ciento dos: Gott hat mich hopsgenommen!

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N I A

Freudig kam meine braunhaarige Freundin auf mich zugerannt und hielt mir ihre ausgestreckte Faust entgegen, gegen welche ich meine mit sehr viel weniger Enthusiasmus schlug.

„Was ist dir denn über die Leber gelaufen?", wollte sie von mir wissen und ich begann damit, mein Gepäck die etlichen Treppen zu unserem Zimmer nach oben zu schleppen.

„Du", antwortete ich ihr und die Braunäugige fasste sich geschockt ans Herz.

„Das kann nicht sein, denn dann wärst du nicht mehr hier. Ich mein': Hallo? Weißt du, wie viel eine Leber heutzutage wert ist?"

Ich sah sie leicht verstört an und drehte mich dann schnell zu Mr Horan, der gerade lächelnd an uns vorbeilief.

„Mr Horan!", hielt ich ihn zurück und sein Lächeln verschwand. Mann, er musste echt traumatisiert sein.

„Was denn?", seufzte er und griff sich vorsichtshalber schon mal an die Stirn.

„Kann ich noch mein Zimmer tauschen? Ich hab echt Angst vor Greta, sie will meine Leber!", flehte ich und der Ire schien sich augenblicklich zu entspannen.

„Oh, Gott sei Dank, ich dachte schon, es wäre irgendwas Ernstes."

Geschockt sah ich ihn an. „Aber das ist was Ernstes!"

Und dann war er auch schon weg. Greta hinter mir fing an zu lachen. „Gib es auf, Nia, die Lehrer werden sich niemals von mir trennen."

Dann strich sie über meine beiden Arme und hauchte und mein Ohr: „Also pass lieber auf deine Leber auf."

Ich fuhr zu ihr herum. „Aber ich hab doch eh einen Organspenderausweis. Pass auf, wenn ich sterbe, kriegst du meine Leber. Deal?"

Zufrieden strahlte mich meine Freundin an. „Deal."

Ganz professionell gaben wir uns daraufhin die Hände, als eine Durchsage ertönte. Augenblicklich wurde es still auf den Gängen.

„Liebe Schüler, liebe Kollegen. Ich bedauere es wirklich sehr, aber ich muss Sie alle heute direkt zu einer Gesamtkonferenz zusammenrufen. Ein treuer Kamerad ist gefallen-"

Die Durchsage brach ab und ich lehnte mich zu meiner Zimmernachbarin.

„Weint Mr Malik etwa?", fragte ich sie ungläubig, da seine Stimme gerade schon verdächtig zitternd geklungen hatte und meine Freundin sah ebenso unwissend zu mir.

„Seit wann gibt es an unserer Schule eigentlich Durchsagen?", warf sie dann ein und ich zuckte mit den Schultern. „Und seit wann machen wir sowas wie Gesamtkonferenzen?"

Das Signal für die Durchsage ertönte erneut.

„Und, es sollte zwar eigentlich klar sein, aber natürlich erscheinen Sie bitte alle komplett in schwarz."

Nun hatte ich ein ungutes Gefühl im Magen.

„Wer ist denn bitte gestorben?", wandte ich mich erneut an Greta, welche ihre Augen weit aufriss.

„Die Putze!", rief sie dann aus, „Es muss die Putze sein."

„Oh nein", murmelte ich und dachte an die etlichen Momente mit ihr, in denen sie uns beleidigt hatte. Die arme Frau ...

Mittlerweile waren wir in unserem Zimmer angekommen und ich öffnete meinen Koffer, um ein einfaches schwarzes Kleid daraus zu ziehen. Als ich mich zu Greta drehte, sah ich ihre dunkelgraue Hose und ihr dunkelgraues Shirt.

„Gut, dass du noch nicht deinen Führerschein hast", merkte ich dann an und sie sah fragend zu mir. „Das mit den Farben sehen klappt ja anscheinend noch nicht so gut."

Sie kugelte die Augen. „Seh ich so aus, wie als hätte ich etwas Schwarzes?"

Ich schnaubte, während wir uns auf den Weg in die Turnhalle machten – es war der größte Raum unserer Schule, also vermuteten wir, die Konferenz würde dort stattfinden.

„Jeder hat etwas Schwarzes, Greta. Jeder!"

Sie hob die Achseln. „Tja, ich bin halt etwas Besonderes."

„Besonders ist nicht immer gut", hielt ich dagegen und stockte, als unser Schulleiter an uns vorbeilief. Kurz musterte er Greta kritisch, dann veränderte sich seine Mimik jedoch wieder zu einer traurigen und er schritt weiter.

Langsam drehte ich mich nach ihm um. „Hast du das gerade auch gesehen, Greta?"

Aus dem Augenwinkel sah ich, dass sie ebenso verwundert nickte. „Er hat mich nicht bestraft."

„Dann muss es wirklich etwas Schlimmes sein", schlussfolgerte ich und meine Freundin stimmte mir zu.

Wir beeilten uns also, schnell in die Turnhalle zu kommen und sagen uns nach Plätzen um.

„Da hinten!", schrie Greta und zog mich an meinem Ärmel zu zwei leeren Stühlen in der letzten Reihe. Doch gerade, als wir uns auf diese plumpsen lassen wollten, wurden wir von Ash und Nat angegrinst.

„Hey, wir haben die Stühle zuerst gesehen!", meckerte der weibliche Zwilling und verschränkte ihre Arme vor der Brust.

Ihr Bruder sah sie schelmisch an. „Irgendwelche Zeugen dafür?"

„Ja, mich", ertönte die Stimme unseres Deutschlehrers hinter uns und Greta sah triumphierend zu dem Sitzenden. Dieser sah beleidigt zu uns.

„Aber, aber", fing er an, wurde zeitgleich aber schon von seiner Schwester am Arm nach oben gezogen. „Das ist unfair!"

Sie grinste ihren Bruder von dem Stuhl aus an. „Das Leben ist nicht fair, Bruderherz."

Nat sah uns noch so lange beleidigt an, bis er von Ashton zu zwei Stühlen in der ersten Reihe gezogen wurde. Dann beugte sich Gretas Freund zu uns herab.

„Wisst ihr, was hier vorgeht?", fragte er, doch wir schüttelten beide den Kopf.

Es wurde still im Raum und wir sahen nach vorne, wo Mr Malik mit einem Mikro in der Hand stand.

„Wenn ich um Ruhe bitten dürfte", begann er und schien sich zu sammeln. So hatte ich ihn echt noch nie erlebt und anhand der unglaublichen Ruhe im Raum merkte ich, dass es meinen Schulkameraden anscheinend genauso ging.

„Wir haben uns heute hier versammelt, um den Verlust eines geliebten Freundes zu betrauern. Er war uns stets ein treuer, freundlicher und aufgeschlossener Kamerad."

Ich schluckte schwer. Er? War die Putze etwa eine Transe?!

Mr Malik schniefte einmal kurz in sein Taschentuch. „Oh Fischi, ich werde dich wirklich nie vergessen."

Vor lauter Schreck begann ich, laut zu husten.

„Was?!", quietschte ich dann und fühlte mich augenblicklich schlecht.

Oh mein Gott, das ist alles meine Schuld! Ich hatte es einfach heraufbeschwört!

Meine Freundin drehte sich zu mir, während sie mir auf den Rücken klopfte. „Was ist los?"

„Das ist alles meine Schuld, Greta!", rief ich verzweifelt und sie sah mich verwirrt an.

„Inwiefern ist das deine Schuld?"

Ich schlug die Hände vor dem Mund zusammen. „Es ist Gottes Strafe! Gott hat mich hopsgenommen!"

They Don't Know About Us || l.t. ; h.s. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt