9 ~ ɖཞıɬɬɛʂ ɠıʄɬ ~ ۷ąŋɖąɩɛ

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Am nächsten Morgen wurde ich von einem spitzen Aufschrei geweckt. Ich riss erschrocken die Augen auf und sprang aus meinem Bett. Mein Herz schlug viel zu schnell, aber dennoch wurde mir wegen der plötzlichen Anstrengung schwindelig. Ich stützte mich am Bettpfosten ab und registrierte trotz der schwarzen Punkte in meinem Sichtfeld, dass Maggie nicht im Raum war.
Ein langgezogenes Kreischen drang an mein Ohr und fuhr wie eine heiße Nadel in mein Hirn. Das war Maggie. Und sie hörte sich gequält an.
Ohne weiter nachzudenken rannte ich los.
Ich stürmte aus dem Zimmer und die Flure entlang, während ich hektisch nach der Quelle des Schreis suchte.
Bald hörte ich ein leises Wimmern hinter einer Ecke. Ich blickte gehetzt den Korridor hinab. Offensichtlich befand ich mich hier im Wohntrakt der Bediensteten. Etwas weiter den Gang hinab stand eine Tür offen.
Ich ging langsam darauf zu und fühlte mich auf einmal sehr unwohl. Etwas lag in der Luft und machte sie merkwürdig stickig. Hier musste etwas Schreckliches passiert sein.
Und dann bekam ich es mit der Angst zu tun. Was würde ich gleich in diesem Zimmer sehen? Wollte ich es überhaupt sehen? Alles in mir schrie danach, mich umzudrehen und wegzulaufen.
Aber das leise Weinen meiner Schwester zog mich weiter an.
Schritt für Schritt kam ich der offenen Tür näher, und meine Kehle wurde immer enger.
Ich war jetzt so nah dran, dass ich schon einen Teil des Raumes sehen konnte. Bis jetzt fiel mir noch nichts Auffälliges auf.
Ich machte noch zwei kleine Schritte, und dann bekam ich wirklich keine Luft mehr.

Erst gab ich eine komische Mischung aus einem überraschten Glucksen und einem Schluchzen von mir, dann entwich mir ebenfalls ein heiserer Schrei und schließlich gaben meine Beine unter mir nach.
Ich sackte zu Boden, konnte den Blick aber dennoch nicht von meiner Schwester, die vor mir kauerte und von einem heftigen Heulkrampf geschüttelt wurde, und dem was vor ihr war, nicht abwenden.

Kate. Die schüchterne, hübsche, liebevolle, in meinen Bruder verliebte Kate... war tot.
Ihre Füße baumelten ein halbes Yard über dem Steinboden in der Luft, darunter ein umgekipptes Nachtschränkchen.
Ihre Arme hingen kraftlos an den Seiten ihres Körpers hinab.
Ihr Kinn ruhte auf ihrer unbewegten Brust.
Ihre Haut war blass, die sonst so rosigen Wangen hatten jegliche Farbe verloren.
Denn ihr Hals steckte in einer engen Schlinge, die aus einem Bettlaken geknotet war, an einem Deckenbalken hing und tief in die fast bläuliche Haut einschnitt.
Ihr Haar war glänzend und seidig wie immer, doch es hing ihr in wirren Strähnen ins Gesicht.
Ihre Augen waren geschlossen, und ihre Gesichtszüge wirkten entspannt, fast friedlich.
Sie hatte sich das selbst angetan. Warum? Doch wohl nicht wegen... oder doch? War sie wirklich so instabil? So voller Liebe, dass alles andere verloren gegangen war? Und deswegen so unsicher, als hätte man ihrer Existenz jeglichen Sinn genommen, dass sie in dieser Welt, in der man sie alleine gelassen hatte, nicht mehr leben wollte?

Ich presste mir die Hände auf den Bauch und krümmte mich zusammen, bis meine Stirn Kontakt mit dem Boden machte. Mir wurde plötzlich furchtbar schlecht. Tränen quollen zwischen meinen zusammengepressten Augenlidern hervor, und ich ließ es zu. Ich kauerte auf dem Boden und weinte bitterlich.
Kate war ein Teil meines Zuhauses, ein Teil meines Lebens gewesen. Sie zählte zu meinen engsten Freunden, auch wenn ich mich manchmal ihr gegenüber ziemlich bescheuert verhalten habe, war sie ein Teil von mir. Sie hatte zu mir gehört. Als Gehilfin, Freundin, Vertraute.

Und dann wurde ich wütend. Schrecklich wütend. Auf denjenigen, der sie dazu getrieben hatte. Auf denjenigen, der uns allen dies antat.
Ich biss die Zähne zusammen und stieß ein hustendes Knurren aus, damit ich nicht laut los schrie.
Gabe - war - an - allem - schuld.
Ich atmete schwer keuchend ein und aus. Und dann schrie ich doch. Ich brüllte all meinen Kummer, Schmerz und meine Wut in die Welt hinaus.
Ich war wütend. So schrecklich wütend.
Ich wollte jemanden schlagen, etwas zerstören, so wie Gabe mein Leben zerstörte.
Ich ballte meine Hände zu Fäusten und weil ich mir nicht besser zu helfen wusste, hieb ich auf den Steinboden ein. Dann stand ich schwankend auf und schlug gegen die nächste Wand.
Es tat weh, und das war gut. Ich schlug mit der anderen Faust zu. Meine Fingerknöchel platzten auf. Ich ließ einen weiteren Schlag folgen. Wieder und wieder. Links, rechts, links. Immer im Wechsel.
Mein ganzer Körper zitterte vor Anspannung. Meine Hände taten weh, aber es half. Alles fiel nach einer Weile von mir ab, und es war, als hätte ich meinen Körper verlassen und würde mir selbst von oben zusehen.
Langsam verpuffte meine Wut und ich sank an der Wand zu Boden. Maggie weinte nicht mehr.
Ich öffnete meine verkrampften Fäuste.
Jetzt kam die Trauer wieder hoch und ich schluchzte. Ich kniete zitternd auf allen Vieren vor Kates Leiche und weinte.

Warum war eigentlich niemand hier? Den Lärm, den Maggie und ich gemacht hatten, musste man doch im ganzen Haus gehört haben.
Ich fühlte mich beobachtet und zuckte zusammen, als Maggie von hinten ihre Arme um mich legte und meine lädierten Hände in ihre nahm.
Ich drehte mich um und zog sie weinend an mich. Meine Welt war noch ein wenig einsamer geworden. Außer meiner Schwester hatte ich fast niemanden mehr.
Warum musste alles so schrecklich sein? In den letzten drei Tagen war mehr passiert als in meinem gesamten Leben davor. Wo sollte das denn noch hinführen? Meine halbe Familie war inzwischen schon ins Ungewisse entschwunden. Fort, wie gestorben, aber dennoch am Leben. Ich glaubte, ich würde verrückt werden. Ich glaube, ich bin verrückt geworden.

Über Maggies Schulter starrte ich Kate an. Wo war sie jetzt wohl? Wohin ist sie gegangen, als sie ihre sterbliche Hülle verließ? Ging es ihr dort besser? Hatte sie bekommen, was sie wollte?

Danach lässt mich meine Erinnerung leider im Stich. Alles reißt hier ab. Ich habe nur einige verschwommene Bilder. Ich weiß noch, dass ich wohl aufstand und den schrecklichen Schauplatz mit Maggie verließ.
Nicht viel später erwachte das restliche Personal, und als die Nachricht von Kates Tod die Runde machte, versetzte sie das gesamte Haus in helle Aufregung. Den ganzen Tag lang, war das Klagelied von Kates Mutter zu hören. Das Dahinscheiden ihrer einzigen Tochter bestürzte sie natürlich am meisten.
Doch am Ende blieb es dabei, dass niemand verstand, warum Kate sich das Leben nahm.

Vandale, der; Plur. Vandalen
zerstörungswütiger Mensch

1.064 Wörter

ValeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt