Ich schlief in dieser Nacht kaum. Ich versuchte es, aber nachdem ich aus einem meiner schlimmsten Albträume aufwachte, gab ich es auf. Ach ja, ich blieb auf der Mauer, wohlbemerkt. Ich konnte die Hitze des riesigen Brandes auf meinen Wangen spüren, und die Flammen hatten eine sehr beruhigende Wirkung auf mich, warum auch immer.
Als ich jedoch mitten in der Nacht wieder aufwachte, wurde mir klar, dass ich nicht der einzige sein konnte, der von diesem Inferno Notiz genommen hatte. Ehe ich also von jemandem gesehen und am Ende noch verdächtigt wurde, machte ich mich besser aus dem Staub, wobei ich gerne weiter dabei zugesehen hätte, wie das Anwesen zu Asche und Staub zerfiel.
Erstaunlicherweise fühlte ich mich besser. Ich war auf andere Gedanken gekommen und konzentrierte mich jetzt nicht mehr auf den Verlust meiner Schwester, sondern ihre Würde und ihr Andenken, denn es lag nun in meinen Händen, diese zu erhalten. Was für mich bedeutete, sie zu rächen. Bescheuert, ich weiß. Sie hätte das nicht gewollt, aber das konnte ich nicht einsehen.
Da ich außer mir und Richard nur zwei, vielleicht drei, weitere Menschen verantwortlich machen konnte, machte ich mich auf den Weg zu ihnen. Auf den Weg zu Mark und Gabe.Während ich über Wiesen und Felder zurück zum Kloster stapfte, überlegte ich, wie ich es anstellen sollte. Ich wollte auf jeden Fall einige Sachen aus meinem und Maggies Zimmer holen, denn ich würde England verlassen. Mir war es egal, wohin ich ging, solange ich nur nicht blieb. Aber abgesehen von meinen Reisevorbereitungen, waren da noch Mark und Gabe, wobei, eigentlich war es mehr Mark. Immerhin hatte er Gabe mit sich gerissen und beinahe zu einer Flucht gezwungen, was ihn in meinen Augen zum größeren Übel machte.
Ich konnte ihn nicht töten, das war mir klar. So groß war mein Hass nicht, er konnte nicht jegliches logisches Denken abstellen. Also... zusammenschlagen. Genau, der Gedanke daran, Mark so richtig in seine F-... sein Gesicht zu schlagen, schien mir sehr verlockend und trieb mir sogar ein Grinsen auf die Lippen.
Ich glaube, ich habe damals meine bis jetzt nächste Bekanntschaft mit dem Wahnsinn gemacht. Anders konnte ich mir meine Handlungen nicht erklären. Ich wurde verrückt.Ehe ich mich versah, war ich auch schon da. Das Kloster ragte als dunkler Schatten vor mir auf und wirkte so wenig einladend wie eh und je, aber dem schenkte ich keine Beachtung. Ich betrat das Nest der Vipern. Mir begegneten nur wenige Leute, und die, die ich sah, grüßten mich. Sie wussten ja nichts von dem missglückten Auftrag, da dieser in absoluter Geheimhaltung stattgefunden hatte. Sie wussten auch nicht, dass ich sie bald für immer verlassen würde und mich schon jetzt nicht mehr als einen der ihren zählte. Ich strich grinsend durch die Flure, bis ich vor Marks Zimmer stand und mich meine Aufregung beinahe umbrachte. Ich hatte es im Gefühl, dass ich ihn hier finden würde, obwohl er überall sein könnte.
Ich klopfte nicht an, bevor ich die Tür öffnete und mich sogleich wieder umwandte, um sie zu schließen.
"Vale?", fragte Mark überrascht und leicht schleppend. War das etwa eine leichte Trunkenheit, die ich da hörte? Diese Frage wurde mir beantwortet, als ich mich zu ihm kehrte. Er saß bei schlechtem Licht an seinem Tisch und sah ziemlich zerfleddert und zerzaust aus. Und ich hatte richtig geraten. Eine Flasche mit klarem Schnaps stand vor ihm. Erst da wurde mir bewusst, dass ich ihn ja schon einen ganzen Tag lang nicht mehr gesehen hatte. So viel Zeit war vergangen, seit er Maggie im Stich gelassen hatte.
"Ganz richtig, Mark. Wo ist Gabe?", fragte ich, denn er war nicht hier, und er trank nicht gerne allein. Mark hob nur die Augenbrauen und starrte mich weiter an.
"Wo ist Maggie?", stellte er selbst eine Frage, statt mir zu antworten. Kurz verzog sich mein Gesicht und zeigte die unbändige Wut, die ich nur mit Mühe in mir hielt, anstatt ihm gleich an die Gurgel zu gehen.
"Sag du mir erst, wo mein Bruder steckt", forderte ich.
"Wie du willst. Er ist euch suchen, ist gerade erst los. Wo wart ihr? Und wo ist Maggie?", fragte er nun drängender.
"Uns suchen? Interessant", murmelte ich und ignorierte seine Fragen. Stattdessen trat ich an den Tisch und nahm ihm die Flasche weg, um die er seine Arme geschlungen hatte. Er protestierte nicht, wirkte aber durchaus missbilligend.
"Was hast du denn hier für einen feinen Tropf?", fragte ich und trank einen großen Schluck davon. "Uuahh, das ist ja grauenhaft." Mir lief ein Schauer über den Rücken und ich ließ die Flasche ganz absichtlich und mit einem schadenfrohen Grinsen auf den Boden fallen. Sie zerschellte lautstark und verteilte Scherben und Spritzer von ihrem Inhalt im ganzen Zimmer, was Mark zusammenzucken ließ. Er sah mich an und zog wütend die Brauen zusammen.
"Was ist dein Problem, Arschloch?", fragte er mich. Man brauchte nicht viel Einfühlvermögen, um zu merken, dass er ziemlich angepisst war.
"Mein Problem ist", begann ich in einem beiläufigen Plauderton, "dass du abgehauen bist. Du hast Maggie im Stich gelassen, und du hast keine Ahnung, was du damit angerichtet hast."
Auf einmal wirkte Mark gar nicht mehr wütend, sondern schien von Schuldgefühlen geplagt. "Ich weiß, das war eine ziemliche Scheißaktion von mir. Es tut mir echt leid, Vale, ich wollte euch nicht hängen lassen. Ich hab's mit der Angst zu tun bekommen, weißt du? Ich wollte nur noch da raus, ich hatte keine Ahnung, was ich tat. Bitte sag mir, dass es Maggie gutgeht."
Ich seufzte und schüttelte den Kopf. "Jetzt geht es ihr wahrscheinlich wieder ganz gut." Mark atmete auf. "Aber davor ist sie noch gestorben, also bin ich mir nicht ganz sicher."
Ich blickte aus dem Augenwinkel zu Mark. Er starrte mich unverändert an, bis er sich irgendwann regte, seine Gesicht in seinen Armen vergrub und leise zu schluchzen begann.
"Das ist nicht wahr, oder?", heulte er. "Das kann nicht wahr sein."
"Nein, hab ich mir gerade ausgedacht, nur um dich zu ärgern", sagte bissig ich mit einem Augenrollen, ehe ich ihn am Kragen packte und über den Tisch zog. "Sie hat ein Messer in den Rücken bekommen! Ich durfte ihr dabei zusehen, wie es ihr immer schlechter ging, bis sie mich gebeten hat, ihr Leben zu beenden, weil sie es nicht mehr ausgehalten hat! Das ist verdammt nochmal wahr, und ich hoffe, du fühlst dich jetzt richtig schuldig. Aber Hauptsache, du hast deinen feigen Hintern gerettet, was?!", brüllte ich ihm wutentbrannt ins Gesicht. Er sah erbärmlich aus, wie ihm die Tränen über die Wangen liefen und er immer wieder schluchzte, dass es ihm leid täte, und dass er sie ja so geliebt hätte. Dieses Trauerspiel konnte ich mir nicht lange mit ansehen. Ich war vor Ärger so angespannt, dass ich am ganzen Leib zitterte. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und packte Marks Kragen fester, ehe ich ihm mit der anderen Hand mitten ins Gesicht schlug. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich ihm die Nase gebrochen hab. Er krähte jedenfalls ganz schön rum, es muss also richtig weh getan haben, und es floss eine Menge Blut. Es sollte mir nur recht sein. Ich war so wütend, wie ich es weder davor noch danach jemals wieder gewesen war.
"Bist du stolz drauf, sie so alleine gelassen zu haben?! Sie verdammt zu haben?!", rief ich und schlug ihn noch ein zweites Mal. Er hob seine Arme, aber er wehrte sich nicht, was gut für ihn war, ansonsten hätte ich ihm die stockdürren Dinger nämlich gebrochen.
"Deinetwegen ist sie tot, du verdammter Bastard!", ließ ich meinem Ärger weiter freien Lauf. Ich spie ihm noch viele weitere Beleidigungen entgegen, die ich dir gerne ersparen möchte, und schlussendlich knallte ich seinen Kopf auf die Tischplatte, als ich mit ihm fertig war und stapfte aus seinem Zimmer.
"Dich hat sie übrigens in ihren letzten Worten nicht erwähnt. Wahrscheinlich hat sie dich nie geliebt, du kranker Mistkerl", fauchte ich noch, schloss die Tür und ließ ihn alleine. Diese letzte Bemerkung war abgrundtief böse, das weiß ich, und sie war gelogen. Maggie hat ihn geliebt, da bin ich mir ziemlich sicher, und könnte ich nur eine Sache zurücknehmen und ungesagt machen, dann wäre es diese, denn das war das schlimmste, was ich ihm hätte antun können. Bis heute tut es mir unendlich leid, das gesagt zu haben. Ich war wütend, ich war traurig, ich stand so kurz davor, den Verstand zu verlieren. Deshalb habe ich mich unmöglich verhalten, was wirklich unverzeihlich ist.Und so kam ich zu meinem ersten Erzfeind, denn ich hatte Mark dazu gebracht, mich zu hassen.
Der zweite folgte kurz darauf, und dieser war mein eigener Bruder, aber davon wusste ich die längste Zeit gar nichts.
Ich hab ihn nie wieder gesehen. Seit dieser Nacht in unserem Geburtshaus. So konnte nur Mark ihm erzählen, was er aus meinen Anschuldigungen irgendwie gefolgert hatte. Und da er mich bestimmt nicht als großen Held dastehen ließ, kam Gabe wohl auf die Annahme, dass ich Maggie getötet habe, was technisch gesehen nicht falsch ist, aber das kann man mir doch keinesfalls als Schuld anlasten, oder? Ich habe mich ihrem letzten Wunsch gebeugt. Es war das beste für sie, und das hat sie selbst einfach nur als einzige erkannt.
Jedenfalls hatte ich nie die Gelegenheit, mich meinem Bruder zu erklären und war selbst noch wütend auf ihn, weil er Maggie in ihrer letzten Stunde keinen Beistand geleistet hatte, und darum entstand diese elendige Feindschaft zwischen uns, die beinahe sein eigenes Leben, meins und deins gekostet hätte.
Weißt du, ich bin sehr froh, dass du ihn nicht umgebracht hast, obwohl du eigentlich keinen Grund dafür hattest. Ihn nach diesen vier langen Jahren wieder in meine Arme schließen zu können, war, glaube ich, das größte Glück, was mir je zuteil wurde.
Das, was von den Pricefields noch übrig ist, muss schließlich zusammenhalten, was? Du gehörst jetzt auch dazu!Vendetta, die
[ital.] Blutrache: Form der Selbstjustiz1.646 Wörter
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Vale
ActionIch habe in meinem Leben viel gesehen. Ich bin weit gereist, habe etliche Menschen getroffen. Ich habe etliche Menschen getötet. Ich habe mehr verloren, als ich zu besitzen glaubte. Meine Geschichte ist keine schöne. Sie ist kein Märchen und kein...