29 ~ ʂıɛცɬɛʂ ɠıʄɬ ~ ۷ɛཞცɩıƈɧɛŋ

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Mit Maggie in meinen Armen bahnte ich mir einen Weg nach draußen. Ich hatte riesige Angst, wie ich sie noch nie gespürt hatte. An Maggies Rücken konnte ich ihr Blut spüren, das immer weiter aus ihrer Wunde lief. Sie hatte eine Art Krankheit in einer schwachen Form, die dafür sorgte, dass ihr Blut nicht richtig gerann, und ihre Wunden bluteten darum oft viel schlimmer als normal und brauchten länger, um sich zu schließen. Ich hab das auch, aber ich hab mich nie so schlimm verletzt.
Es war nicht richtig, dass sie sich so viel bewegte. Ich wusste, dass sie versorgt werden musste, deshalb bewegte ich mich schnell und gleichzeitig vorsichtig, um sie nur lebendig dorthin bringen zu können, wo ich ihr helfen konnte.
Ich verschwendete keinen Gedanken an meinen Bruder oder Mark, wahrscheinlich waren sie schon über alle Berge, und in dieser Dunkelheit hätte ich sie sowieso nicht ausfindig machen können.
Obwohl ich einen Großteil ihres Gewichts trug, stolperte Maggie neben mir immer wieder, und hätte ich sie nicht so fest in meinen Armen gehalten, wäre sie wohl schon längst hingefallen und liegen geblieben. Sie hielt ihre Augen geschlossen, und mehrmals ließ ihr Schmerz sie aufstöhnen. Das machte mir klar, dass es sie wirklich heftig getroffen haben musste. Normalerweise machte es ihr nicht viel aus, wenn sie verletzt war. Sie biss einfach die Zähne zusammen und machte weiter, aber diese Verletzung trieb sie an ihre Grenzen, und ich war mir nicht sicher, wie lange sie das noch durchhalten würde.
Ich betete nur, dass wir es rechtzeitig schaffen würden. Ich wollte nicht zulassen, dass sie wegen eines kleinen Streits zugrunde ging. Alles war so gut gelaufen. Wie konnte es nur so schief gehen?

Vor uns tauchte ein kleiner Hain auf. Ich erinnerte mich an diese Ansammlung von Bäumen. Sie markierte ungefähr die Hälfte der Strecke. Mein Herz sank. Ich konnte spüren, dass Maggie kaum noch Kraft hatte. Sie würde es nicht schaffen.
Ein weiteres Mal strauchelte sie, und dieses Mal blieb sie stehen und krallte ihre Fingernägel in meinen Arm.
"Vale", ächzte sie schwer atmend, "ich kann nicht mehr. Können wir eine Pause machen?"
Ich sah sie an und schluckte. Wir konnten uns eigentlich keine Verzögerungen leisten. Jede Sekunde war zu kostbar, um sie ungenutzt verrinnen zu lassen. Aber ich sah ihr auch an, dass ein jeder Schritt sie quälte. Sie war wirklich am Ende ihrer Kräfte.
Obwohl sich alles in mir dagegen sträubte, nickte ich. Es war, als würde ich einen Kampf aufgeben, den ich zu Ende bringen musste, obwohl klar war, dass er aussichtslos war.
Ich ließ mich vorsichtig mit meiner Schwester zu Boden sinken und lehnte sie behutsam an einen Baum. Ich beobachtete sie und kaute auf meiner Unterlippe herum. Das konnte ich doch nicht tun. Ich konnte nicht einfach tatenlos hier herumsitzen, während ihr die Zeit davonlief.
Kurzerhand riss ich mir meinen Umhang vom Leib und schnitt ein großes Stück davon ab, mit dem ich mich hinter sie begab und die Wunde in ihrem Rücken untersuchte. Sobald ich den Schnitt sah, wusste ich, dass meine Taten irrational waren, aber ich gab die Hoffnung nicht auf. Maggie hatte sich überrumpeln lassen, und so war es Richard gelungen, sein Messer an ihrem Schulterblatt vorbei bis zum Anschlag in ihr Fleisch zu rammen. Bei dieser Verletzung war es ein Wunder, dass keine lebenswichtigen Organe verletzt waren, und dass Maggie überhaupt noch am Leben war.
Ich biss die Zähne zusammen und drückte zitternd das Stoffstück in meinen Händen auf die Wunde, um irgendwie das Blut aufzuhalten, das unaufhörlich daraus hervor drang.
"Vale, das bringt doch nichts", sagte Maggie matt und wandte ihren Kopf so gut es ging zu mir. Ihre Stirn glänzte vor Schweiß, und das, obwohl sie sich unnatürlich kalt anfühlte, und ihre Haut sah krankhaft blass aus, was nicht nur am kalten Mondlicht lag, das auf uns fiel.
Ich wollte es nicht einsehen, konnte nicht glauben, dass es mit ihr zu Ende ging, aber ich wusste es doch.
"N-Nein, ich kann dir helfen. Ich muss dir helfen! Ich... Ich kann dich retten, ich muss es einfach können!", sagte ich verzweifelt, trat wieder um den Baum und sank neben ihr auf die Knie. In dieser Nacht war ich ein Meister darin, mich selbst zu belügen.
"Du kannst mich nicht retten, aber vielleicht... Vielleicht kannst du mir helfen", flüsterte sie.
"Wie?", fragte ich niedergeschlagen, aber mit einer kindlichen Hoffnung, und nahm ihre Hand. Meine Kehle war trocken und schnürte sich unaufhörlich zu. Tränen stiegen mir in die Augen.
Auch Maggie weinte, aber sie lächelte dabei trotzdem. Sie sah mich an, aber sie blickte schon in eine andere Welt, die für mich unerreichbar war.
Schwach hob sie ihren Arm und legte ihre Hand an meine Wange. Sie kühlte meine erhitzte Haut, und das ängstigte mich noch mehr. Ich nahm ihre Hand und drückte sie an meine Lippen. Sie fühlte sich kalt, so kalt an. Als wäre kaum noch Leben in ihr.
"Beende es." Ihr Wispern war nur noch ein Hauchen, ohne Stimme, fast unhörbar.
"Was?", keuchte ich erschrocken. Jetzt liefen meine Augen über und salzige Tränen rannen mir über die Wangen. "M-Maggie, das... das kann ich nicht."
"Wenn das jemand kann, dann du. Ich will es so, Vale, ich leide. Wir wissen doch beide, dass ich hier nicht mehr rauskomme. Und das ist in Ordnung. Nimm mir diese Last ab." Sie hustete und schnappte nach Luft. Ihre Atmung wurde flacher. "Du bist doch der beste Bruder aller Zeiten, oder?"
Ich nickte und schüttelte den Kopf, ehe ich meine Augen zukniff, als könne ich damit die Realität aussperren, und mein Gesicht an ihre Hand schmiegte.
"Erfülle mir diesen letzten Wunsch. Ich bitte dich."
Ich schüttelte nur wieder den Kopf. Ihre Finger wanderten über meine Wange nach unten, bis sie an einer kleinen Tasche an meiner Brust angelangten. Ich griff hinein, wobei meine Finger so sehr zitterten, dass ich beinahe die kleine Glasampulle fallen gelassen hätte, die zum Vorschein kam. Nur wenige Tropfen einer klaren Flüssigkeit schimmerten darin. Ich wusste genau, was das war. Mein Notfallgift. Es wirkte sofort. Schmerzfrei. Und zu einhundert Prozent tödlich.
Ich schluchzte laut auf und zog Maggie an mich.
"Nein. Nein, bitte... Tu mir das nicht an."
"Es tut mir leid, Vale. Ich hätte besser aufpassen sollen. Ich war nicht wachsam genug."
"Nein, nein, das ist alles meine Schuld", heulte ich. "Wenn ich doch nur einfach Gabe gefolgt wäre. Es ist meine Schuld!"
"Vielleicht ist es das", seufzte Maggie, "aber jetzt ist es zu spät. Ich verzeihe dir, Bruder. Es ist alles in Ordnung. Hilf mir nur auf die andere Seite."
"A-Aber das geht nicht. Ich... Ich bekomme das wieder hin, ich-"
"Schhh", unterbrach sie mich. "Tu es."
Ich sah ihr in die Augen und versank darin. Sie brachten mir so viel Liebe und Zuneigung entgegen. Und nur einen einzigen Wunsch.
Mein Widerstand brach.
Ich öffnete den Verschluss der Ampulle, wobei mir mein Herz viel zu schnell bis zum Halse schlug. Man könnte meinen, ich wäre derjenige, der sterben musste, aber was hier gerade passierte, fand ich noch viel schlimmer.
"Bist du dir wirklich sicher?", fragte ich, während mir heiße Tränen über das Gesicht liefen. Maggie sah mich an und nickte. Sie drückte meine Hand, als ich das Gefäß an ihre Lippen hielt und ihr das Gift einflößte. Danach umarmte ich sie fest. Ich wollte sie nicht loslassen, wollte sie nicht gehen lassen.
"Mir tut das alles so... so unendlich leid", schluchzte ich. "Ich liebe dich, Maggie."
Ich wünschte mir so sehr, mehr sagen zu können, aber es schien alles zu wenig und zu spät. Einfach nur... bedeutungslos.
"Versprich mir, dass du dir nicht mehr die Schuld an alledem gibst. Trauere nicht um mich, denn ich werde immer bei dir sein. Ich lasse dich nicht allein. Ich liebe dich, kleiner Bruder. Sag das auch Gabe, ich liebe ihn auch.
Danke, dass ich Zeit mit euch verbringen durfte. Das war das beste Leben, das ich mir vorstellen kann. Danke. Und vergiss nicht, wir werden uns wiedersehen. Ich werde auf dich warten", hauchte sie.
Ich hielt sie fester, spürte die Hebung ihrer Brust an meiner ein letztes Mal, hörte die Luft aus ihren Lungen weichen und sah ihre Hand zu Boden sinken.
Und dann rührte sie sich nicht mehr. Es wurde still.
Ich löste mich von ihr, so dass ich ihr ins Gesicht sehen konnte. Ich sehe sie noch genau vor mir, wie sie da an dem Baum lehnte. Ihre Augen waren geschlossen, und ein leises Lächeln lag auf ihren Lippen, aber es war leer. Sie war fort.
Meine wundervolle, perfekte Zwillingsschwester, die ich über alles geliebt hatte, war für immer fort. Tot.
Ich grub meine Hände in den Waldboden und stieß ein langgezogenes Heulen aus, in das ich all meine Trauer legte. Dann ließ ich meinem Kummer freien Lauf.

verbleichen
sterben

1.464 Wörter

ValeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt