ochenta y uno: Wie man zu Nia kommt

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G R E T A

„Greta?", hörte ich Harrys verwunderte Stimme. Mein Freund kam langsam in mein Zimmer und schloss die Tür hinter sich, als er mein verbittertes Gesicht sah, runzelte er fragend die Stirn.
„Alles okay?", wollte er vorsichtig wissen und ich schüttelte den Kopf.
„Nein."
Dann wurde ich mit einem Mal wütend. Wütend auf Louis, weil dieses Arschloch doch tatsächlich verlobt mit Lia war, wütend auf Lia, weil sie Nia nichts gönnte, nicht mal das Glück, verliebt zu sein und im Allgemeinen wütend auf die Welt, weil solche schrecklichen Dinge passierten. Wenn es einen Gott gibt, hätte ich ihn jetzt gerade wahrscheinlich gefeuert.
Aufgebracht suchte ich nach irgendwas, woran ich meinen Zorn auslassen konnte, empfand meinen Stoffpanda als geeignet und schlug mit beiden Fäusten auf ihn ein. Erschrocken kam Harry auf mich zu und schlang seine Arme um mich, was aber nur dazu führte, dass ich mit beiden Fäusten auf seinen Bauch eintrommelte. Es konnte nicht sehr angenehm für ihn gewesen sein, trotzdem hielt er mich fest, bis meine Hände irgendwann erschlafften und ich leise zu schluchzen anfing.
Langsam setzte er sich neben mich auf mein Bett und zog mich an sich, sodass mein Kopf auf seiner Schulter ruhte. Es war mir unangenehm zu weinen, wenn nicht einmal ich diejenige war, deren Leben gerade zerstört worden war, sondern meine beste Freundin, deshalb konzentrierte ich mich eine Weile aufs Atmen, bis ich mich ein wenig beruhigt hatte.
„Was ist denn los?", fragte Harry besorgt und strich mir sanft über die Wange.
„Nia geht's nicht gut", erwiderte ich.
Ich wollte ihm nicht die ganze Geschichte erklären müssen.
„Wohnt sie nicht in derselben Straße?", hakte Harry verdutzt nach und ich nickte, während ich mich an ihn kuschelte, in der Hoffnung, bei ihm Trost finden zu können.
„Warum gehst du dann nicht zu ihr?", schlug er plötzlich vor und ich hob meinen Kopf, um ihn überrascht anzusehen.
„Weil du hier bist, da kann ich jetzt doch nicht so einfach gehen!", protestierte ich, hoffte gleichzeitig jedoch, dass er mir widersprechen würde. Er erfüllte mir den Wunsch.
„Na und? Wenn Nia dich braucht, solltest du zu ihr gehen. Ich werde ja nicht plötzlich verschwunden sein, wenn du wiederkommst."
Mit neuem Mut sprang ich auf, wirbelte herum, drehte mich dann aber noch einmal zu Harry, um ihm einen Kuss auf die Lippen zu hauchen und leise 'Danke' zu wispern, bevor ich aus dem Zimmer stürmte. Ein paar Sekunden blieb ich überlegend vor meiner Tür stehen, bis ich meinen Kopf noch einmal hineinsteckte.
„Magst du mitkommen?", fragte ich ihn.

Keine fünf Minuten später standen wir zu zweit vor Nias Haus und klingelten. Harry hielt sich dabei eher im Hintergrund, während ich wie wild auf den Klingelknopf drückte, so lange, bis Nias Vater genervt die Tür öffnete.
„Greta", seufzte er und musterte mich von oben bis unten. Ich war das Nachbarsmädchen, dessen Zwillingsbruder gute Manieren hatte, woran es bei mir allerdings seiner Ansicht nach mangelte. Doch das störte mich nicht.
„Ich muss zu Nia", sagte ich und lächelte scheinheilig.
„Ein andermal", verkündete ihr Stiefvater. „Es ist Weihnachten, Greta, wir wollen ein wenig Zeit für die Familie haben."
Ungläubig starrte ich ihn an. Dachte er wirklich, ich würde ihm eine solche Lüge abkaufen?
„Ich gehöre ja fast zu Nias Familie", meinte ich achselzuckend und machte einen Schritt auf ihn zu, woraufhin sein Blick mich hätte töten können.
„Nein", bestimmte er ganz einfach, „heute nicht."
Und damit schlug er mir die Tür vor der Nase zu.
„Was ein Arsch!", fluchte ich und ließ es mir nicht nehmen, ihm durch die Tür hinweg den Mittelfinger zu zeigen. Dann jedoch drehte ich mich zu Harry um, welcher ratlos die Schultern hob.
„Irgendwie müssen wir reinkommen!", stellte ich klar und sah nachdenklich zum Haus. Nias Zimmer befand sich auf der Hinterseite des Hauses, mit Ausblick auf den kleinen Garten. Es lag im ersten Stock. Langsam machte sich in meinem Kopf ein Plan breit und ich ging zu der Garage, an deren Seite ein schmaler Durchgang zur hinteren Seite des Hauses führte. Er war gerade breit genug für eine Person, weshalb Harry und ich uns nacheinander zwischen Garagenwand und Hecke entlang quetschten.
„Was hast du vor?", wollte Harry erstaunt wissen, doch statt ihm eine Antwort zu geben, deutete ich nur auf das Fenster, das zu Nias Zimmer gehörte.
„Da müssen wir hin", erklärte ich ihm dann und ließ meinen Blick suchend über die Umgebung gleiten. Er blieb bei der Regenrinne hängen.
Entschlossen stapfte ich darauf zu und sah dann - mittlerweile doch etwas unsicherer - nach oben. Vielleicht war meine Idee doch nicht so gut gewesen.
Zögerlich griff ich nach dem Rohr und machte einen halbherzigen Versuch, mich nach oben zu ziehen. Wäre ich so sportlich wie Nia oder Harry gewesen, hätte ich es sicherlich und ohne Probleme geschafft, aber da ich eben Greta und deshalb die Definition von unsportlich war, schaffte ich es nicht einmal wirklich, mich vom Boden hochzuziehen.
„Was soll das werden?", wollte Harry belustigt wissen, wofür er einen vernichtenden Blick kassierte.
„Wir müssen da hoch!", meinte ich und sah dann noch einmal zu Harry. Mir kam eine weitere Idee.
„Mach mir mal 'ne Räuberleiter", befahl ich ihm und er sah mich einen Moment lang entgeistert an, bevor er sich versichert hatte, dass ich es absolut ernst meinte und seufzend nachgab.
Enthusiastisch ließ ich mich von ihm nach oben hieven und streckte meine Arme aus. Jetzt war ich gerade groß genug, um nach dem Fensterbrett greifen zu können, baumelte dann allerdings erst einmal hilflos in der Luft herum.
„Ich hasse meine Unsportlichkeit", brummte ich, fand dann aber mit den Füßen Halt an der Hauswand und schaffte es so, mich soweit nach oben zu arbeiten, dass ich in Nias Zimmer schauen konnte, welches, wie ich allerdings feststellen musste, immer noch hinter einer fetten Schicht Glas lag. Zu meinem Glück sah meine beste Freundin allerdings gerade zum Fenster hinaus und erlitt fast einen Herzinfarkt, als sie mein Gesicht an ihrer Scheibe sah. Eilig öffnete sie das Fenster und zog mich dann zu sich ins Zimmer.
„Was machst du hier?", fragte sie entgeistert. Ich konnte sehen, dass sie bis gerade eben geweint hatte und bereute meinen Entschluss absolut nicht.
„Zu dir kommen", erklärte ich. „Dein Stiefvater wollte mich nicht reinlassen."
Bevor einer von uns noch etwas sagen konnte, rief Harry von draußen: „Und wie komme ich jetzt rein?"
Ich sah aus dem Fenster und lächelte ihn dann scheinheilig an.
„Du bist der Sportlehrer", sagte ich, „lass dir was einfallen!"

They Don't Know About Us || l.t. ; h.s. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt