Ich raufte mir mit zitternden Händen die Haare, so dass sie in alle Richtungen abstanden, während ich unruhig und gelegentlich schluchzend den abgelegenen Flur vor dem Alchemielabor auf und ab peste. Nie zuvor hatte ich in meinem Leben so große Schuld gefühlt. Ich kannte das Gefühl, ja. Ich wusste wie es war, mal einen Teller kaputt zu machen und das meinen Eltern beichten zu müssen. Ich wusste, wie es war, nach einem eskalierten Streit die Hand gegen eines meiner Geschwister zu erheben. Und ich kannte die Reue, die danach kam. Aber das alles war nichts, es war gar nichts, im Vergleich zu dem Gefühl, das ich in dieser Zeit fühlte. Ich weiß nicht, wie es für dich war, aber ich meinte, die Schuld würde mich verbrennen. Von innen heraus verzehren, bis nichts mehr von mir übrig blieb.
Ich musste atmen, aber die Luft hinterließ nur einen bitteren Geschmack in meiner Kehle, während ich keuchte und trotzdem erstickte. Ich stolperte und hielt mich an einer Wand fest. Meine Hände zu Fäusten geballt sank ich zu Boden und lehnte meine Stirn an den kühlen, rauen Stein. Ich holte tief Luft und versuchte meine Schnappatmung unter Kontrolle zu bringen. Mein Gesicht fühlte sich erhitzt an und meine Tränen trugen nicht dazu bei, das zu beheben.Langsam, ganz langsam bekam ich wieder genug Sauerstoff in meine Lungen. Ich konnte wieder atmen. Eine Ruhe breitete sich über mir aus. Hüllte mich ein und ließ alles, alles verstummen. Außerhalb. Und in mir. Es gab nichts mehr, nur noch die Ruhe, die Dunkelheit, in die ich mich gestürzt sah. Schuld. Ich ging auf in meiner Schuld. Es gab nichts, was ich mir hätte sagen können, um das Gefühl zu mindern.
Etwas drang zu mir durch. Dumpf, kaum spürbar. Eine Hand auf meiner Schulter. Ich duckte mich unter dem Druck, den ich spürte, hob aber meine Finger und legte sie auf den Handrücken der Person, die mich sanft von der Wand weg zog und mich zu sich umdrehte. Ich konnte nichts sehen, wollte meine Augen nicht öffnen und ließ zu, dass die Person mich an sich zog und ihre Arme um mich legte. Ich spürte ein Kinn auf meinem Kopf und in diesem Moment fand ich zu allen Seiten nur den Unbekannten. Ich war gefangen in einer Umarmung, die mir zeigte, dass ich nicht alleine versank. Ich atmete zittrig ein und konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken, als ich einen starken, stetigen Herzschlag an meiner Wange spürte. Ich hielt meine Hände vor meiner Brust und lehnte mich gegen den Herzschlag. Ich hörte das Leben selbst, und ich wusste, dass ich nicht alles zerstört hatte.
An diesem Tag zerbrach ein Teil von mir. Etwas zerbrach, und ich sah mich einem Schatten gegenüber. Ich lernte meine dunkle Seite kennen, die immer tief in meinem Wesen verborgen gewesen war.
"Es wird besser", wurde mir Trost zugeflüstert, und auf eine unerklärliche Weise waren diese drei Worte genau das, was ich in diesem Moment hören musste.
Der Unbekannte wich nicht von meiner Seite, solange ich ihn brauchte. Er war da und hielt mich fest. Sonst nichts. Es war so einfach und doch so unfassbar tröstlich. Und zum ersten Mal, seit ich mein altes Leben hinter mir gelassen hatte, fühlte ich mich zuhause. Und mir wurde klar, dass Zuhause nicht an einem Ort hängt. Für mich sind Gefühle, Menschen mein Zuhause. Er war mein Zuhause.
Gabe. Es war immer Gabe. Er war immer, immer da, wenn ich ihn brauchte. Bei Gabe war ich geborgen, und diesen Platz könnte niemand statt ihm einnehmen. Ich glaube, ich sage es ihm nicht oft genug. Ich habe ihm nicht oft genug gesagt, wie wichtig er mir ist. Vielleicht haben wir uns deshalb eines Tages verloren.
Mit einem erschöpften Seufzen vergrub ich mein Gesicht an seiner Schulter. Er strich mir beruhigend über den Rücken.
"Ich weiß, es ist schwer. Aber du wirst es durchstehen. Lass es dich nicht kaputt machen", murmelte er und hielt kurz inne. "Vergiss nicht, dass du nie alleine bist, in Ordnung?"
Ich konnte nicht antworten, aber das war nicht schlimm.
Gabe hielt mich bei sich, bis ich einschlief, glaube ich. Ich weiß noch, dass ich schrecklich erschöpft war und keine Kraft mehr hatte, um aufzustehen. Ich sehe nur noch seine Augen vor mir. Wie er mich angesehen hat. Sein Blick war so tief und hielt nichts verborgen. Ich konnte sehen, wie er selbst mit mir litt. Ich konnte sehen, wie weh es ihm tat, mich so zu sehen. Und ich konnte sehen, wie viel ich ihm bedeutete.
Oh, können wir eine kurze Pause machen? Ich... Es ist nicht leicht für mich, das alles wieder zu durchleben.
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Vale
ActionIch habe in meinem Leben viel gesehen. Ich bin weit gereist, habe etliche Menschen getroffen. Ich habe etliche Menschen getötet. Ich habe mehr verloren, als ich zu besitzen glaubte. Meine Geschichte ist keine schöne. Sie ist kein Märchen und kein...