beobachtet, die Hände in den Hosentaschen versteckt, doch nun sah er mir direkt in die Augen. Mit einem Mal wurde mir bewusst, dass das alles von ihm ausging. Dass das die Überraschung war, die er vorbereitet hatte und dies vielleicht auch der Grund war, warum er in letzter Zeit so ruhig gewesen war.

Und ab diesem Moment ignorierte ich alles. Ich ignorierte, dass er mich verletzt hatte, ich ignorierte, dass noch lange nicht alles zwischen uns geklärt war, ich ignorierte, dass mein Vater ihn eben als meinen Freund bezeichnet hatte und ich keine Ahnung hatte, inwiefern er über Louis und mich und in welchem Verhältnis wir zueinander standen Bescheid wusste. Ich sah dem Mann, der mich betrogen hatte, noch einmal in die Augen, in sein still lächelndes Gesicht, ging dann ein paar schnelle Schritte nach vorne, um ihm um den Hals zu fallen und ihn so fest es nur ging an mich zu drücken.

They Don't Know About Us || l.t. ; h.s. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt