Nach dem Essen verbrachte ich den restlichen Tag bis zum Sonnenuntergang mit meinem Bruder. Er begleitete mich in mein Labor, dessen Tür ich weit offen stehen ließ, damit jeder, der diesen Gang hinablief, sehen konnte, dass ich wieder da war. In meiner Abwesenheit waren die Vipern mit ihren Wehwehchen wieder auf sich selbst gestellt. Dabei wirkten sie manchmal so hilflos, dass ich mir schon vorstellte, sie würden alle Nase lang tot umfallen, weil sie sich selbst helfen wollten und dabei vergiftet hatten. Es war zwar niemand wegen meines Abhandenseins gestorben, aber die Geschichten von Möchtegern-Heilern ließen mich dennoch den Kopf schütteln.
Gabe leistete mir also Gesellschaft und unterhielt mich, während ich die Arbeiten erledigte, die angefallen waren. Ich sortierte und entsorgte alte und unbrauchbare Trankzutaten, entstaubte Kolben und Phiolen und überprüfte meine Vorräte, wobei ich besonderes Augenmerk auf die Dinge legte, die mir langsam ausgingen und nachgekauft werden mussten.
Die Anekdoten, die Gabe währenddessen fallen ließ, amüsierten mich königlich."... sie kam also auf ihn zu und stellte ihn zur Rede", erzählte er gerade eine Begebenheit, die sich vor ein paar Tagen beim Frühstück ereignet hatte. "'Ich weiß, was du getan hast', sagte sie, aber er stritt natürlich alles ab. Das schaukelte sich zu einem Wortgefecht ohnegleichen hoch, bis er einknickte. 'Ja, ich habe mit ihr geschlafen!', rief er, woraufhin sie 'Mistkerl!' schrie und ihm dermaßen eine scheuerte, dass- ... Da ist jemand."
Ich blickte überrascht von meinen Geräten auf und sah zur Tür, in der ein kleiner Mann stand, den ich erst nach einer Weile als Mint erkannte. Ich weiß nicht, ob du dich noch an ihn erinnerst. Mint war einer der besten Freunde von Mark, weshalb ich auch den regelmäßigen Umgang mit ihm pflegte, aber wirklich sympathisch war er mir dabei nie. Das war jedoch nichts im Vergleich zu Gabe, der Mint ohne jeglichen Grund zu verabscheuen schien. Er wusste nicht einmal selbst, was ihm an dem langjährigen Mitglied nicht passte, aber mein Bruder scheute dennoch nicht davor zurück, seine Abneigung gegen Mint bei jeder Gelegenheit deutlich zu machen."Ach, du", sagte Gabe, der auf einer Arbeitsplatte unter dem Fenster saß, an Mint gewandt. "Was verleitet dich dazu, diese persönliche Konversation zwischen mir und meinem Bruder zu stören?"
"Warum bist du denn hier?", fragte Mint zurück, der meinen Bruder ebenfalls nicht ausstehen konnte. Immerhin beruhte diese Angelegenheit auf Gegenseitigkeit.
"Ich wiederhole mich nur ungern", sagte Gabe spitz. "Mein Bruder, schon vergessen?" Er deutete auf mich. Ich blinzelte und hielt den Mund. Zwischen diese Fronten wollte ich nun wirklich nicht geraten.
"Nein, wie könnte ich denn? Du weichst ihm nie von der Seite, was?", murmelte Mint.
"Kann man so sagen. Um unsere Beziehung nicht zu stören, wäre es demnach exzellent, wenn du dich entfernen könntest." Ich gähnte.
"Geht leider nicht, denn ich muss die Dienste deines Bruders beanspruchen." Ich hielt inne und klappte meinen Mund wieder zu.
"Ich hab mich verletzt", fügte Mint erklärend hinzu.
"Oh, was für eine Überraschung", mischte Gabe sich wieder ein.
"Wie?", fragte Mint, der ab und an sehr schwer von Begriff zu sein schien.
"Ach, Leute wie du kommen oft wegen Potenzproblemen hierher", flötete mein Bruder beiläufig und untersuchte seine Fingernägel.
"Wie kann ich denn behilflich sein?", fragte ich laut in den Raum hinein und unterband so jede weitere Äußerung der beiden. Ich musste eingreifen, bevor die beiden wieder anfingen zu streiten. Das taten sie sehr gerne und mit außerordentlicher Ausdauer.
Mint trat auf mich zu und rollte seinen rechten Ärmel bis über die Schulter hoch, ließ dabei jedoch niemals Gabe aus den Augen, welcher immer noch seine Hand anstarrte.
Ich räusperte mich, um die mir zustehende Aufmerksamkeit einzufordern und starrte den Verband um Mints Oberarm an. Schon bevor ich die eigentliche Wunde sah, war mir klar, dass ich hier wohl einiges zu tun haben würde. Durch das saubere Leinen des Verbandes war schon ein deutlicher Blutfleck sichtbar. Man hätte ihn eigentlich schon vor Stunden wechseln müssen.
"Darf ich?", fragte ich also leise und hob die Hände. Mint nickte und bedeutete mir mit einer fuchtelnden Geste, dass ich mich beeilen möge. Ich verdrehte ob dieser Undankbarkeit die Augen und wickelte den Verband ab.
"Igitt!", machte Gabe. Ich warf ihm einen mahnenden Blick über meine Schulter zu. Er sah demonstrativ in eine andere Richtung, konnte aber damit nicht verbergen, dass er etwas blass um die Nase herum wurde.
Das ist seine größte und vielleicht einzige Schwäche. Sobald es etwas blutig wird, kommt er nicht mehr klar. Ich weiß, keine großartige Voraussetzung für seinen Beruf, aber getötet hat er sowieso nie so viel wie ich oder meine Schwester. Er widmete sich viel lieber Diebstählen und Beschattungen. Bei allem anderen ist er nämlich absolut skrupellos."Ja, ja, ich weiß schon, dass das richtig scheiße aussieht", sagte Mint schnarrend und lenkte so meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn. "Deshalb bin ich ja hier."
Nun, Gabe hatte mit seiner Äußerung nicht ganz unrecht. Der Schnitt war weder besonders tief, noch lang, aber er nässte und die Wundränder waren gerötet und spannten. Noch dazu drang Blut daraus hervor, obwohl er nicht mehr wirklich frisch war.
"Und, kriegst du mich wieder hin?", fragte Mint. Ich blickte auf und sah ihm kurz in die braun-grünen Augen, bevor ich auf einen Stuhl wies.
"Da kannst du Gift drauf nehmen", sagte ich mit einem Zwinkern. "Setz' dich."
Gabe kicherte und Mint grunzte.
"Das nehme ich jetzt mal nicht wörtlich", ächzte mein Patient und ließ sich auf den Holzstuhl fallen. Ich antwortete nicht, war ich doch zu beschäftigt damit, meine Materialien zusammen zu suchen.
"Mach mal Platz", befahl ich meinem Bruder, dessen Beine vor einer Schranktür hingen, hinter der ich mein Verbandszeug aufbewahrte.
"Und seit wann darfst du mich rumkommandieren?", fragte er zurück, rückte aber widerstandslos zur Seite.
"Seit du dich in meinem Labor befindest. Hier bin ich der Boss", grinste ich und piekste ihn in die Seite.
"Bilde dir bloß nichts darauf ein", antwortete er mit demselben Lächeln und piekste zurück. Ich beließ es dabei, denn Gabe muss immer das letzte Wort haben. Hätte ich also etwas erwidert, wären wir hier nie fertig geworden.Ich wandte mich also wieder meinem Patienten zu und ließ die Verbandsmaterialien auf einen Tisch neben ihm fallen.
"Keine Sorge, das habe ich schnell erledigt", beruhigte ich Mint, der sich in seiner Haut nicht ganz wohlzufühlen schien. "Ich flicke dich zusammen, dann bist du wieder wie neu, glaub mir."
Ich wusch mir in einem Trog sauberen Wassers die Hände, zog einen weiteren Stuhl heran und versenkte mich in der Versorgung der Wunde. Ich reinigte sie und spülte sie mit etwas klarem Alkohol, um eine Infektion zu verhindern. Dabei biss Mint die Zähne zusammen. Das scheinen sie alle zu hassen. Verständlich, das tut ja auch richtig weh.
Um den Schmerz zu lindern trug ich eine selbstgemachte Salbe auf die Wunde auf. Das ist vielleicht eines der besten Rezepte, die ich mir jemals ausgedacht habe. Die verschiedenen Kräuter wirken entzündungshemmend, fördern die Heilung und betäuben dabei sogar leicht, was in dieser Situation sehr hilfreich war, denn als nächstes wollte der Schnitt genäht werden. Diese Prozedur brachte ich schnell, aber präzise hinter mich, und als ein frischer, weißer Verband über der Wunde lag, sah sie schon viel besser aus.
"Das war's", sagte ich und verstaute alle meine Materialien wieder. "Komm übermorgen wieder, oder davor, wenn es sehr wehtut oder du merkst, dass es dir schlecht geht."
"Danke Viparo", seufzte Mint und krempelte seinen Ärmel wieder runter. "Du bist ein wahrer Lebensretter."
"Vale, nicht Viparo", verbesserte ich und geleitete ihn zur Tür. "Und das mache ich doch gerne. Bis bald."- Warum ich dir das so genau erzähle? Weil ich dir zeigen will, wie ich damals gearbeitet habe. Ich muss mich doch von meinen besten Seiten präsentieren, bevor ich dir weiter zeige, wie ich Leute umgebracht habe. ... Du... hast Recht. Das ist nicht alles. Ich... Ich hab Angst davor, was ich als nächstes erzählen muss. Ich hab noch nie darüber gesprochen. ... Nein, wirklich noch nie. ... Nicht einmal mit Gabe, obwohl er wirklich verdient, das zu wissen. ... Ach, keine Ahnung. Es ist einfach so schwer. -
"'Du bist ein wahrer Lebensretter'", äffte Gabe nach, als Mint fort war. "Da muss man ja echt aufpassen, um nicht auf dieser Schleimspur auszurutschen."
"Ach komm, er ist doch bloß dankbar", sagte ich und ließ mich neben ihm auf der Arbeitsplatte nieder. "Das könnte dir auch gut tun."
"Wie? Was unterstellst du mir?"
"Hochmut", sagte ich schulterzuckend. "Du hältst dich immer noch für besser als alle anderen. Wie ein richtig ekliger Lord eben."
"Ähm, ja, das bin ich ja auch. Beides. Ein Lord, der besser als alle anderen ist", empörte er sich und stützte sich nach hinten auf seine Arme.
"Genau das ist der Punkt. Du musst es nicht jedem unter die Nase reiben."
"Wozu hab ich denn dann meinen Adelstitel? Du weißt doch gar nicht, wie toll es ist, sich so erhaben zu fühlen."
"Klar weiß ich das!", behauptete ich.
"Dann nutz deine Vorteile doch mal richtig aus. Macht das Leben leichter."
Ich schüttelte bloß den Kopf und sah auf meine Hände in meinem Schoß.
Oh Gabe, er hatte damals ja noch keine Ahnung, wie schnell uns eben dieser Adelstitel zum Verhängnis werden sollte.verarzten
sich jemandes annehmen, der verletzt oder krank o. Ä. ist;
eine Verletzung, einen verletzten Körperteil verbinden, behandeln
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Vale
AkcjaIch habe in meinem Leben viel gesehen. Ich bin weit gereist, habe etliche Menschen getroffen. Ich habe etliche Menschen getötet. Ich habe mehr verloren, als ich zu besitzen glaubte. Meine Geschichte ist keine schöne. Sie ist kein Märchen und kein...