Ich sollte stark sein, ohne es zu wissen?
Ich vertraute Maggie sonst ja wirklich blind, aber das zu glauben, fiel mir nun wirklich schwer. Mir wäre doch sicherlich aufgefallen, wenn ich irgendwelche versteckten Kräfte hätte.
Gut, wie dem auch sei, ihre Worte hatten mir dennoch geholfen, einen Entschluss zu fassen.
Ich wollte diese Stärke, die sie in mir sah, wirklich erreichen. Sie finden und in die Welt hinaus tragen.
Ich würde meine Schwäche und Machtlosigkeit überwinden, damit ich meine große Schwester immer würde beschützen können.- Ich sage große Schwester, weil sie tatsächlich früher als ich geboren wurde. ... Ziemlich lange sogar. Zwei Stunden, wenn ich mich recht erinnere. -
Mit gebeugten Schultern ließ ich mich von meiner Schwester halb auf unser Zimmer begleiten und halb schieben.
Dort angekommen schmissen wir uns auf mein Bett.
Lange sagte niemand etwas, aber irgendwann begann ich zögerlich mit einem langgezogenem "Also...", und dann redeten wir bis tief in die Nacht hinein über dies und das.
Ich beugte mich über die Bettkante, griff unter das Bettgestell und zog die von Vater geklaute und noch etwas mehr als halbvolle Flasche Scotch hervor.
Dass ich noch zu jung war, und dass mir das wahrscheinlich nicht gut tun würde, war mir klar, aber ich brauchte das an diesem Abend einfach. Ich nahm also einen großen Schluck. Maggie quittierte das mit dem Hochziehen einer Augenbraue, ich zuckte mit den Schultern. Als ich ihr die Flasche jedoch anbot, lehnte sie sie zu meiner Überraschung nicht ab, sondern stürzte den Alkohol regelrecht hinunter.
Spätestens jetzt sollte jedem klar sein, dass wir uns in einem absoluten Ausnahmezustand befanden. Wenn Maggie, die die Trinkerei verabscheute, zur Flasche griff, dann war alles möglich. Jetzt könnte mich gar nichts mehr überraschen.
Sie verschluckte sich, hustete und gab die Flasche hastig an mich zurück. Ich grinste.Bis nach Mitternacht, bis der nächste Morgen graute, reichten wir die Flasche hin und her und unterhielten uns dabei angeregt. Schließlich war sie leer und Maggie und ich voll. Wir hingen schief in und aus meinem Bett und lachten sogar lautstark.
Maggie erzählte gerade irgendetwas über Eichhörnchen oder so, da unterbrach ich sie auf einmal mitten im Satz und wechselte abrupt das Thema: "Willst du eigentlich immer noch abhauen?"
Sie nickte übertrieben.
"Gut", sagte ich, "dann komm' ich mit. Wo willst du hin?"
"Irland", sagte sie im Brustton der Übereugung.
"Warum?"
"Kobolde!", lallte sie.
"Die gibt's doch gar nich'", lachte ich.
"Doch, wohl"; sagte sie und schmollte.
"Na gut", gab ich nach. "Und danach, wo willst du dann hin?"
Sie dachte kurz nach.
"Frankreich."
"Ah, lass mich raten. Käse?"
Sie nickte erneut.
"Und dann nach Grieschenland."
"Ahja?", fragte ich überrascht. "Warum das jetzt?"
"Weil's schön ist!" Sie reckte ihre Hand in die Höhe und malte mit der Spitze ihres Zeigefingers kleine Kreise in die Luft.
Diese Erklärung ergab für mich vollkommen Sinn. Ich wollte auch schon immer mal irgendwo hin, wo es schön ist. Mit Sonne und dem ganzen anderen Zeug.
"Wann wollen wir aufbresch- aufb- äähh, wann wollen wir los?", nuschelte ich. Schweres Wort.
"So blald wie möglich." Maggie schien ihr Versprecher nicht aufzufallen. Mir auch kaum.
"Gut, aber wir müssen noch packen. Und Geld werden wir auch brauchen. Machen wir's so wie Dings? Ich mein' natürlich Gabe."
"Aber nur ein kleines, klitzekleines Startkapital. Unterwegs können wir uns b'stimmt mit echter Arbeit echtes Geld verdienen."
Ich nickte zustimmend und bewunderte ihren schlauen Einfall.
"Felder pflügen, oder so", sagte ich.
"Ja, genau! Du gehst mit der Hacke auf den Acker, und ich nehm' das Waschbrett. Dann schaffen wir das schon."
"Hört sich gut an."Und so beschlossen wir schnell, dass wir uns in drei Tagen auf den Weg machen würden. Als Proviant wollten wir erst alles Brauchbare aus unserem Zuhause mitnehmen und für alles andere in die Stadt gehen. Da gedenkten wir auch die erste Nacht zu verbringen, bevor wir uns auf den Weg gen Norden machten.
Maggie gähnte und ließ ihren Kopf auf mein Kissen sinken.
"Bald sind wir hier weg. Wir gehen auf ein Abenteuer!", murmelte sie noch, schloss ihre müden Augen und war sofort eingeschlafen. Ich beobachtete sie noch eine Weile und starrte etwas aus dem Fenster, dann zwängte ich mich neben sie, als auch meine Lider schwer wurden. Ich zog noch meine Decke über uns, bevor ich einschlummerte.
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Vale
ActionIch habe in meinem Leben viel gesehen. Ich bin weit gereist, habe etliche Menschen getroffen. Ich habe etliche Menschen getötet. Ich habe mehr verloren, als ich zu besitzen glaubte. Meine Geschichte ist keine schöne. Sie ist kein Märchen und kein...