6 ~ ɛཞʂɬɛʂ ɠıʄɬ ~ ۷ıɠıɩıɛ

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"Also, Gabriel, was hast du morgen vor? Das ist ein großer Tag für dich, Sohnemann", sagte mein Vater und gestikulierte dabei wild mit seinem Besteck. Alle sahen gespannt zu meinem Bruder, nur ich starrte weiterhin auf meinen Teller. Seit Wochen redete Vater bei jeder Gelegenheit darüber. Er war ja so stolz auf seinen ältesten Sohn, der seinen Namen in die weite Welt hinaus tragen würde.
"Ich weiß nicht. Vielleicht treffe ich mich mit Thomas. Unten in der Stadt", sagte Gabe. Er wollte sich also betrinken. Oder Madison treffen. Vielleicht sogar beides.
"Mir soll's recht sein. Treibt es nur nicht zu weit und macht keine Dummheiten", sagte Vater.
"Warum lädst du Thomas eigentlich nie ein?", fragte Ma. Gabe zuckte mit den Schultern.
"Seine Eltern erlauben es nicht. Unser Haus sei zu weit weg, meinen sie", sagte er ausweichend, aber ich wusste, dass das nicht die Wahrheit war. Gabe hatte mir mal gesagt, dass Thomas und seine Familie unsere Gesellschaftsschicht verachteten. Sie fanden es wohl ungerecht, dass mein Vater keinen Finger rühren musste, aber trotzdem mehr Geld besaß als sie jemals zu Gesicht bekommen würden. Außerdem schuftete Thomas' Vater jeden Tag auf einem Feld, das meinem Vater gehörte. Und anscheinend verlangte Pa dafür horrende Gebühren. Ja, meine Familie war beim gemeinen Pöbel wahrlich nicht beliebt.
Ich wusste nicht genau, warum Thomas sich dennoch auf eine Freundschaft mit dem Sohn einer so verhassten Person eingelassen hatte. Vielleicht erhoffte er sich dadurch einen Vorteil im späteren Leben. Oder es lag daran, dass Gabe selbst mit dem finanziellen Verhalten unseres Vaters höchst unzufrieden war und am liebsten dagegen ankämpfen würde.
"Das ist wirklich sehr schade. Er scheint so ein netter junger Mann zu sein", sagte Ma. Ich musste mich an dieser Stelle wirklich bemühen, nicht laut aufzulachen. Ich konnte Thomas nicht ausstehen. Er nahm mich nicht ernst und war um ehrlich zu sein auch sonst ein ziemlicher Vollpfosten. Ich verstand wirklich nicht, was Gabe in ihm sah, denn ich würde mich niemals mit ihm vertragen.
Während des restlichen Abendessens sprachen meine Eltern und Geschwister über dies und das, aber ich sagte kein Wort. Das schien nur niemanden zu stören oder gar zu überraschen. Ich wurde scheinbar eher als stilles Kind wahrgenommen.
Nach dem Essen verabschiedete ich mich dennoch artig von meinen Eltern und wünschte ihnen eine gute Nacht. Dabei war mein Blick starr auf den Boden gerichtet. Ma fiel auf, dass etwas nicht stimmte und sie nahm mich beiseite.
"Was beschäftigt dich?", fragte sie. Ich zuckte nur mit den Schultern und wich weiterhin ihrem Blick aus. Sie nahm mein Gesicht in ihre Hände und hob meinen Kopf.
"Sei nicht so." Ich wand mich aus ihrem Griff und verschwand ohne ein weiteres Wort aus dem Raum. Bis heute weiß ich nicht, warum ich mich an diesem Tag so bescheuert verhalten habe. Hätte ich gewusst, was in dieser Nacht passieren würde, hätte ich ganz sicher anders gehandelt.

Auf dem Weg in den Ostflügel, in dem sich alle Schlafzimmer befanden, grübelte ich über meine Situatio nach. Daran gefiel mir zu der Zeit irgendwie gar nichts. Klar, mir ging es nicht schlecht, aber besonders gut ging es mir auch nicht.
"Vale!", rief Maggie hinter mir und holte mich ein. Ich blieb stehen und sah sie an.
"Was?", fragte ich viel barscher, als ich eigentlich gewollt hatte. Scheinbar schreckte sie das ab, denn sie machte einen kleinen Schritt rückwärts.
"Was ist mit dir los? Du bist heute so komisch", sagte sie. Ich wandte mich ab, atmete tief durch und grinste sie dann an.
"Ach, ich weiß auch nicht. Vielleicht liegt es am Wetter", sagte ich leichtherzig. Es lag natürlich nicht am Wetter, aber ich hatte jetzt echt keine Lust auf ein emotionales Gespräch mit meiner Schwester. Sie zog verständnislos eine Augenbraue in die Höhe.
"Ist das dein Ernst?", fragte sie und stemmte verärgert die Fäuste in die Hüften, "Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich dir das abnehme? Ich merke doch, wenn etwas mit dir los ist, Vale." Ich verdrehte genervt die Augen. War ja klar, dass sie sich damit nicht zufrieden geben würde.
"Bitte, wenn du es genauer wissen willst; ich habe es satt, das schwarze Schaf in der Familie zu sein."
"Was redest du denn da für einen Dreck?"
"'Dreck', ja? Willst du damit etwa sagen, dass ich mit dir als Musterschülerin und Gabe als ganzem Stolz unseres Vaters mithalten kann? Ganz sicher nicht, denn ich versage auf allen Ebenen!"
"Oh mein Gott, fang nicht schon wieder damit an!"
"Wieder anfangen, Maggie? Ich habe nie damit aufgehört! Das geht jetzt schon seit Monaten so, aber ihr merkt ja nicht einmal, wie schlecht es mir mit alledem geht!", rief ich und spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Ich war einfach so verdammt frustriert und wütend und traurig. Und das alles auf einmal war zu viel für mich.
"Ihr alle habt keine Ahnung! Es ist euch doch egal!", setzte ich noch nach, weil ich nicht schwach wirken wollte. Maggie sah mich mit einer Mischung aus Überraschung, Wut, Betroffenheit und Mitleid an. Sie war sprachlos.
"Oh, Vale", hauchte sie schließlich so leise, dass ich es fast nicht gehört hätte. Ich schnaubte verächtlich und wandte mich ab. Maggies Unterlippe zitterte und sie biss darauf, um dies zu verhindern. Wir standen beide kurz vor einem Zusammenbruch, aber sie hatte verdammt nochmal kein Recht dazu. Für sie war alles einfach. Wenigstens sie sollte das genießen. Sie sollte glücklich sein, verflucht, und sich nicht alles von mir vermiesen lassen.
Bin ich ein schlechter Einfluss?, fragte ich mich, Wäre sie ohne mich besser dran? Vielleicht sollte ich einfach verschwinden. Ich wünschte mir, nie geboren worden zu sein. Dann hätte meine Familie es leichter. Sie hatten mich doch eh nie gewollt.
Maggie schluchzte auf. Ich hielt das nicht mehr aus und rannte davon.
"Warte! Vale!", rief sie mir nach, aber ich hörte sie nicht. Ich hetzte weiter durch die Flure, um zu meinem sicheren Hafen, meinem Lieblingsort zu gelangen. Ich stieg einige Treppen nach oben, öffnete die Tür zum Dachboden und kletterte von dort aus über eine Leiter und durch eine Luke auf das Dach meines Zuhauses, in dem ich mich schon lange nicht mehr zuhause fühlte.
Ich legte mich flach auf die Schieferziegel des höchsten Punktes auf dem Dach und starrte in den Sternenhimmel. Meine Arme waren hinter meinem Kopf verschränkt und bildeten so ein Kissen für mich. Es war eine dieser klaren Nächte am Frühlingsanfang, in denen man den Winter noch richtig spüren kann. Keine einzige Wolke verdeckte die Sterne, aber es war sehr kalt. Mein Atem stieg als weißer Dampf in die Luft und ich bekam eine Gänsehaut. Eine Jacke oder Decke wäre jetzt nicht schlecht gewesen, aber ich konnte auch so mit der Kälte leben. Sie hatte mich noch nie großartig gestört.
Eine Sternschnuppe blitzte über mir auf. Ich hatte mal in einem Buch gelesen, dass Sternschnuppen angeblich die Seelen von Menschen sein sollten, die eben in den Himmel auffuhren. Und die Sterne waren Engel. Ich fand sogar die Konstellation meines Sternzeichens. Meiner beiden Sternzeichen. Schütze und Schlangenträger.
Gerade war Neumond, weshalb die Nacht besonders dunkel war und die Sterne besonders hell funkelten. Ich gähnte und sah mir weiterhin die Sterne an, während meine ganzen negativen Gedanken verschwanden. Als mein Kopf leer war, fiel ich in eine Art Wachtraum, in dem ich mir mein Leben vorstellte, wie es sein könnte, wenn ich nicht ich wäre. Und dann stellte ich mir mein Leben vor, wie es vermutlich sein würde. Für einen kurzen Moment wurde ich zuversichtlich. Vielleicht war das alles ja gar nicht so schlimm. Vielleicht würde sich alles wieder bessern.

ValeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt