noventa y cinco: Freundschaft hält immer

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G R E T A

„Du bist wieder da", begrüßte ich meine beste Freundin in neutralem Tonfall und musterte sie von oben bis unten. Ihre Wangen waren noch von der Kälte, die draußen herrschte, gerötet und sie warf mir einen leicht genervten Blick zu, worauf sie ihren Schal löste und achtlos in eine Ecke warf.

„Gut erkannt, Sherlock", konterte sie, schnürte ihre Stiefel auf und streifte sie ab, worauf sie ihr Handy aus der Tasche zog und sich auf ihrem Bett niederließ.

„Und?", hakte ich weiter nach.

„Was und?"

Ich zuckte mit den Achseln. „Wie war's?"

Sie zuckte nun ebenfalls mit den Schultern. „Ich habe ja nur meinen Vater wiedergesehen, von dem ich jahrelang geglaubt habe, er wolle keinen Kontakt mehr mit mir haben. Solche Probleme kennst du halt nicht."

In mir fing es an, zu brodeln. Sicher, meine Familienverhältnisse waren sehr viel entspannter als Nias, aber dafür konnte ich ja schließlich auch nichts! Mir das zum Vorwurf zu machen, hielt ich für ziemlich ungerecht, weshalb meine Antwort darauf auch härter als eigentlich beabsichtigt war. „Hast du ihm auch erzählt, dass der werte Herr, der ihn kontaktiert hat, derjenige ist, der dich mit deiner Schwester betrogen hat?"

Sobald ich es gesagt hatte, tat es mir leid, denn Tränen sammelten sich in Nias Augen. Heftig blinzelnd sah sie aus dem Fenster, um es vor mir zu verstecken. Erfolglos.

„Es tut mir leid", wisperte ich und schluckte, „das war nicht fair von mir."

Sie sagte nichts darauf.

„Ich mache mir einfach nur Sorgen um dich, okay?", versuchte ich es weiter. „Louis hat dich so sehr verletzt, das soll er nicht noch mal machen. Er ..."

„Lass das doch bitte mich beurteilen", meinte sie scharf. „Ich werde Louis nicht verzeihen, was er getan hat, aber es gibt Wege, jemanden zu lieben, auch wenn derjenige einen Fehler gemacht hat."

„Aber verdammt, Nia, was, wenn das kein Fehler war?", entgegnete ich und war nun selbst den Tränen nahe. „Er hat schon einmal gelogen, warum nicht noch einmal?"

Nia zog die Nase hoch und sah mich dann mit mehr Selbstbewusstsein in ihrem Blick an. „Weil es ihm leidtut und weil er mich liebt. Er mag einen Fehler gemacht haben, ja, aber er hat halb England auf den Kopf gestellt, um meinen Vater zu finden. Das macht man nicht einfach mal so. Für manche Sachen gibt es keine Entschuldigung, ja, aber trotzdem kann man darüber hinwegkommen – und ich finde, das hat sich Louis mehr als verdient."

Prüfend musterte ich sie für einen Moment, dann seufzte ich und gab mich geschlagen. „Du hast recht. Es sollte deine Entscheidung bleiben."

Wir schwiegen uns eine ganze Weile lang an.

„Wir haben uns geküsst", sagte Nia dann leise.

„Du und dein Vater?!", rief ich mit weit aufgerissenen Augen erschrocken, womit ich sie zu einem halbherzigen Lachen brachte. Kurz darauf flog ihr Kopfkissen in meine Richtung.

„Natürlich nicht, Dummkopf. Louis und ich."

Ich fing das Kissen, drückte es an mich und umarmte es.

„Dann seid ihr also wieder ein Paar?", schloss ich daraus.

Meine beste Freundin zuckte mit den Achseln. „Ja, vielleicht. Ich weiß es nicht ..."

Lächelnd stand ich auf und brachte das Kissen zurück, woraufhin ich mich neben sie setzte und ihre Hände ergriff.

„Egal wie, ich freue mich riesig für dich, Nia", meinte ich und lächelte.

Meine Sorgen schob ich beiseite. Nur die Zeit würde beweisen, ob Louis sein Wort dieses Mal hielt und diese Zeit wollte ich nicht damit verbringen, mich mit Nia zu streiten. Ich wollte für meine beste Freundin da sein, egal, was passierte.

„Danke", murmelte sie, woraufhin sie ganz plötzlich ihre Arme um mich schlang, ihren Kopf an meine Schulter legte und zu weinen begann.

„Danke", schluchzte sie noch einmal.

Unbeholfen tätschelte ich ihren Rücken und wusste nicht, was ich sonst tun sollte. Ich war mit der Situation etwas überfordert.

„Was würde ich nur ohne dich tun?", nuschelte sie in meine Schulter hinein und ich lächelte leicht.

„Garantiert wärst du nicht so aufgeschmissen wie ich ohne dich", gab ich zurück und drückte sie an mich. „Was sollte ich denn als Ausländer im großen, weiten Großbritannien machen?"

Wir lachten beide. Mein Englisch war genauso gut und flüssig wie das aller anderen Leute hier.

„Du bist doof", maulte Nia und boxte mir sacht in den Arm.

„Apropos doof", erinnerte ich mich an etwas, „wir fahren in den Osterferien zu meiner Großmutter nach Deutschland."

Nia sog bei dieser Überleitung scharf Luft ein. „Du nennst deine Großmutter doof?"

„Ja, Nat ist ganz eindeutig ihr Lieblingsenkel", erklärte ich, „oder meine kleine Cousine Elena. Ich auf jeden Fall nicht."

„Wenn du sie auch doof nennst ..."

Ich schüttelte mit dem Kopf. „Sie hat mal gedroht, mich zu enterben!" Was ich nicht dazu sagte, war, dass das spaßhaft vor mehreren Jahren geschehen war, als ich das Gemüse nicht hatte essen wollen. „Aber was ich eigentlich sagen wollte: Magst du mitkommen?"

„Bei meinem Deutsch?", erwiderte Nia mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Du hast meine ganze Familie als Dolmetscher mit dabei", beruhigte ich sie. „Und meine Eltern wären sicher froh, wenn du mitkommst. Dann haben sie nicht den ewigen Streit von Nat und mir, wann wir wohin gehen, denn wir können eigenständig was machen."

Meine beste Freundin lächelte. „Ich werde auf jeden Fall mal nachfragen."

Grinsend hielt ich eine Hand zum High Five ausgestreckt, in welche sie einschlug.

Egal wie, Nia und ich würden immer befreundet bleiben. Sollten die Jungs doch machen, was sie wollten, unsere Freundschaft würden sie dadurch nicht zerstören.

They Don't Know About Us || l.t. ; h.s. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt