G R E T A
„Ich will zurück nach Spanien!", jammerte ich mit meinem Koffer in der Hand, als ich fröstelnd neben Harry und Nia in Richtung Internat lief. Natürlich hatte die Schule nicht genug Geld dafür, uns vom Flughafen abzuholen, sodass wir den Bus hatten nehmen müssen. Und die Bushaltestelle war natürlich eine gefühlte Ewigkeit von der Schule weit entfernt. Es wäre anders ja auch zu schön gewesen.
„Hier in England ist es kalt, windig und bewölkt."
„Wenigstens regnet es nicht", merkte Nia trocken an, während Harry versuchte, mich ein wenig aufzumuntern.
„Hey, in ein paar Tagen sind Weihnachtsferien! Da muss es kalt sein!"
„Na toll", grummelte ich, „damit erinnerst du mich wieder daran, dass die Abschlussfahrt ja extra so gelegt wurde, dass wir möglichst wenig Unterricht vepassen."
Daraufhin schwieg Harry. Ich schaute mich derweil etwas verstohlen um, damit ich sichergehen konnte, dass kein anderer uns zuhörte, doch glücklicherweise bildeten wir das Schlusslicht unserer kleinen Kolonne.
„Du kannst ja in den Ferien zu mir kommen", schlug ich ihm vor und er sah mich verdutzt an. Auch Nia wirkte etwas verdattert, weshalb ich fragend die Augenbrauen zusammenzog.
„Was?", hakte ich nach und Harry verdrehte die Augen.
„Ich bin dein Lehrer, schon vergessen? Ich kann nicht einfach zu dir kommen!"
„Natürlich kannst du das!", widersprach ich, „Für meine Eltern geht das voll klar. Die haben schon Schlimmeres erlebt."
„Greta, du weißt, dass Harry dafür ins Gefängnis kommen könnte?", meinte meine beste Freundin misstrauisch und ich dachte nach.
„Wir müssen meinen Eltern ja nicht unbedingt sagen, dass Harry mein Lehrer ist", gab ich schließlich nach und sah meinen Freund und meine beste Freundin dann erwartungsvoll an.
„Los, das wird super!"
Sie wechselten einen Blick, der so aussah, als zweifelten sie tatsächlich an meiner geistigen Gesundheit, aber schließlich nickte Harry.
„Auf deine Verantwortung."Es fühlte sich gut an, wieder zu Hause zu sein und noch besser, da wir nach deutschen Traditionen schon heute, am 24. Dezember, Weihnachten feierten. Das Beste an der Sache war allerdings, dass Harry, oder 'Gretas Lover', wie meine Eltern in einem Anflug von Begeisterung zur vermeintlichen Jugendsprache sagten, heute ebenfalls vorbeikommen sollte. Mir bereitete Nat mittlerweile allerdings doch ein wenig Sorgen, da ich diesen nicht in den Plan mit eingeweiht hatte, und auch wenn ich mir sicher war, dass meine Eltern auch nichts gegen Harry hätten, wenn sie wüssten, dass er mein Lehrer war, wusste ich nicht ganz, ob heute wohl ein geeigneter Zeitpunkt war, um es ihnen zu erklären.
Gerade als ich beschlossen hatte, Nat auf jeden Fall noch die Wahrheit zu sagen und ihm das stille Versprechen abzunehmen, meinen Eltern davon nichts zu erzählen, klingelte es an der Haustür und ich fluchte leise, weil ich wusste, dass es nur Harry sein konnte. Meine Mutter, die den Tisch für das Abendessen deckte, wie auch mein Vater, der Zeitung las und Nat, der sich schon an den Tisch gesetzt und unter Mums strafendem Blick damit begonnen hatte, die Vorspeise - eine Tomatensuppe - zu löffeln, sahen mich erwartungsvoll an.
Langsam machte ich auf dem Absatz kehrt und wandte mich dem Flur zu, der zur Haustür führte. Das kleine Glöckchen, das an der Spitze der Weihnachtsmütze hing, welche ich absichtlich für den heutigen Anlass aufgezogen hatte, bimmelte leise und machte die Situation damit nur noch komischer, während ich langsamen Schrittes Richtung Haustür ging. Zögerlich öffnete ich die Tür und spähte hinaus, um dort Harry in Anzug und mit einem Blumenstrauß in der Hand zu sehen. Er lächelte unsicher und wippte leicht auf und ab.
„Hi", murmelte er und drückte mir die roten Rosen in die Hand. Zwar fand ich Blumensträuße eigentlich vollkommen sinnlos, aber in diesem Falle rührte mich die kleine Geste doch und ich strahlte ihn an, bevor ich mich auf Zehenspitzen stellte und ihn zur Begrüßung küsste.
„Frohe Weihnachten, Harry", sagte ich, trat dann zur Seite und ließ ihn hinein.
Eilig huschte ich in die Küche, um die Blumen dort abzulegen, kam dann allerdings zurück und ergriff Harrys Hand.
„Nervös?", fragte ich ihn, als ich bemerkte, dass er immer wieder an seiner Krawatte nestelte und er lachte leise.
„Nervös ist gar kein Ausdruck für das, was ich empfinde."
Sanft drückte ich seine Hand, um ihn ein wenig zu beruhigen und zog ihn dann mit mir in das weihnachtlich dekorierte Wohnzimmer.
„Mum, Dad, das ist Harry, mein Freund", erklärte ich meinen Eltern, nun selbst ein wenig nervös geworden. Und in diesem Moment passierten mehrere Dinge gleichzeitig. Mein Vater sah von seiner Zeitung auf, musterte Harry und setzte einen Blick auf, der etwa sagte 'Meine Tochter hat doch noch einen Guten abgekriegt, wie konnte das passieren?'. Mum stellte das letzte Teelicht auf dem Tisch ab, sah dann von mir zu Harry und lächelte herzlich, während mir ihr mahnender Blick jedoch sagte, dass sie ihn ein wenig zu alt für mich fand. Nat wiederum stopfte sich einen weiteren Löffel Tomatensuppe in den Mund, schaute sich halbherzig zu mir um und spuckte dann vor Schreck die gesamte Suppe wieder aus, wobei ein Teil zurück in den Teller, der viel größere allerdings auf sein weißes Hemd kam. Er hustete wie wild, sodass sich die Aufmerksamkeit meiner Familie auf ihn richtete. Meine Eltern warfen ihm synchron strafende Blicke zu, worauf er sich wortlos aufrichtete und das Zimmer verließ, um sich umzuziehen, ohne seinen sprachlosen Blick von Harry und mir abzuwenden.
„Du musst meinem Sohn verzeihen, Harry", sagte Dad nach einer kleinen, peinlichen Stille. „So etwas kommt normalerweise nicht vor."
Nein, so etwas passierte sonst nur mir, was ich auch in dem Blick meines Vaters sehen konnte. Hätten Nat und ich uns ein wenig ähnlicher gesehen, hätte er bestimmt geglaubt, wir hätten die Rollen getauscht.
„Schon in Ordnung", erwiderte Harry beschwichtigend, „es freut mich, Sie endlich kennenzulernen. Greta hat mir schon viel von Ihnen erzählt."
Und damit wusste ich, dass meine Eltern Harry mögen würden.
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They Don't Know About Us || l.t. ; h.s. ✓
Fanfiction❝ One touch and I was a believer. ❞ ©2018, neliery und Moenqueen „Weißt du was? Wir werden die alten Damen sein, die im Altenheim Ärger machen." ~ Greta zu Nia ***** Etwas Verbotenes zu tun, hat immer einen bestimmten Reiz, vor allem für die beiden...