G R E T A
„Was hältst du davon, für das letzte Wochenende mit mir wegzufahren?", fragte mich Harry auf dem Rückweg vom Flughafen. Er hatte sich freundlicherweise dazu bereiterklärt, mich abzuholen, da meine Eltern kurzfristig zu Freunden eingeladen worden waren. Ich riss die Augen auf.
„,Wegfahren? Wohin wegfahren?" Aufgeregt rutschte ich auf dem Autositz hin und her.
„Krieg dich wieder ein, es ist nichts Besonderes, nur ein Besuch bei meinen Eltern."
Erschrocken begann ich zu husten, während Harry mir besorgte Blicke zuwarf und mit einer Hand auf den Rücken klopfte.
„Was?!", fragte ich dann geschockt. „Das ist nicht dein Ernst, oder?"
„Mir war nie etwas ernster", erwiderte er. Ganz eindeutig sah er das Problem bei der ganzen Sache nicht.
„Und was willst du denen sagen?", meinte ich, vor Unglauben lachend. „'Hey Mum, hey Dad, das ist meine Freundin, aber eigentlich ist sie auch meine Schülerin. Wir sind illegal zusammen und wenn uns jemand verpfeifen würde, wäre ich meinen Job los und womöglich sogar im Knast. Das kommt bestimmt gut, sie werden mich lieben."
„Red' keinen Scheiß, sie werden dich toll finden", widersprach er mir. „Wir müssen ihnen ja nicht alles erzählen."
„Wie beruhigend", murmelte ich augenverdrehend, wurde dann aber sofort wieder laut. „Und du denkst, dass sie absolut keine Fragen haben werden? Was sollen wir denn sagen, wenn sie fragen, woher wir uns kennen? Oder willst du, dass sie ewig in einer Lüge leben?"
„Natürlich nicht", entgegnete er, „aber deine Eltern kennen mich doch auch und es war absolut kein Problem."
„Aber das sind auch meine Eltern", erwiderte ich, „das ist was anderes. Die kenne ich ja."
„Und ich kenne meine nicht?" Skeptisch zog er eine Augenbraue in die Luft. „Ich glaube, du willst sie einfach nur nicht kennenlernen."
„Das ist es nicht", verteidigte ich mich, obwohl wir beide wussten, dass er Recht hatte. An so vielen Abenden hatten Nia und ich uns bereits ausgemalt, wie es werden würde, die Familie unserer zukünftigen Freunde kennenzulernen und eine Theorie war schlimmer als die andere gewesen. Was, wenn sie uns nicht mochten? Wenn wir zu aufdringlich waren oder in ein riesiges Fettnäpfchen traten, ohne es zu bemerken?
„Sie werden dich lieben, Greta", meinte Harry eindringlich und griff nach meiner Hand. „Ich verspreche dir, dass sie dich mögen werden. Verhalte dich einfach genau wie immer, dann wird alles gutgehen."
„Wenn ich mich so wie immer verhalte?", wiederholte ich ungläubig. „Ich denke nicht."
„Okay", korrigierte er sich, „vielleicht eine abgeschwachte Version von normalerweise, ja?"
Mein Herz raste wie wild, als Harry in die Einfahrt zum Haus seiner Eltern abbog. Am liebsten wäre ich ganz einfach aus dem Auto gestiegen und gerannt, aber ich wusste, dass es kein Zurück für mich gab. Wenn ich es einmal geschafft hatte, würden alle folgenden Besuche ein Klacks sein. Nur dieses eine Mal musste ich sie davon überzeugen, dass ich sympathisch war. Das war jedoch keine meiner Stärken.
„Du siehst toll aus", murmelte Harry mir zu und lächelte mich aufmunternd an. „Umwerfend."
„Danke", quietschte ich. Ich klang wie ein zu fest gedrückter Hamster. Nervös kaute ich auf meiner Lippe herum, als Harry ausstieg, um das Auto herumging und mir die Tür öffnete, damit auch ich aussteigen konnte. Das konnte heiter werden.
Ich war froh, dass Harry meine Hand hielt, denn erstens konnte ich mich so an ihm abstützen, zweitens aber brachte er mich damit auch davon ab, in letzter Sekunde eine 180° Wendung zu machen und zu verduften.
„Meine Schwester heißt übrigens Gemma", meinte Harry zu mir, als wir beinahe bei der Tür angekommen waren.
„Du hast eine Schwester?", erwiderte ich stirnrunzelnd. „Warum erzählst du mir das gerade jetzt?", wollte ich wissen und hatte dabei ein ungutes Gefühl im Magen.
„Es liegt im Bereich des Möglichen, dass sie heute auch da ist", nuschelte er kleinlaut, doch trotzdem hatte ich es gehört und musste unweigerlich schlucken. Noch jemand, den ich heute also kennenlernen würde. Eigentlich sollte ich froh darüber sein. Dann hatte ich die ganze Familie mit einem Streich abgehakt und würde nicht noch einmal in eine derartige Situation kommen. Auch wenn mein Kopf mir das sagte, schien sich mein restlicher Körper nicht sonderlich zufrieden damit zu geben. Meine Knie zitterten, als wir schließlich die Klingel betätigten.
Die Tür öffnete sich so schnell, dass ich vermutete, dass sie uns schon vorher gesehen und nur darauf gewartet hatten, uns zu begrüßen. Das machte die ganze Situation allerdings nur noch unangenehmer.
„Harry!", rief eine Frau, die noch sehr gut für ihr Alter aussah, freudig aus und breitete die Arme aus, um ihren Sohn an sich zu drücken. Dann wandte sie sich mir zu. „Und du musst Greta sein", stellte sie fest. Ich zwang mich zu einem Lächeln.
„Freut mich, Sie endlich kennenzulernen", log ich.
„Die Freude liegt ganz bei uns", entgegnete sie, „wir haben schon so viel von dir gehört!"
„Nur Gutes, hoffe ich doch", meinte ich und lachte nervös auf.
„Aber natürlich doch, Liebling." Sie bedachte mich mit einem warmen Blick und zog mich dann ebenfalls an sich. Etwas verdattert erwiderte ich die Umarmung, um mich danach ins Wohmzimmer führen zu lassen, in dem sowohl Harrys Vater als auch seine Schwester auf uns warteten und sich vorstellten.
Obwohl ich sonst nie um eine Antwort verlegen war, versuchte ich mich hier zusammenzureißen. Ich wollte bei Harrys Familie unbedingt einen guten Eindruck hinterlassen, aber dieser Vorsatz wurde schon bei der ersten Frage zunichte gemacht.
„Harry, Darling, du hast uns nie erzählt, wie ihr euch eigentlich kennenglernt habt", stellte seine Mutter natürlich genau die Frage, von der ich gebetet hatte, sie nicht gefragt zu werden.
„Richtig", erwiderte Harry langgezogen und kratzte sich verlegen am Kopf. „Wir haben uns ... bei der Arbeit kennengelernt."
„Beim Studium?", wollte sie wissen.
„Genau", bestätigte Harry.
„Studierst du auch Lehramt, Greta?"
Hilfesuchend schielte ich zu Harry, welcher allerdings nur mit den Achseln zuckte. Na danke auch.
„Nein", meinte ich.
„Ja, Deutsch", sagte er gleichzeitig und wir sahen uns verwirrt an.
„Also studierst du Deutsch?"
Verlegen lachte ich. „So kann man es auch nennen", meinte ich schließlich und hoffte, dass diese kleine Lüge nie auffliegen würde.
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They Don't Know About Us || l.t. ; h.s. ✓
Fanfiction❝ One touch and I was a believer. ❞ ©2018, neliery und Moenqueen „Weißt du was? Wir werden die alten Damen sein, die im Altenheim Ärger machen." ~ Greta zu Nia ***** Etwas Verbotenes zu tun, hat immer einen bestimmten Reiz, vor allem für die beiden...