10 ~ ۷ɛཞɬཞąųɛŋʂცཞųƈɧ

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In meiner nächsten klaren Erinnerung finde ich mich am folgenden Morgen in meinem Zimmer wieder. Ich saß auf dem Boden, Maggie mir gegenüber. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, wir saßen schon ziemlich lange da. Ohne etwas zu tun. Ohne ein Wort zu sagen. Ich fühlte mich ruhelos und dennoch konnte ich mich nicht rühren, während der Raum um mich immer enger wurde und mir den Atem abschnitt. So fühlte es sich jedenfalls an. Schließlich schaffte ich es doch.
Ich stand schwankend auf.
"Was passiert hier?", sagte ich. Meine Stimme klang seltsam hohl und dumpf. "Ich muss hier weg."
Und ich stolperte los. Maggie folgte mir.
"Wo gehst du hin?", fragte sie leise.
"Weg", krächzte ich und lief schneller. Meine Schritte wurden immer sicherer und ich strauchelte nicht mehr.
Ich stieß eine Tür auf und stand im Freien.
Sofort fiel eine Last von mir ab und dieser Druck auf meiner Brust verschwand. Ich blieb kurz stehen und genoss es, einfach nur atmen zu können.
Ich fühlte mich so furchtbar, aber mit taufeuchtem Gras unter meinen bloßen Füßen war es etwas besser.
Meine Knie gaben nach. Ich ließ zu, dass ich in diese Wiese fiel. Die Halme kitzelten meinen Nacken und der Morgentau durchnässte meine Kleider, und das war gut so.
Wenn ich es fühlte, war es gut.
Ich wurde ruhig und schloss meine Augen.
Mein Herzschlag wurde immer langsamer. Wenn er jetzt gänzlich stoppen würde, wäre ich weder verärgert noch verwundert.
Es war so absurd.
Die letzten Tage fühlten sich an wie ein Traum. Ein mieser Albtraum ohne Ende, zugegeben, aber dennoch irreal.

Plötzlich spürte ich eine Hand, die sich in meine schob und dann an meinem Arm zog. Verärgert darüber, dass jemand meine Ruhe störte und mein mentales Sterben unterbrach, öffnete ich die Augen.
Ich sah Maggie, die sich über mich beugte und offensichtlich wollte, dass ich aufstand. Sie sagte kein Wort, aber mit ihrem Blick machte sie deutlich, dass sie keine Zeit zu verschwenden hatte. Ich fragte mich, was sie von mir wollte, traute mich aber nicht, die Frage zu stellen und stand darum seufzend auf.
Maggie lief los, ohne meine Hand loszulassen. Ich folgte ihr, achtete aber nicht darauf, wo sie mich hinführte.
Irgendwann lockerte sie ihren Griff um meine Hand. Ich blieb stehen.
Vor mir hing ein Vorhang aus Zweigen und Blättern. Die Weide.
Maggie verschwand soeben zwischen den Ruten. Ich folgte ihr und trat in die Dunkelheit unter dem Baum.
Als sich meine Augen an die Lichtverhältnisse angepasst hatten, sah ich meine Schwester wieder, wie sie sich gerade am Baumstamm hoch stemmte.
"Was machst du denn?", rief ich ihr zu. Keine Reaktion. Seufzend trat ich an den Baum und sah hinauf zu meiner Schwester, die sich durch die Krone hangelte. Ich zuckte mit den Schultern und griff nach einem dicken Ast über meinem Kopf. Ächzend zog ich mich daran hoch. Meine Verletzung tat höllisch weh, aber ich wollte unbedingt wissen, was mit Maggie los war, darum kletterte ich höher. Ab und zu brach  ein Ast unter meinem Gewicht ab, weil ich anders als meine Schwester absolut keine Ahnung hatte, was ich hier tat. Es war zwar nicht das erste Mal, dass ich diesen Baum hoch kletterte, aber das Klettern hatte mir nie gelegen.
Maggie kletterte so hoch wie sie konnte, bis die Äste zu dünn wurden, um ihr Gewicht zu tragen. Dann setzte sie sich in eine recht dicke Astgabel, lehnte sich an den Stamm und sah zu mir herab. Ihre Augen hatten die gleiche Farbe wie das lichtdurchflutete Laub hinter ihrem Kopf. Ich setzte mich zwei Yards unter ihr auf einen Ast, da sie für meinen Geschmack zu hoch im Baum saß und ich langsam genug von der Kletterei hatte. Maggie schloss die Augen und seufzte. Das Sonnenlicht, das zwischen den länglichen, silbergrünen Blättern der Weide hindurch schien zeichnete Goldene Muster auf ihr Gesicht. Ich beobachtete eine Amsel, die nicht weit von mir von Ast zu Ast sprang. Sie flatterte erschrocken davon als Maggie ihre Stimme erhob: "Ich finde, wir sollten auch abhauen"
"Ach ja?", fragte ich desinteressiert. Ich fühlte mich so leer. Man hätte alles mit mir machen können, und ich hätte es zugelassen.
"Ja. Mich hält hier nichts mehr. Die Zukunft die mich erwartet, wenn ich bleibe, ist alles andere als wünschenswert."
"Und wo willst du hin? Glaubst du, du könntest irgendwo ein besseres Leben führen?"
"Mit dir sicherlich. Du könntest Arzt werden, weißt du?"
"Will ich nicht. Zu viel Tod", sagte ich.
Eigentlich ist das ja irgendwie witzig wenn man bedenkt, was am Ende aus mir geworden ist. Vielleicht wäre Arzt doch die bessere Wahl gewesen.
Maggie fuhr fort: "Aber du könntest auch Leben retten."
Ich schüttelte den Kopf.
"Es ist einfach nicht das, was ich will."
"Was willst du denn?"
"Gar nichts."
"Du lügst."
Ich seufzte genervte auf.
"Wenn du das weißt, dann weißt du auch, genau was ich will."
Sie schwieg.

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