setenta y dos: Eine liebende Nervensäge

168 9 0
                                    

N I A

Es war endlich so weit! Die letzte Epoche unserer grandiosen Klassenfahrten hatte begonnen! Die letzten Fahrten waren schon wirklich legendär gewesen - wenn man mal bedachte, dass einige Heulkrämpfe  bekommen haben, weil sie dachten, jemand würde ihre Familien verfolgen und wiederum andere aufgrund von Liebeskummer von Unterstufen-Schülern sehr negative Gedanken hatten und deswegen auch geheult hatten -, doch ich glaubte, dass diese noch besser werden würde. Zwar bezweifelte ich, dass auch diesmal jemand wegen Liebeskummers nachts aus dem Fenster springen wollte, aber immerhin war diese Klassenfahrt unsere Abschlussfahrt - das allein machte sie schon legendär.

An einem Montagmorgen stand meine Klasse also auf dem Schulgelände versammelt um den ziemlich kleinen Reisebus - unser Jahrgang war nicht der Schlauste und folglich auch nicht der Größte - und befolgte brav die Anweisungen von Harry und Louis. Doch diese hatten anscheinend noch nie in ihrem Leben Tetris gespielt, denn gerade als der Lockenkopf einer meiner Klassenkameradinnen kommandierte, den Koffer auf einen bereits Eingeladenen zu stapeln, flog dieser durch die klitzekleine Bewegung wieder aus dem Bus und genau auf Harrys Fuß. Augenblicklich schossen alle Blicke zu unserem Deutschlehrer, der sofort die Zähne aufeinander gebissen hatte und seine Augen schmerzhaft zusammendrückte, während er seinen Fuß in seiner rechten Hand hielt und durch die fehlende Balance beinahe hingeflogen wäre, hätte mein Freund ihn nicht gestützt.
Greta neben mir gab ein mitleidiges 'Au' von sich und betrachtete das Opfer mitfühlend, währenddessen malte ich mir in meinem Kopf schon aus, wie diese Fahrt ablaufen sollte, wenn unsere Lehrer noch nicht mal im Stande dazu waren, Koffer richtig einzuräumen.

Nachdem das Dreamteam es letztendlich doch geschafft hatte, all das Gepäck zu verstauen - wobei man anmerken muss, dass sie dies ohne Gretas und meine Hilfe wahrscheinlich auch in hundert Jahren nicht geschafft hätten -, setzte sich der Bus endlich in Bewegung und machte sich auf den Weg nach Spanien.
Meine beste Freundin hielt es anscheinend nicht für nötig, sich mit mir zu unterhalten, denn umgehend nachdem wir uns gesetzt hatten, hatte sie ihre Kopfhörer rausgekramt und war in ihre Traumwelt eingetaucht.
Ich hingegen hatte mein Handy rausgeholt und schrieb mir mit Louis Nachrichten hin und her.
Nachdem wir wieder aus Brüssel zurückgekommen waren und von den Jungs so herzlich empfangen wurden, war die Stimmung zwischen dem Braunhaarigen und mir schon wieder deutlich entspannter geworden.

'Du weißt schon, dass du eigentlich eine gewisse Aufsichtspflicht hast?', tippte ich ein und blickte grinsend auf. Meine Augen suchten nach dem vertrauten Gesicht und sobald ich ihn ein paar Reihen schräg vor uns neben Harry ausfindig gemacht hatte, wartete ich nur darauf, dass er die Nachricht las.
Sein Handy blinkte auf, er senkte seinen Blick und hob ihn ein paar Sekunden später wieder, nur um nach mir zu suchen und grinsend seinen Kopf zu schütteln. Dann wanderten seine blauen Augen erneut auf das Smartphone und seine Finger tippten irgendwas ein.
Noch bevor die Nachricht überhaupt angekommen war, schaute ich schon auf das Mobilgerät und kriegte ein paar Sekunden später direkt die Antwort.
'Ich pass doch auf', schrieb er und ich hob die linke Augenbraue.
'Auf wen? Auf Harry?', fragte ich und sah ihn sogleich schon wieder tippen.
'Der schläft. Aber solange ich mit dir schreibe, kannst du auch keinen Unsinn anstellen ;)', antwortete er und ich konnte nicht anders, als vorwurfsvoll in seine Richtung zu funkeln.
Na super. Eine unserer Aufsichtspersonen war dabei, mit seiner Schülerin zu flirten und die andere schlief. Blieben also nur noch Mr Malik und seine Tochter, die sich ganz hinten im Bus platziert hatten und dort augenscheinlich auch ziemlich gut für Ruhe sorgten. Es war nicht von vornherein geplant, dass unser Schulleiter mit auf die Abschlussfahrt kommt, doch da insbesondere Greta und ich in diesem Halbjahr wieder das ein oder andere Mal Nachsitzen von unseren Freunden aufgedrückt bekommen haben, hatte er beschlossen, mitzufahren.
Greta meinte dazu, dass er uns einfach sehr gerne mochte und die letzte Zeit, die er mit seinen kleinen Unruhestiftern noch genießen konnte auch mit diesen verbringen wollte. Ich allerdings glaubte, dass er nur mitgekommen war, um zu verhindern, dass meine Freundin und ich irgendwas anstellten, für was die Schule im Nachhinein verklagt werden konnte. Bei Mr Malik hatte alles immer einen tieferen Sinn. Doch um zu verstehen, warum er auch noch Mrs Malik, die unsere Klasse bis jetzt nur ein paar Mal als Vertretung gehabt hatte und die ein Auge auf Max geworfen hatte, mitgenommen hatte, war ich nicht gut genug in Philosophie.

'Schau mich nicht so an. Du weißt genauso gut wie ich, dass die Malik's von da hinten aus alles im Griff haben', blinkte es auf meinem Handy und ich tippte kopfschüttelnd meine Antwort ein.
'Du lässt wohl für dich arbeiten, was?', neckte ich ihn und blickte erneut grinsend auf. Doch statt wieder in das Gesicht meines Freundes zu blicken, sah ich vor mir direkt Mr Maliks Gesicht, das mich streng anfunkelte.
In Sekundenschnelle schob ich mein Handy unter meine Beine und stupste reflexartig Greta an, welche grummelnd ihre Kopfstöpsel aus den Ohren zog, doch sofort verstummte, als sie Mr Malik erblickte.
„Wir waren's nicht", sagte sie und ich nickte bekräftigend, während mein Handy ununterbrochen vibrierte. Unser Schuldirektor hatte uns schon so oft für etwas verantwortlich gemacht, das wir gar nicht begangen hatten, dass wir uns diese Taktik einfach angewöhnt hatten.
Der Schwarzhaarige schüttelte augenrollend den Kopf, bevor er das Wort erhob. Mein Handy vibrierte immer noch.
„Ich wollte euch nur noch mal wissen lassen, dass ich euch beobachte. Ihr wisst, ich hätte euch auch von dieser Fahrt ausschließen können, also versaut es nicht. Es wird Konsequenzen haben", sprach er streng und wir nickten verstehend. Greta und ich hatten ohnehin nicht geplant, irgendwas anzurichten, allerdings konnte es auch gut sein, dass wir sowas gar nicht mehr planen mussten, sondern es einfach automatisch geschah.
Der Lehrer verschwand wieder einigermaßen glücklich, wodurch mein Blick nun auf Louis' traf. Er grinste mich frech an und ich funkelte kriegerisch zurück, senkte meinen Blick auf mein Handy, wo meine Vermutung, dass all die Nachrichten von meinem Freund stammten und allesamt inhaltslos waren, bestätigt wurde und tippte erneut.
'Nervensäge', schrieb ich einfach nur, worauf ein paar Sekunden nichts kam, bis mein Handy wieder aufleuchtete.
'Ich liebe dich auch x', antwortete er und ich blickte auf. Er lächelte mich an, sodass sich seine Grübchen leicht absetzten und auch, wenn es nur digital war, zauberten mir diese Worte ein Lächeln auf die Lippen, denn es war das erste Mal, dass er sie benutzt hatte.

They Don't Know About Us || l.t. ; h.s. ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt