Ich blieb noch eine Weile lang mit Gabe im Labor sitzen und unterhielt mich mit ihm. Ich war ziemlich froh, endlich wieder bei ihm zu sein. Anhänglich war ich schon immer, und so lange wie da war ich selten weg. Noch lieber hätte ich mich nur mit Maggie ausgetauscht, aber ich hatte keine Ahnung, wo sie war oder was sie machte. Vielleicht war sie mit irgendetwas beschäftigt, oder sie war bei Mark, und dabei wollte ich sie nun wirklich nicht stören.
Mark war nie besonders ehrlich oder aufrichtig, das wusste ich, aber bei dieser Sache war ich mir sicher. Ich glaube, er hatte meine Schwester von Herzen gerne, ein Gefühl, welches ich selbst auf diese Art zwar lange nicht nachvollziehen, aber dennoch erahnen konnte. Das gleiche galt für Maggie, und ich gönnte es den beiden wirklich. Sie hatten sich gefunden, in einer Welt, in der man sonst auf sich alleine gestellt war. Nach Gabe und mir wird es wohl Mark gewesen sein, den ihr Tod am meisten getroffen hat.
Ich kann es kaum glauben, dass er auch tot ist. Es gab noch vieles, was ich ihm hätte sagen sollen. Du solltest dich jetzt keineswegs schlecht fühlen, ich verstehe ja, dass er sterben musste. Er war korrupt und stand uns im Weg, das war ohne Frage unvermeidbar, aber dennoch ist er jung gestorben, und ich verdanke ihm einiges. Einen großen Teil meines Wissens habe ich nur durch ihn erreicht, und hätte er mich nicht zu den Vipern gebracht, hätte ich nie die Chance gehabt, ein richtiger Alchemist zu werden.
Weißt du was, um sein Andenken zu wahren, werde ich dir jetzt alles über ihn erzählen, was ich weiß. Das ist zwar nicht gerade eine Menge und lange nicht so viel, wie Gabe dir sagen könnte, aber das muss jetzt sein.Gut, also, Mark hat immer gerne gesprochen. Über alles und jeden. Es störte ihn nicht, über Personen zu lästern, die direkt neben ihm standen. Er war bereit, sich den Konsequenzen seiner Handlungen zu stellen, die meistens sowieso milde ausfielen. Kaum jemand konnte ihm etwas anhaben. Offiziell war er bei den Vipern zwar nur ein Ausbilder, aber insgeheim genossen diese Mitglieder mit das höchste ansehen, da kaum jemand bereit war, sich den Anstrengungen zu stellen, junge Mitglieder auszubilden, die noch ganz grün hinter den Ohren waren. Außerdem war er verdammt gut in dem, was er tat. Kaum jemand schaffte es, Lehrlingen in drei Jahren so viel beizubringen wie er. Dabei konnte er sogar abwegigstes Wissen vermitteln, von dem er selbst kaum eine Ahnung hatte. Es war wirklich erstaunlich, wie viel Mühe er sich gab, um seine Schützlinge so gut wie möglich auf alle Gefahren dieser Welt vorzubereiten.
Soweit ich weiß, tat er das auch sehr lange. Mindestens zwölf Jahre lang diente er Kobral und baute dabei eine engere Verbindung zu ihm auf, als sie ein normales Mitglied haben soll.
Und das waren nur die Dinge, die jeder über ihn wusste. Ich kannte ihn noch besser.
Ich weiß, dass er verrückt war, zweifellos. In seinem Kopf war wohl nichts mehr ganz so, wie es sein sollte, aber das hielt ihn nie davon ab, seine Sache gut zu machen, und ja, irgendwie war er auch ein guter Mensch, auf seine verquere Art.
Wie gesagt, er war ein Plappermaul, doch es gab ein Thema, über das er selten mehr als einige wenige Worte verlor, und das war seine Vergangenheit vor den Vipern. Mit sieben kam er zu ihnen. Dass beide seiner Elternteile da schon tot waren, erzählte er mir ebenfalls in einem stillen Moment. Sonst erwähnte er nie wieder seine Familie, ich weiß also nicht, ob er Geschwister hatte. Ich kenne nicht einmal seinen Nachnamen, fällt mir da ein.
Da er mit seinen Sieben Jahren noch etwas jung für eine vollständige Ausbildung war, ließ Kobral ihn einfach so im Hauptquartier wohnen, und hinter vorgehaltener Hand munkelte man, dass der König höchstpersönlich immer ein Auge auf ihn hatte und sich auf eine gewisse Weise um ihn kümmerte. Nicht wie ein Vater es getan hätte, es wird wohl eher die Art von Beziehung zu einem lieben Onkel gewesen sein. Drei Jahre lang ging das so, bis er mit zwölf wirklich zur Viper wurde und sich ziemlich schnell dazu entschied, als Ausbilder zu arbeiten, damit er sich um die ganzen jungen Menschen kümmern konnte, die, wie er, verloren geglaubt waren. In diesen drei Jahren war er nicht direkt in Ausbildung, aber die eine oder andere Sache bekam er trotzdem beigebracht, weshalb seine Ausbildung auch nur zwei Jahre statt der üblichen drei dauerte. Von Kobral oder den anderen wichtigen Mitgliedern, die ihn ebenfalls ins Herz geschlossen hatten, lernte er. Wer könnte es ihnen verdenken? Er war so jung, und um ihn nicht zu mögen, musste man sich wirklich sehr anstrengen. Er hatte diese Ausstrahlung, in der man unwillkürlich an das Gute im Leben denken musste. Nicht das entspannte und idyllische Gute, eher die Spannung und den Reiz des Abenteuers, bei dem man übermütig wird. So habe ich ihn jedenfalls wahrgenommen, und so will ich ihn in Erinnerung halten.
Irgendwie... vermisse ich ihn schon ein wenig. Nur wenige andere Menschen ließ ich so nah wie ihn an mich heran.
Ah, über seinen anderen Namen kann ich noch ein Wort sagen. Man nannte ihn Shadow, in erster Linie wegen seiner Augen, die so dunkel wie eine Neumondnacht waren. Gefahr lauerte in ihnen, eine Gefahr, die man nicht kommen sehen konnte, denn noch dazu konnte er nahtlos in den Schatten verschwinden. Selbst am hellichten Tage war es, als könnte er unsichtbar werden, und das trotz seiner außerordentlichen Größe. Wie er das machte, hab ich nie herausgefunden, aber meiner Schwester hat er's beigebracht, wobei sie auch ein angeborenes Talent dafür zu besitzen schien. Nun, dieses Geheimnis haben die beiden wohl mit ins Grab genommen.Und das war Mark. Ich will nicht, dass du einen falschen Eindruck von ihm bekommst. Er war nicht nur schrecklich, aber seine Makel hatte er dennoch, und das war ebenfalls nicht zu unterschätzen. Er handelte gerne mal impulsiv oder aus einer Laune heraus und hatte eine unberechenbare Ader. Sagen ließ er sich sowieso nicht, und eigentlich konnte Maggie ihn als einziges halbwegs in Zaum halten und beruhigen, wenn er sich mal wieder über etwas aufgeregt hatte.
Aber das schaffte sie sowieso bei jedem. Weder auf sie noch in ihrer Nähe konnte man wirklich wütend sein. Umso schlimmer war es, wenn sie selbst die Fassung verlor. Dann bekam sie sich gar nicht mehr ein, und so wollte man ihr wirklich nicht über den Weg laufen.
Aber was rede ich da? Hier geht es nicht um meine Schwester.- Nein, werde ich nicht. ... Es ist mir egal, ob du mehr über sie wissen willst. Ich kann nicht so über sie reden. An sie zu denken fällt mir schon schwer genug. Frag doch Gabe, wenn's unbedingt sein muss. Vielleicht fällt es ihm leichter. Er ist sowieso besser mit Worten und so. -
Das war jetzt ziemlich viel, was ich über ihn gesagt habe, oder? Wahrscheinlich ist es dir selber schon aufgefallen, ich rede nicht gerne von dem, was ich denke. Ich sah mich schon immer als Beobachter. Nach innen wende ich meinen Blick selten. Darum wollte ich dir auch so lange nicht erzählen, was in meinem Leben schon alles passiert ist. Es zwingt mich dazu, mich mit mir selbst, meinen Erfahrungen und meinen Gefühlen auseinanderzusetzen, und das mag ich einfach nicht. Darum hab ich auch meine Erinnerungen verscharrt.
Und darum wollte ich nicht, das du meinen Namen kennst, denn jedes Mal, wenn du ihn sagst, muss ich an meine Schwester denken. Du erinnerst mich wirklich sehr an sie, weißt du das?
Auch wenn ihr auf den ersten Blick nicht so ähnlich scheint, habt ihr doch beide diese Energie. Ein gewisses Feuer, wenn man so will. Und weder dir noch ihr würde ich im Wege stehen wollen, wenn ihr euch etwas in den Kopf gesetzt habt.
Weil ihr nicht anhaltet! Wenn ihr euch einmal etwas in den Kopf gesetzt habt, vergesst ihr alles andere und strebt danach, bis ihr es erreicht habt oder zerschmettert am Boden liegt. Und selbst das ist nur ein temporäres Hindernis. Sobald ihr es schafft, rappelt ihr euch wieder auf. Alles oder nichts, heißt es für euch.
Verdammt, ich hab's schon wieder getan! Siehst du, über mich selbst könnte ich sowas nie sagen. Weder die positiven noch die negativen Dinge. Vielleicht kenne ich mich selbst überhaupt nicht. Ich glaube, du solltest mir mal erzählen, was dieser Vale so für ein Kerl ist.
Gut, Spaß beiseite, wir können jetzt mit der eigentlichen Geschichte weitermachen.Ich denke du merkst schon, dass ich Zeit schinde. Ich will das nicht wieder durchleben, will mich daran erinnern müssen. Aber ich tu's. Weil ich dir vertraue.
Vertrauen, das
festes Überzeugtsein von der Verlässlichkeit, Zuverlässigkeit einer Person, Sache1.460 Wörter
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Vale
ActionIch habe in meinem Leben viel gesehen. Ich bin weit gereist, habe etliche Menschen getroffen. Ich habe etliche Menschen getötet. Ich habe mehr verloren, als ich zu besitzen glaubte. Meine Geschichte ist keine schöne. Sie ist kein Märchen und kein...