12 ~ ۷ɛཞཞąɬ

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"Vale!", wiederholte mein Gegenüber.
Ich blinzelte und merkte erst jetzt, dass mein Mund offen stand. Ich schloss ihn und zog wütend meine Brauen zusammen.
"Gabe", sagte ich frostig.
Die Aufregung und Überraschung über unser plötzliches Wiedersehen ließ mich keinesfalls die Wut auf ihn vergessen.
"Gabe?", hörte ich einen Dritten rufen. Wir wandten beide ruckartig unsere Köpfe in die Richtung schnellen. Ich kannte diese Stimme. Wie erwartet stand da der schwarzhaarige Kerl, der mich vor den aggressiven Jugendlichen verteidigt hatte. Warum war der hier?
"Du... solltest herkommen, Mark", rief Gabe, ließ mich dabei aber nicht aus den Augen. Scheinbar sah dieser Mark mich erst jetzt, denn er machte hörbar "Oh" und stellte sich neben meinen Bruder.

- Hm? ... Ja, das ist der Mark, den du umgebracht hast. ... Das muss dir doch nicht leidtun. Er war sozusagen ein Bastard. Verzeihung, aber ich vermisse ihn nicht im geringsten. ... Ja, das ist schon merkwürdig. Immerhin hat er eine ziemlich große Rolle in meinem Leben gespielt. Aber Gabe war ihm noch näher. ... Oh nein, bloß nicht. Wenn er wüsste, dass du ihn umgebracht hast, würde er vermutlich ziemlich den Boden unter den Füßen verlieren. Er ist nachtragend. -

Also, nun stand ich Mark und Gabe gegenüber. Mein Bruder hatte ein fieses Veilchen auf dem rechten Auge. Es war so dunkelblau und lila, dass es schon fast schwarz aussah. Wie merkwürdig es war, das so zu sehen. Mark war so groß und überragte meinen Bruder um mehrere Köpfe. Er war definitiv der größte Mensch, den ich je gesehen habe.
Aber was noch komischer war, war die Kleidung der beiden. Sie trugen die gleichen schwarzen Monturen und Kapuzenumhänge. Bei genauerem Hinsehen konnte ich an ihren Schultern eine silberne Brosche erkennen, die eine Schlange darstellte, die sich um ein V wand und die Umhänge zusammenhielt.
Mir fiel tatsächlich nur ein einziger Unterschied in Sachen Kleidung bei ihnen auf: Gabe hatte an seinen Ärmeln, der Kapuze, seinem Kragen und dem Saum seines Umhangs rote Streifen, die dort angenäht waren. Mark hatte keine Streifen. Oder sie waren genauso schwarz wie der Rest seiner Robe. Was sollten das denn für Kostüme sein?

"Ach, hallo mal wieder", sagte Mark zu mir. Man konnte wirklich wunderbar den Alkohol aus seiner Stimme heraushören. "Wie ich sehe, steckst du heute nicht in Schwierigkeiten."
"Das ist ungewöhnlich", grinste er. Dass er von Marks Rettungsaktion wusste, überraschte mich nicht.
"Wa- Was passiert hier gerade?", fragte ich. "Gabe, wo zur Hölle warst du, warum bist du einfach abgehauen, was hast du mit diesem komischen Vogel am Hut und was hast du da überhaupt an?"
Gabe sah in die Luft und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Antwort eins: Ich war bei Mark, in Sicherheit. Bin da eigentlich immer noch. Antwort zwei: Ich wollte eigentlich wieder nach Hause kommen, aber Mark hat mich nicht gelassen. Stattdessen hat er mich eventuell bewusstlos geschlagen und entführt." Er warf dem Angesprochenen einen anklagenden Blick zu und deutete demonstrativ auf sein blaues Auge.
"Ups", sagte Mark ohne das geringste Bisschen Reue und grinste. "Das hast du halt davon, wenn du dich wehrst."
Gabe wandte sich wieder mir zu und fuhr fort: "Anstatt sich zu entschuldigen hat er mir übrigens noch einen Spitznamen deswegen gegeben. Aber nun gut, ich kann damit leben.
Ach ja, Antwort drei: Das ist meine offizielle Übungskleidung. Das Rot steht dafür, dass ich noch nicht ausgebildet bin. Marks Schwarz steht für seinen Status als Ausbilder. Im Moment ist er mein Ausbilder, um genau zu sein."
"Hä?", machte ich einfach nur. Ausbilder? Übungskleidung? Wo war Gabe jetzt schon wieder hinein geraten?
Er ließ mir keine Zeit, nich länger darüber nachzudenken.
"Ist ja auch egal. Vielleicht kann ich später mehr darüber erzählen. Jetzt erstmal zu dir. Was machst du hier, wo ist deine Schwester und was ist zuhause passiert?"
Also war ich jetzt mit dem Antworten dran.
"Maggie und ich sind abgehauen. Sie ist noch oben und schläft", sagte ich und zeigte auf die Herberge hinter mir.
"Abgehauen? Du Knirps?", fragte Mark lachend. Ich warf ihm einen bösen Blick zu, aber das brachte rein gar nichts.
"Warum?", fragte Gabe. Er lachte nicht, weil er wusste, dass ich keine Scherze machte.
"Das fragst du noch, Gabe?", fragte ich in einem beißenden Tonfall zurück. "Du hast den Streit doch selbst gehört und es dann für das Beste gehalten, abzuhauen, nicht wahr?"
"Na ja, wie gesagt wollte ich eigentlich wieder kommen. Nur die Nacht wollte ich woanders pennen."
"Ist ja auch egal. Dadurch hast du nur die Scheiße verpasst, die sich am nächsten Morgen entfaltet hat", fuhr ich fort. Er hing wie gebannt an meinen Lippen. "Maggie und ich haben nämlich einen Brief bekommen, in dem Ma uns mitgeteilt hat, dass sie gegangen ist und nicht wiederkommen wird. Siehst du, was du angerichtet hast, Gabe?"
Mein Bruder presste die Lippen aufeinander, so dass sie nur noch ein weißer Strich in seinem Gesicht waren.
"Oh scheiße", murmelte Mark und pfiff leise durch die Zähne, während er ihn musterte.
"Ich wollte das nicht, Vale, das weißt du doch, oder? Das musst du mir glauben."
Ich sah ihn abweisend an.
"Mag sein, aber das ändert nichts daran, dass du es verursacht hast. Außerdem war das noch nicht alles."
"Was denn noch?", fragte er gequält.
"Kannst du dir vorstellen, was Kate von deinem plötzlichen Verschwinden gehalten hat? Du weißt schon, weil sie dich geliebt hat, und so."
"Geliebt hat?", wiederholte er entsetzt.
"Ja, 'hat'. Sie hat sich umgebracht, Gabe. Deinetwegen hat sie sich mit ihrem Bettlaken erhängt!"
Er wurde blass und machte einen kleinen Schritt rückwärts. Plötzlich schien er ganz nüchtern.
"Nein, das... das kann nicht sein", stotterte er.
"Oh doch! Maggie durfte die Leiche ihrer besten Freundin finden. Du hast verdammt großen Mist gebaut, mein Guter. Wie willst du ihr das erklären, hm? Wie soll sie dir das verzeihen?
Und stell dir vor, da ist sogar noch mehr. Nachdem er kapiert hat, dass seine Frau für immer weg ist, hat unser Vater sie mit Schnaps ersetzt. Und du weißt ja genauso gut wie ich, wie er dann ist. Und du willst nicht wissen, an wem er seine Wut dieses mal ausgelassen hat. Er hat uns keine Wahl mehr gelassen, als von da abzuhauen. Er hat meine Schwester geschlagen! Ohne einen Grund! Das alles ist nur deinetwegen. So viele Menschen haben gelitten, weil du zu geil auf diese Schlampe Madison warst! Sag mir, wie fühlt sich das an? Bist du jetzt stolz auf dich? Das war die beschissenste Entscheidung, die du je getroffen hast und jemals treffen wirst!"
Zum Ende hin war meine Stimme immer lauter und ich immer wütender geworden.
"Verdammt Mann", raunte Mark meinem Bruder zu, der nicht realisieren wollte, was ich ihm eben mitgeteilt hatte.
"Und wer bist du jetzt genau?", fragte ich den Schwarzhaarigen genervt. Er sah mich an.
"Ich bin Mark. Ausbilder bei einer Organisation, über die ich dir nichts sagen darf. Eigentlich solltest du nicht einmal wissen, dass es sie gibt und ich da Mitglied bin. Tja", sagte er.
"Uff", machte ich und schloss gestresst die Augen.

Als ich sie wieder öffnete sah ich Gabe auf dem Boden sitzen. Er starrte ins Leere, während im stumm die Tränen über das Gesicht liefen. Ein wenig tat er mir ja schon leid. Er hatte ja nie etwas Böses gewollt. Es waren nur einige Fehler und dumme Entscheidungen von ihm gewesen, die ungeahnte Folgen hatten. Ohne es zu wollen hatte er seine Familie zerstört und dabei nur das Beste gewollt. Also, für sich selbst natürlich. Ich weiß nicht, ob er überhaupt jemals an jemand anderen gedacht hatte.

Mark stand immer noch genauso da wie vorher und musterte mich von Kopf bis Fuß. Feindselig erwiderte ich seinen Blick. Irgendetwas stimmte mit diesem Kerl nicht. Ich konnte ihm nicht trauen.
"Sag mal, Knirps", begann er, "willst du vielleicht auch zu uns kommen? Ich hab gesehen, dass dein Bruder einiges drauf hat. Leute wie euch können wir immer gebrauchen."
Gabe sah entsetzt zu ihm auf.
"Bist du wahnsinnig?! Er kann nicht-... Er kann nicht das tun, was die Organisation tut."
Mark starrte überrascht zu ihm hinab.
"Wieso denn nicht? Du hast dich doch auch dazu bereit erklärt."
"Ich, ja. Für mich ist ja auch schon alles zu spät. Aber nicht für ihn", sagte Gabe entschlossen. Was war diese Organisation? Was sollte diese Tätigkeit sein, die ich, laut Gabe, unter keinen Umständen ausführen sollte?
Ich hatte so viele Fragen, doch bis ich meine Antworten bekam, sollte noch einige Zeit vergehen.

Mark und Gabe gerieten nun in einen richtigen kleinen Streit.
"Also willst du ihn lieber mit seiner Schwester allein durch das Land streifen lassen? Bei uns wären sie in erster Linie sicher, vergiss das nicht", sagte Mark. "Du könntest sie sogar selbst beschützen und ein Auge auf sie haben."
"Das nennst du sicher? Ihr verstoßt tagtäglich gegen das Gesetz! Und das schon alleine dadurch, dass ihr existiert. Deine großartige Organisation ist doch nur ein Haufen... ein Haufen Verbrecher!", keifte Gabe zurück. Die beiden redeten, als stünde ich nicht direkt neben ihnen.
"Was soll diese Distanz? Du bist verdammt nochmal ein Teil von uns, Gabe. Oder sollte ich Kobalt sagen?", erwiderte Mark lauernd. "Und niemand hat dich dazu gezwungen. Du bist uns aus freien Stücken beigetreten. Und so schlimm sind wir doch eigentlich gar nicht. Es ist immerhin für den guten Zweck."
Gabe knirschte mit den Zähnen. Kobalt war also sein neuer Spitzname.
"'Guter Zweck'? Pah! Dass ich nicht lache. Geldgierige Bastarde ist alles, was ihr euch nennen solltet. Außerdem solltest du mich niemals mit meinem Bruder vergleichen, Shadow. Vale darf nicht so werden wie ich", knurrte Gabe.
Mark wandte sich von ihm ab und sprach stattdessen wieder zu mir: "Das werden wir ja noch sehen. Vale, willst du kopflos durch die Weltgeschichte rennen und dabei höchstwahrscheinlich sterben, oder hättest du lieber ein gesichertes Leben, umgeben von anderen Leuten, die genauso sind wie du, mit einem einfachen und ehrlichen Beruf, genügend Freiräumen und ohne finanzielle Sorgen? Wenn du zu uns kommst, kann deine Schwester selbstverständlich auch mitkommen. Dann wären alle drei Pricefield-Sprösslinge wieder vereint. Einfach zauberhaft, nicht wahr?"
Abwartend sah er mich an.
Gabe schüttelte den Kopf.
"Tu's nicht, Kleiner. Das ist es nicht wert."
Mark warf ihm einen abwertenden Blick zu.
"Nun gut, wie du siehst sind meine Argumente deutlich stärker. Also, wie entscheidest du?", fragte Mark kalt.
"Äh", sagte ich verunsichert.
Wie sollte ich bitte unter diesen Umständen eine Entscheidung treffen? Ich hatte zu viele offene Fragen und keinerlei Informationen über diese Organisation und deren Anforderungen.
"Also...", druckste ich herum. "Bekomme ich vielleicht noch etwas Bedenkzeit?"
Gabe atmete erleichtert auf. Mark sah aus, als hätte er in einen sauren Apfel gebissen. Seine Kiefermuskulatur spannte sich an, aber er lächelte dennoch gezwungenermaßen.
"Selbstverständlich", sagte er. "Wie lang willst du? Können wir uns morgen früh wieder hier treffen?"
Ich nickte und drehte mich um.
"Bis morgen", sagte Mark noch, bevor die Tür der Herberge hinter mir ins Schloss fiel.

Verrat, der
das Verraten von etwas an jemanden

1.815 Wörter

ValeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt